Science Fiction für das US-Heimatschutzministerium

Um die Nation besser gegen mögliche Terroranschläge zu schützen und neue Sicherheitstechniken zu entwickeln, hat das Heimatschutzministerium Science Fiction-Autoren eingeladen, die für verrückte Ideen sorgen sollen

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Alles ist möglich, wenn es um Terrorismus bzw. um denkbare Terroranschläge geht. Dem Thema haben sich neben den Terrorexperten Kino und Thriller schon lange vor dem 11.9. angenommen, um möglichst perfide, schreckliche oder auch künftig vielleicht mit neuen Mitteln ausführbare Szenarien vorzuführen. Die Anschläge vom 11.9., die selbst wie die Umsetzung einer Kinovorlage wirkten, haben Fantasie und Kreativität beim Erfinden von Anschlagsszenarien noch einmal nachhaltig verstärkt.

Im US-Heimatschutzministerium, das nach dem 11.9. zur Abwehr von äußeren und inneren Terrorbedrohungen gegründet wurde und seitdem mit viel Geld versucht, möglichst umfassende Überwachungs- und Vorsorgemaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, hat man offenbar Sorge, dass die Vorstellungskraft für das Mögliche bürokratisch gelähmt sein könnte. Zwar wird seit Jahr und Tag an den Szenarien von Anschlägen mit biologischen, chemischen und nuklearen Massenvernichtungswaffen oder von Cyberangriffen gearbeitet, die die Infrastruktur des Landes lahm legen, auch wenn derartiges noch gar nicht geschehen ist, aber da man nie wissen kann, ob man nicht doch etwas versäumt, wurden nun vom Heimatschutzministerium Science-Fiction-Autoren zu einem Brainstorming eingeladen. Schließlich bemängelte die 9/11-Untersuchungskommision in ihrem Bericht, dass die Anschläge auch aus einem "Mangel an Vorstellungskraft" hätten realisiert werden können.

Allerdings war die Gruppe, die sich SIGMA nennt und deren Mitglieder sich selbst großspurig als "Think Tank von patriotischen Science Fiction-Autoren" bezeichnen, auch sehr bemüht, in die hohe Politik aufzusteigen. Vor 15 Jahren wurde die Gruppe bereits gegründet, um die Regierung zu beraten. Um dabei zu sein, muss man mindestens in einem technischen Fach promoviert sein. Zuletzt traf man sich offensichtlich Ende der 90er Jahre, als es darum ging, sich zusammen mit Wissenschaftlern der Regierung vorzustellen, welche Folgen ein nuklearer Winter haben könnte.

Die Autoren durften letzte Woche an der Homeland Security Science and Technology Stakeholders Conference teilnehmen und ihre Ideen für das Programm High Impact Technology Solutions (HITS) beisteuern. Für das Programm stehen dieses Jahr 7 Millionen Dollar zur Verfügung, die bereits in Forschungsprojekte fließen, beispielsweise in die Entwicklung von Cell-All (Detektor für biologische und chemische Waffen), in die eines kleinen biometrischen Scanner oder in eine Technik zur Entdeckung unterirdischer Tunnels. Gestartet wurde das Programm von der Abteilung für Wissenschaft und Technik des Heimatschutzministeriums. Betreut werden die Projekte von der Homeland Security Advanced Research Projects Agency (HSARPA), die damit ähnlich wie die Darpa, die Forschungsbehörde des Pentagon, auch in exotische Techniken investieren will. Gefördert werden sollen außergewöhnliche Forschungsprojekte mit einer zwar geringen Erfolgswahrscheinlichkeit, aber weitreichenden Vorteilen, falls doch etwas daraus entstehen sollte.

Arlan Andrews, Gründer von SIGMA, ist überzeugt, dass Männer wie er, die "während ihrer ganze Karriere in der Zukunft gelebt haben", für die Bürokraten und Sicherheitsangestellten unabdingbar seien. Um die Nation vor verheerenden Anschlägen zu schützen, "brauchen sie Menschen, die sich verrückte Ideen ausdenken". Das könnte freilich genau für diejenigen zutreffen, die nach neuen Ideen für Anschläge Ausschau halten. Für Christopher Kelly, dem Sprecher der Abteilung für Wissenschaft und Technik, haben SF-Autoren jedenfalls etwas zu bieten:

Vor 50 Jahren haben uns Science Fiction-Autoren von fliegenden Autos und einem drahtlosen tragbaren Kommunikator erzählt. Auch wenn fliegende Autos nicht entstanden sind, gehören Handys heute zum Alltag. Wir müssen überall nach Ideen schauen und Science Fiction-Autoren bereichern sicherlich die Debatte.

"Wir spielen mit allem What if durch", meinte beispielsweise die Autorin Sage Walker. Greg Bear, von dem Bücher auch auf deutsch erschienen sind, ist der Meinung, dass sich SF-Autoren nicht nur neue mögliche Anschlagsarten ausdenken, sondern auch Ideen entwickeln können, wie Regierungen und Menschen auf Anschläge reagieren und welche Techniken diese verhindern könnten. Zudem meint er, deswegen für das Ausdenken von künftigen Sicherheitsproblemen zuständig zu sein, weil SF-Autoren "mit vielen seltsamen Menschen sprechen und eine Menge verrückten Sachen lesen". Bear schlug auf der Konferenz, Wissenschaftler, die sich mit Biometrik beschäftigen, mit Experten für Spezialeffekte im Film zusammenzubringen. Diese könnten etwa dabei helfen, wie man mit einem unscharfen Foto eines bekannten Terroristen einen Menschen auf einer Überwachungskamera identifiziert.

Und während man im Heimatschutzministerium Hilfe bei der Fantasie sucht, scheinen manche SF-Autoren mit der Fiktion unzufrieden zu sein. So meinte der Autor Larry Niven, dass sie in der Fiktion die Zivilisation retten: "Warum sollten wir dies nicht tatsächlich tun?"

Auf der Konferenz entwickelten die Autoren von einem Material, das sich in einen Panzer verwandelt, wenn es von einer Kugel getroffen wird, von einen Medikament gegen Selbstmordattentäter oder Satelliten, die Sonnenenergie auf die Erde strahlen. Jay Cohen, der Leiter der Abteilung für Wissenschaft und Technik, scheint begeistert zu sein, weil er glaubt, dass die Science Fiction vor 20 Jahren die Wirklichkeit von heute sei: "Ich erwarte Fehlschläge, aber wenn wir Erfolg haben, können wir die Welt retten." Davon werden freilich nicht alle überzeugt sein.