"Schwule Priesterpaare am Nato-Altar sind auch keine Lösung"

Seite 5: Eine zentralistische Weltkirche ist impotent

Was 1869/70 im I. Vatikanischen Konzils konstruiert wurde, nämlich ein durch universale Jurisdiktion allgewaltiges und zudem unfehlbares Papsttum, hat sich durch die Geschichte hindurch als ein Turmbau zu Babel erwiesen. Äußerlich konnte ein Einheits-Code für den gesamten Erdkreis dekretiert werden. Doch dieser führte keineswegs zu mehr globaler Verständigung und Zusammenarbeit.

Der autoritäre Zentralismus der sog. Römischen Kirche hat vielmehr die Entwicklung abgekapselter Nationalkirchentümer in höchstem Maße begünstigt. Zuvorderst das Totalversagen in zwei Weltkriegen mit insgesamt etwa 80 Millionen Toten erweist dieses System, dessen "Gemeinschaftlichkeit" sich zeitweilig ganz auf einen in jesuanischer Perspektive irrelevanten Papstkultus reduzierte, als Irrweg sondergleichen.

In Wirklichkeit nämlich ist eine zentralistische Weltkirche impotent, weil aus einem Mechanismus von Diktat und Gehorsam nur Beziehungslosigkeit hervorgehen kann. Da kann man etwa medienwirksame Massenspektakel abhalten so viel man will, es entsteht so nie ein starkes Netz der Verbundenheit auf dem ganzen bewohnten Erdkreis ("lokal-global" beraten, lernen und handeln).

Ein dezentrales, aber wirklich von Beziehungen durchwirktes Gefüge aller Ortskirchen macht hingegen Ernst mit dem vielbeschworenen katholischen Prinzip der "Subsidiarität" (Entscheidungsbefugnisse werden nicht unnötig nach oben geschoben). Hierfür stellt die Alte Kirche, die den neuzeitlichen Zentralismus als unannehmbar betrachtet hätte, bereits alle notwendigen Regularien bereit.

Das I. Vatikanum muss also zwingend revidiert werden. Wenn die römisch-katholische Kirche gemäß ihrem Selbstverständnis wirksam zu einer "Hegemonie des Lebensdienlichen" auf dem Globus - wider die Strukturen des Todes - beitragen will, gibt es hierzu keine Alternative. Eine zentralistische Weltkirche wäre schon in der Wurzel kein mögliches Modell für eine sich immer weitende "Ökumene", die die Erdregionen, Weltanschauungen, Religionen und Kulturen zu einer guten Verschwörung im Dienst der gemeinsamen Zukunft aller zu verführen vermag.

Ein Konzil für das 3. Jahrtausend - aber welche Agenda?

Nahezu alle gegenwärtig beratenen Fragen der innerkirchlichen Reform ließen sich ohne dogmatische Entscheide lösen oder zumindest einer Auflösung näher führen. Der Rekurs auf das Fehlen vermeintlich göttlicher Ermächtigungsgesetze hat noch nie überzeugt. Die Beteiligung aller Gläubigen an der Wahl eines Bischofs war z.B. in der Alten Kirche eine - sogar "päpstlich" eingeforderte - Selbstverständlichkeit. Verheiratete Priester gibt es - wie im ganzen ersten Jahrtausend - längst im lateinischen Ritus und in den unierten Ostkirchen. Hier müsste nur die viel beschworene Ökumene mit den Orthodoxen einmal exemplarisch in der Kirchenordnung umgesetzt werden.

Niemand kann dem Papst verbieten, im Zuge neuer Regularien Frauen (als "Laien") in das Kardinalskollegium aufzunehmen. Selbst ein Joseph Ratzinger hat gemäß einer jahrzehntelangen Übung Frère Roger, dem evangelischen Prior der Brüder von Taizé, die Kommunion gereicht.

In Entsprechung zu Revisionen bezogen auf Religionsfreiheit, Todesstrafe oder Atombombe ist auch eine Neuausrichtung in der "Sexualmoral", die so lange als repressives Bindungsinstrument der Kirche missbraucht worden ist, möglich …

Für Menschen guten Willens gäbe es also Wege. Doch die klerikalen Fundamentalisten blockieren auf Schritt und Tritt Lösungen im Rahmen der längst vorhandenen Spielräume, weil sie theologisch völlig nachgeordnete Fragen, die die dogmatischen Grundlagen des Christentums gar nicht berühren, zu Fetischen ("Götzen") machen. Ohne diese Fetische würde offenbar ihr ganzes Religionsgebäude zusammenbrechen.

Deshalb fordern nun im Gegenzug bürgerlich-liberale Erneuerer allen Ernstes ein eigenes Weltkonzil zur Durchführung jener innerkirchlichen Reformen, die Rom - der "blockierte Riese" - vor allem wegen einer fundamentalistischen Minderheit nicht auf dem Wege von Weisheit und evangelischer Freiheit verwirklichen will oder kann. Dann wird am Ende in einer großen Konzilsaula über den Zölibat der römisch-katholischen Kleriker disputiert, während der Planet womöglich schon in Flammen steht.

Vor diesem Hintergrund haben alle Beteiligten, die den zivilisatorischen Ernstfall des 3. Jahrtausends begreifen, die Pflicht, durch gemeinsames Handeln möglichst vieler - miteinander kommunizierenden - Ortskirchen die Reformen in solchen Fragen, die nicht zwingend eine weltkirchliche Uniformität erfordern, von unten her zu ermöglichen.

Denn ein internes "Reförmchen-Konzil" würde die lateinische Weltkirche zu einem Zeitpunkt der globalen Krisis vor der ganzen Weltgesellschaft blamieren. Wieder einmal würde die Kirchenapparatur um sich selbst kreisen, während bereits der Tod von Millionen und Abermillionen Menschen vor der Haustür bereitet wird. Eine solche Blamage, nein Schande muss auf jeden Fall überflüssig gemacht werden.

Indessen bleibt aber keine Zeit mehr, mit der Einberufung einer Versammlung der weltweiten Christenheit noch länger zu warten. Es sollte sich von selbst verstehen, dass diese eben keine Teilsynode zur Beratung konfessioneller Reformfragen etc. sein kann, sondern nur ein wahrhaft Ökumenisches Konzil, auf dem sich alle - nicht nur die römischen Katholiken, nicht nur die Christen - verständigen über eine Agenda des Überlebens und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit der ganzen menschlichen Familie erklären.

Mit einem beschwingten Zivilisations- und Geschichtsoptimismus - wie noch 1962-1965 - lässt sich die "Tagesordnung" freilich nicht mehr ausrichten. Der Ernstfall von Katholizität ist: Jetzt.

Der Verfasser ist examinierter Krankenpfleger, Theologe und Publizist.

Seine Bücher zum Thema:

"Das Lied der Liebe kennt viele Melodien" (vier Auflagen 1997-2005); "Die Fromme Revolte - Katholiken brechen auf" (2009); "Wie die Menschheit eins ist. Die katholische Lehre ‚Humani generis unitas‘ für das dritte Jahrtausend" (2016); "Oscar Romero, die synodale Kirche und Abgründe des Klerikalismus" (2020).

Aktuelles Forschungsprojekt: "Kirche & Weltkrieg".