"Schwule Priesterpaare am Nato-Altar sind auch keine Lösung"
Seite 2: Das neoliberale Paradigma der "Unternehmerkirche"
- "Schwule Priesterpaare am Nato-Altar sind auch keine Lösung"
- Das neoliberale Paradigma der "Unternehmerkirche"
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Die frappante Anpassungsfähigkeit eines gleichsam staatskirchlich subventionierten Katholizismus könnte ich am Beispiel meines westfälischen Heimatbistums Paderborn gut illustrieren:
- Nach der heißen Phase des Kulturkampfs (1871-1878) war man im Kaiserreich dem heiligen Hohenzollernregime bis 1918 vollkommen ergeben.
- Dem ersten Weltkrieg folgte eine patriotische Zentrumslinie - mit deutschnationalen Sprenkeln.
- 1933 erklärte die Bistumsleitung ihre unverbrüchliche Treue zur staatlichen Autorität und tolerierte völkische Töne in der Kirchenzeitung, um sodann die militärische "Daseinssorge des deutsches Volkes" 1939-1945 eifriger als alle anderen mitzutragen.
- Während der Adenauer-Ära legitimierte die Hoftheologie der Diözese - mit Vorbehalten gegenüber der Demokratie - selbstverständlich Remilitarisierung und Atombombe, aber auch die bereits abgeschaffte Todesstrafe.
- In den neoliberalen Jahrzehnten schließlich setzte - zunächst unter Beibehaltung der Priester-Alleinherrschaft - eine rasante Modernisierung ein. Der Planungsprozess des superreichen Bistums für neue "Pastoralräume", dokumentiert u.a. in kostspieligen - aber weitgehend inhaltsleeren - Events und Hochglanzbroschüren, wurde von professionellen Unternehmensberatern gelenkt.
Schließlich firmierte die Presseabteilung der Diözese zeitweilig gar als "Marketingabteilung", was - wie Joseph Ratzinger sicher auch anmerken würde - einem Ausverkauf der christlichen Gemeinde gleichkommt. Zuerst, so schien es, konnte die Bistumsleitung gar nicht verstehen, was Kritiker so anrüchig daran fanden.
In der Marketing-Kirche ist Ästhetik eine ganz wichtige Sache. Mitunter verspürt man keine Skrupel, Jugendliche, die kaum über einen Begriff vom Abendmahlssakrament verfügen, vor goldenen Monstranzen - flankiert von Beleuchtungsspektakeln und elektronischen Klängen - niederknieen zu lassen.
Punktuell wurde sogar die Soziallehre der Kirche revidiert in Richtung der ideologischen Verschleierungen des Sozialabbaus ("Innovation", "Eigenverantwortung", "Aktivierung", "Effizienz" etc.). Spirituelle Prominenz engagierte sich in einer Initiative für die Sache der Marktradikalen. Die Pastoral der im kirchlichen Raum angewandten neoliberalen Wirtschafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften übt sich in Produktdesign, betreibt Marktforschung, will über eine gute Performance verfügen und bedient Kunden.
Sie ist das Gegenteil einer Kirche, die in Elend und Dunkel hineingeht, sich von den Armen - in miteinander geteilter Bedürftigkeit - verändern lässt und Partei ergreift. Mitunter gibt man ganz ungeniert zu verstehen, man wolle der bürgerlichen Gesellschaft nützliche Dienstleistungen erweisen.
Den Beschädigungen von Menschen und Sozialräumen durch die Religion der Ökonomisierung des Lebens soll heilsam begegnet werden, aber keineswegs durch Systemänderung oder Aufmüpfigkeit. Vielmehr geht es darum, den Subjekten eine andere - positivere - Einstellung zu den Verhältnissen zu vermitteln, während die Verhältnisse selbst bleiben können, wie sie sind. Gestresste Manager erhalten - gegen höhere Gebühren - Exerzitien auf höchstem Niveau, damit sie wieder mit einem ruhigen Gewissen schlafen können und ihre "Innovationskraft" zurückerlangen.
Der prophetische Ansatz der hebräischen Bibel wird im Einzelfall explizit als überholt betrachtet. Religion dient im nahen Kontext - so lange dies einstweilen noch erwünscht scheint - als "Ornament und Kulisse" (Johann Baptist Metz) der bürgerlichen Gesellschaft, zielt aber nicht auf die Umwerfung von Verhältnissen, "in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Karl Marx).
Die neoliberale Kirche lässt sich nicht aus der Fassung bringen durch repressive Kürzungen der Grundsicherung oder dramatische Zivilisationsentwicklungen. Etwas Friedfertigkeit und etwas Ökologie im Kleinen genügen. Man hält sich auch fern von Schauplätzen, auf denen es etwa zu Berührungen mit Polizeigewalt kommen könnte.
Mit diesem Ansatz kann man allerlei Menschenfreundliches kombinieren, auch Esoterik, jesuanische Blütenlese und Lebensmitteltafel. Die Armen selbst sind freilich innerhalb der bürgerlichen Wohlfühlkirche weithin unsichtbar, zumal dort, wo das überkommene konfessionelle Milieu sich längst in Luft aufgelöst hat.
Selbstredend sollten Verantwortliche in der Kirche für Supervision, rationale Betriebsführung oder taugliche Organisationsformen Sorge tragen. Doch was hat dies, nebst anderen Formalien, schon mit einer überzeugenden Theologie und Pastoral in den Spuren Jesu zu tun?
Den Kundigen muss sich der Magen umdrehen, wenn auch das "Qualitätsmanagement" in der praktischen Theologie Anwendung findet. Was dieses Zauberwort etwa im neoliberalen Gesundheitswesen für Auswirkungen zeitigte, wissen die Praxiserprobten: Weniger Personal, qualitativ schlechtere Pflegeplanungen, immer mehr und differenziertere Pflegeleistungs-Ziffern auf dem Papier oder im Computer und gleichzeitig Patienten, bei denen niemand mehr die Zeit findet, auch nur die vordringlichsten Bedürfnisse wahrzunehmen …
Neuerdings ist unsere Gesellschaft so freiheitlich, dass sie sogar das Bürgerrecht von alten Menschen auf Verwahrlosung mit Nachdruck achtet. (Mündliche Mitteilung eines Sozialpsychiatrischen Dienstes an den Verfasser.)
Eine Analyse zur "unternehmerischen Kirche im Anschluss an die abstürzende (Post-)Moderne" hat Herbert Böttcher im letzten Jahr veröffentlicht.1 Im Editorial der Zeitschrift "exit!" vermerkt Roswitha Scholz dazu einleitend:
Der Text […] zeigt auf, wie sich die Kirchen statt im "Heiligen Geist" im "Geist des Kapitalismus" reformieren wollen. Rat suchen sie bei Konzepten der Organisationsentwicklung, die auf der Grundlage der Systemtheorie operieren. […] Heraus kommen dabei Anpassungsprozesse an eine (post)moderne Krisengesellschaft […]. Ohne Reflexion auf gesellschaftliche Vermittlungszusammenhänge sollen vom Druck der Krisenverhältnisse gestresste und in Depression getriebene Individuen erreicht und so versorgt werden, dass sie sich in den Verhältnissen wieder wohl oder wenigstens besser fühlen. Die angebotenen religiös-esoterischen Produkte sollen nicht an ihrem Wahrheitsanspruch, sondern an ihrer Nützlichkeit gemessen werden.
In der Kirche eine Heimat finden sollen gleichzeitig aber auch Menschen, die angesichts des "Relativismus" der Postmoderne nach Sinn und Identität suchen. Angesichts dieser Problemlagen öffnen sich die Kirchen identitärem und autoritärem Denken und Handeln. Dies alles lässt die Inhalte der jüdisch-christlichen Tradition nicht unberührt. Sie werden individualisiert und esoterisiert und sollen dabei existentialistisch und/oder in der Objektivität "ewiger Wahrheiten" gesichert werden. Auf der Strecke bleiben die emanzipatorischen Gehalte der jüdisch-christlichen Tradition, die auf einer herrschaftskritisch zugespitzten Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz beruhen.