Schwunghafter Tauschhandel im Dickdarm

Der am dichtesten bevölkerte Körperteil ist auch eine Tauschbörse für Gene, auch für solche, die resistent gegenüber Antibiotika machen

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Bakterien bilden gewissermaßen ein globales genetisches Netz und tauschen DNA untereinander aus. Diese Möglichkeit einer spontanen Gentechnik erhöht und beschleunigt die Anpassungschancen sicherlich in großem Maß. Wissenschaftler konnten jetzt beobachten, dass auch in unserem dicht bevölkerten Darm ein heftiger Tauschhandel zwischen den einheimischen und mit der Nahrung aufgenommenen Bakterien stattfindet, bei dem mitunter auch Gene weiter gegeben werden, die gegen Antibiotika resistent machen.

Bacteroide

Die Wissenschaftler von der University of Illinois haben, wie sie in "Evidence for Extensive Resistance Gene Transfer among Bacteroides spp. and among Bacteroides and Other Genera in the Human Colon" (Appl. Environ. Microbiol. 2001. 67:561-568) schreiben, angeblich erstmals diesen Tauschhandel in unseren Eingeweiden nachweisen können: "Wir haben gezeigt, dass Resistenzgene für Antibiotika", so Abigail Saylers, "im menschlichen Dickdarm wandern können. Im Dickdarm ereignet sich der Genaustausch in einer erstaunlichen Größenordnung. Da geht eine Menge an bakteriellen Mauscheleien ab."

Der Dickdarm ist der am dichtesten bevölkerte Körperteil. An die 1012 Bakterien aus bis zu 500 verschiedenen Arten leben hier in einem Gramm Darminhalt. Manche verteidigen ihren Lebensraum gegen Eindringlinge oder haften an den Darmwänden, so dass sie keinen Platz für Zuwanderer lassen. Bakterien bewohnen nicht nur unsere Innereien, sie beeinflussen sie auch, indem sie beispielsweise wie Bacteroides thetaiotaomicron den Stoffwechsel der Darmzellen zu ihren Gunsten verändern. Insgesamt muss es hier ziemlich darwinistisch zugehen, auch wenn die Nahrung, zumindest bei den Wirten in den reichen Ländern, meist reichlich vorhanden ist. Allerdings müssen sie oft auch Giftiges oder Unverdauliches überstehen, dem sie ausgesetzt werden. Manchmal geraten auch aggressive Bakterien wie manche Stämme der E. coli in den Darm und produzieren Toxine. Durchfall heißt dann, dass die einheimische Bevölkerung den Kürzeren gezogen hat und herausgespült wird.

Wenn dann an diesem dicht besiedelten Ort, der fortwährend von Einwanderungs- und Auswanderungswellen gekennzeichnet ist, auch noch ein heftiger Tauschhandel im Gange ist, bei dem zufällig DNA-Stücke den Besitzer wechseln, dann kann es natürlich gefährlich werden, wenn wir durch die Nahrung immer wieder gegen Antibiotika resistente Bakterien aufnehmen, die ihre Gene an die Darmbewohner weitergeben (Genetisch veränderte Pflanzen doch nicht ungefährlich?). Der Austausch von genetischem Material hat hier noch nichts mit Fortpflanzung zu tun, allerdings handelt es sich bei der Konjugation um eine Form des sexuellen Verhaltens, bei dem zwei Bakterien aneinander rücken und über eine Plasmabrücke Erbmaterial (horizontal, wie man sagt) austauschen, das sie dann in ihr Genom einbauen.

Die Wissenschaftler haben, um die These vom Genaustausch zu überprüfen, Bacteroiden, also bestimmte Darmbakterien, die 1980 vom Anaerobe Laboratory des Virginia Polytechnic Institute gesammelt wurden, mit gleichen Bakterienstämmen vor allem im Hinblick auf Resistenzgene verglichen, die Ende der 90er Jahre von Einzelpersonen oder medizinischen Zentren stammten. Ergebnis war, dass eine signifikante Zunahme der Resistenz gegenüber den Tetrazykline-Antibiotika nachgewiesen werden konnte, die von einem Gen verursacht wurde, das in den 70er Jahren in 23 Prozent der Proben, in den 90er Jahren aber schon in mehr als 80 Prozent der Proben vorhanden war. Ein weniger starke Zunahme der Resistenz, die af zwei Gene zurückführbar ist, wurde gegenüber Erythromyzin festgestellt. "Weil dasselbe Reistenzgen in einer Vielzahl von Bacteroiden-Arten gefunden wurde, glauben wir", so Salyers, "dass sich diese Zunahme über den Zeitraum von drei Jahrzehnten dem horizontalen Gentransfer verdankt."

Auch wenn man schon ohne großes Überlegen Bedenken haben kann, wenn Tieren, die dem Verzehr dienen, Antibiotika in größeren Mengen verabreicht oder in gentechnisch veränderten Nutzpflanzen Resistenzgene eingeführt werden, so belegt der Nachweis des Genaustausches, dass damit nicht bedenkenlos herumgespielt werden sollte: "Beispielsweise füttert man ein Schwein lange Zeit mit Antibiotika. Die Bakterien im Verdauungstrakt werden gegenüber den Antibiotika resistent. Dann wird das Schwein geschlachtet und auf den Markt gebracht. Die Bakterien gelangen in die Fleischprodukte. Der Konsument nimmt sie mit nach Hause und isst diese Bakterien. Ein horizontaler Transfer kann in nun einer Stunde stattfinden."

Natürlich aber können nicht nur die Darmbakterien die Resistenzgene aufnehmen, sie können die Gene auch andere, wirklich gefährliche Bakterien weitergeben, die man dann nicht mehr mit Antibiotika vernichten kann. Und das wird gegenwärtig bereits zum Problem.

Salyers vermutet, dass ein Grund für den verstärkten Sex der Bakterien in den Antibiotika selbst liegen könnte. So sollen die Tetrazykline horizontalen Gentransfer auslösen: "Tetrazykline sind eine Aphrodisiakum für Bakterien und bringen sie dazu, die Resistenzgene weiter zu geben. Das lässt vermuten, dass diese Orgie des horizontalen Gentransfers mit der weiten Verbreitung der Tetrazykline in den Menschen während der letzten Jahrzehnte zu tun haben könnte." Aber das ist vorerst noch eine Vermutung, die ebenso weiter untersucht werden muss wie die Frage, ob auch andere Bakterien als die Bacteroiden in unserem Körper einen ähnlichen Tauschhandel oder eine vergleichbare Orgie veranstalten.