Securitate 2.0?

Wie der rumänische Geheimdienst die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechtsstaatlichkeit untergräbt

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Dana Girbovan (37) ist Richterin am Berufungsgericht in Cluj-Napoca (Klausenburg) in Rumänien. Als Präsidentin der Nationalen Union rumänischer Richter (UNJR) leitet sie die Kampagne rumänischer Richter gegen die Unterwanderung der Justiz durch den rumänischen Geheimdienst SRI. Unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung hat der SRI seine Einflussnahme derart ausgedehnt, dass die Unabhängigkeit und die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleistet zu sein scheinen.

Die Angelegenheit hat dazu geführt, dass einige internationale Organisationen von Richtern bereits ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht haben, während die EU zögert, die rumänische Justiz zu unterstützen, da sie den Kampf gegen die Korruption nicht behindern will, der bislang als Erfolgsstory gilt.

Aber man erzielt keine Erfolge im Kampf gegen Korruption und erhält auch keine starken demokratischen Institutionen, indem man den Rechtsstaat opfert. Die Präsidentin der Nationalen Union rumänischer Richter über den Kampf gegen eine zögerliche Administration und einen sehr entschlossenen Geheimdienst.

Frau Girbovan, Ihnen zufolge untergräbt der rumänische Geheimdienst die Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien. Wie wurde die Verwicklung des SRI entdeckt?
Dana Girbovan: In den vergangenen 25 Jahren hielt sich der Einfluss des Geheimdienstes in der Justiz als hartnäckiges Gerücht. Im April 2015 wurde dieser Skandal dann öffentlich bestätigt, als General Dumitru Dumbrava, der Direktor der Rechtsabteilung des SRI, in einem Interview erklärte, der SRI "würde sich nicht vom taktischen Feld zurückziehen, sobald Anklage bei Gericht erhoben wurde", der SRI würde vielmehr "(…) sein Interesse aufrechterhalten, bis jeder Fall abgeschlossen ist".
Er gab auch bekannt, dass der SRI Profile von Richtern anlegt, um Muster kriminellen Verhaltens zu entdecken, selbst wenn es keinerlei Verdachtsmomente dafür gibt. Das führte zu ernsthaften und berechtigte Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der rumänischen Justiz, insbesondere weil dem SRI Eingriffe bei Gerichten und Staatsanwaltschaft gesetzlich verboten sind.
Eduard Hellvig, der aktuelle SRI-Direktor, verschlimmerte die Angelegenheit noch, indem er am 25. Jubiläum des SRI feststellte, dass die Justizangehörigen überwacht werden müssten, "damit Situationen der Vergangenheit angehören, in denen Richter und Staatsanwälte unterwegs auf der Straße vergessen, dass sie dem rumänischen Staate dienen und stattdessen anderen Beschäftigungen nachgehen". Ehrengast des Festaktes war General Iulian Vlad, der letzte Chef der Securitate, der ehemaligen kommunistischen Geheimpolizei.
Der ehemalige SRI-Direktor George Maior beschrieb den SRI auf demselben Festakt als "eine Art Gehirn des Staates, die Augen und Ohren des Staates". Wenn jemand wie Maior, der den Geheimdienst neun Jahre lang leitete und sich mit dessen Modernisierung brüstet, den SRI nicht nur als Geheimdienst, sondern als Gehirn des Staates darstellt, wird es schwierig, von einer unabhängigen Justiz zu sprechen, wenn der Staat vom Geheimdienst kontrolliert wird.
Die Einstellung der Geheimdienstführung ist vor allem aber deshalb sehr besorgniserregend, weil ein Richter in einer Demokratie nicht dem Staat dient, sondern dem Recht. Vor dem Richter müssen Bürger und Staat gleich sein.
Diese Stellungnahmen zeigen die rückwärtsgewandte Mentalität der SRI-Führung, die dem Rechtsstaat entgegensteht und nach der brutalen Vergangenheit der Securitate klingt. Nach dem Fall des Kommunismus wurde es dem Geheimdienst SRI per Gesetz verboten, in der Strafverfolgung tätig zu werden und Bürger festzunehmen oder zu inhaftieren. Damit sollte eine Wiederholung grober Menschenrechtsverletzungen vermieden werden, wie sie von der Securitate begangen worden waren.
Man muss die Befürchtungen der Richter vor dem Hintergrund des Kommunismus in Rumänien verstehen, als man feststellte, dass der Geheimdienst versucht, Kontrolle über die Justiz auszuüben. Die kommunistische Justiz Rumäniens war kein Element der Gewaltenteilung wie in westlichen Demokratien, in denen Legislative, Exekutive und Judikative voneinander unabhängig eine gegenseitige Kontrolle ausüben. Dem Stalinismus verpflichtet, war die ehemalige Geheimpolizei Securitate in der Justiz aktiv. Damit war die Justiz nicht eine von anderen deutlich getrennte staatliche Gewalt, sondern eine bloße Funktion des Staates in den Händen von Staatsanwälten und der Securitate. Dieses System war von sowjetischen Beratern in Rumänien implementiert worden. Folglich waren Geheimdienstangehörige als Staatsanwälte oder Richter tätig und führten Strafverfolgungen durch. Diese Einheit war für einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, wie z.B. die Inhaftierung oder Exekution Unschuldiger nach einem Schauprozess.
In einem Interview gab der frühere Präsident Traian Basescu an, der Höchste Nationale Verteidigungsrat (CSAT) hätte "massiv Verantwortung" an den SRI übertragen, der gemischte Teams mit Staatsanwälten bilden sollte, um "Korruption innerhalb der Justiz zu identifizieren und zu bekämpfen".
Der rumänische Präsident ist für die nationale Sicherheit verantwortlich und führt zum Zwecke der Geheimdienstkoordination den CSAT-Vorsitz. Diese Entscheidung des nationalen Verteidigungsrates CSAT verletzt nicht nur das Gesetz, indem es dem SRI die Möglichkeit eröffnet, Dinge zu tun, die ihm gesetzlich verboten sind. Mit dieser Entscheidung werden Richter zum Ziel verdeckter Ermittlungen die ganz klar die Unabhängigkeit der Justiz gefährden.
Eine unabhängige Justiz bedeutet nicht nur, dass Staatsanwälte frei über die Erhebung einer Anklage entscheiden können, unabhängig davon, welches öffentliche Amt der Angeklagte bekleidet. Zunächst bedeutet eine solche Unabhängigkeit, dass jeder Bürger das Recht hat, von einem unabhängigen und unparteiischen Richter gehört und beurteilt zu werden, ausschließlich aufgrund des Gesetzes und seines Gewissens. Um dies zu garantieren, müssen Richter vor jeder Art von Druck oder Einfluss, direkt oder indirekt, offen oder verdeckt, durch Personen und Organisationen geschützt werden.

Ein Securitate-Netzwerk unter Richtern und Staatsanwälten existiert bis heute

Wie reagieren die Richter in Rumänien auf diese Enthüllungen?
Dana Girbovan: Aufgrund dieser Aussagen und der totalitären Geschichte Rumäniens forderte die UNJR die verantwortlichen Stellen in Rumänien auf, das Ausmaß der Einflussnahme des SRI auf die Justiz auf transparente Art und Weise zu klären. Die Regierung weigert sich aber seit einem Jahr die entsprechenden Entscheidungen des CSAT zu veröffentlichen, da es sich um "Staatsgeheimnisse" handele. Indem sich die Regierung weigerte, diese Entscheidungen zu veröffentlichen, hat sie Rumänien von einem Rechtsstaat in einen Staat transformiert, der mittels geheimer Beschlüsse der Administration regiert und von Geheimdiensten kontrolliert wird.
Parallel dazu forderte die UNJR zusammen mit hunderten Richtern in einer Petition den Hohen Rat der Magistratur (CSM) dazu auf, die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen und öffentlich zu klären, was es damit auf sich hat, dass die Justiz laut General Dumbrava "ein taktisches Feld" des SRI ist. Der Hohe Rat der Magistratur hat die verfassungsrechtliche Aufgabe, die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren. Daher wäre es für den CSM dringend geboten gewesen, den Einfluss des SRI zu klären, um der Öffentlichkeit versichern zu können, dass die Justiz weiterhin unabhängig ist. Leider hat der CSM genau dies nicht gemacht.
Aufgrund einer als geheim eingestuften Antwort des SRI entschied der CSM, die Unabhängigkeit der Justiz sei nicht durch den SRI gefährdet. Solange aber der CSM diese Antwort geheim hält, werden die rumänischen Bürger berechtigterweise Zweifel an Gerichten und Richtern haben.
In der Zwischenzeit berichten die Medien von Richtern und Staatsanwälten in Schlüsselpositionen, die Doktortitel an der SRI-Akademie erhalten hatten. Diese Akademie gehört nicht nur zum Zuständigkeitsbereich des SRI, das ist die Schule in der künftige SRI-Offiziere und Spione ausgebildet werden.
Mit finanzieller Unterstützung der EU initiierte diese Akademie im Sommer 2015 ein Trainingsprogramm, für das sie gezielt 1000 Richter und Staatsanwälte auswählte, von denen 500 in Führungspositionen bei Gericht und Staatsanwaltschaft zu sein hatten. Die Teilnehmer mussten persönliche Informationen preisgeben und wurden am Ende von Geheimdienstmitarbeitern beurteilt.
In Rumänien gibt es insgesamt 4700 Richter in den Bereichen Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht, sowie 2800 Staatsanwälte. Wenn 1000 Richter und Staatsanwälte vom Geheimdienst ausgebildet wurden, hätte das einen enormen Einfluss auf die Justiz. Um das Ausmaß beurteilen zu können, hat die UNJR die SRI-Akademie aufgrund des rumänischen Informationsfreiheitsgesetzes um die Namen aller Teilnehmer gebeten. Das Auskunftsbegehren wurde abgelehnt, weshalb die UNJR diesbezüglich eine Klage einreichte, die derzeit noch anhängig ist.
Selbstverständlich stellen korrupte Staatsanwälte und Richter auch ein Risiko für das Vertrauen in die Justiz dar. Aber die Justiz verfügt über die nötigen Mittel und Verfahren, um solche Magistrate zu identifizieren, deren Vergehen zu untersuchen und vor Gericht zu stellen, ganz ohne Geheimdienst, der keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt.
Richter und Staatsanwälte sind gezwungen, ihr Einkommen zu veröffentlichen, sowie Verbindungen zu Verwandten, die ebenfalls in der Justiz tätig sind, um Interessenkonflikten vorzubeugen. Diese Angaben müssen jährlich aktualisiert werden und sind auf der Homepage des Hohen Rates der Magistratur öffentlich einsehbar. Transparenz und Rechenschaftspflicht sind die besten Maßnahmen um Korruption in der Justiz vorzubeugen, und an beidem fehlt es völlig bei Geheimdiensten.
Um EU- und NATO-Mitglied werden zu können, musste Rumänien doch eigentlich seine Geheimdienste reformieren. Gibt es Hinweise darauf, dass der SRI nicht nur versucht, die Justiz zu beeinflussen, sondern direkt Agenten in die Gerichte eingeschleust hat, wie es während des Ceausescu-Regime üblich war?
Dana Girbovan: Die Securitate hatte tatsächlich Geheimagenten, Informanten und sonstige Mitarbeiter unter Staatsanwälten und Richtern. Nach dem Kollaps des Kommunismus gab es leider kein Lustrationsgesetz wie in vielen anderen ehemaligen kommunistischen Staaten. Daher existiert ein Securitate-Netzwerk unter Richtern und Staatsanwälten bis heute. Der ehemalige Justizminister Rodica Stanoiu war zum Beispiel ein Mitarbeiter der Securitate, was sogar gerichtlich festgestellt wurde.
1997 gab es die ersten Anzeichen, dass Agenten direkt involviert waren, als der damalige Justizminister Valeriu Stoica einen Geheimdienst gründete, der unter seiner Aufsicht Informationen über Korruption in der Justiz sammeln sollte. Der ursprüngliche Zweck war zwar sinnvoll aber dieser Geheimdienst degenerierte schnell. Monica Macovei, eine andere ehemalige Justizministerin, löste diesen Geheimdienst auf, da er nicht nur Informationen sammelte, sondern auch Richter und Staatsanwälte erpresste.
Seit dem Jahr 2004 ist es Richtern und Staatsanwälten gesetzlich verboten, Geheimagent oder in sonstiger Weise Mitarbeiter in jeder Art von Geheimdienst zu sein. Seither müssen Richter, Staatsanwälte und anderes Justizpersonal jährlich unter Strafandrohung eine Erklärung abgeben, dass sie weiterhin nicht für Geheimdienste tätig sind. Diese Erklärungen müssen vom CSAT bestätigt werden.
Als der ehemalige rumänische Präsident Traian Basescu (2004-2014) nach seiner zweiten Amtszeit 2015 berichtete, dass Geheimagenten in der Justiz tätig sind, beantragten wir die Bestätigung besagter Erklärungen durch CSAT. Nach langem Druck bestätigte CSAT Anfang 2016 diese Erklärungen öffentlich. Akteneinsicht wurde den Richtern jedoch verwehrt, weshalb unbekannt ist, auf welche Weise CSAT die Bestätigung der Erklärungen vorgenommen und seine offizielle Entscheidung gefällt hat.
Die UNJR hat daraufhin Klage auf Akteneinsicht erhoben. Am Tag nach der Pressemitteilung verschärfte der Chef des Präsidialamtes die Situation, indem er erklärte, CSAT sei nicht in der Lage zu überprüfen, ob Geheimagenten in der Justiz tätig seien. Sebastian Ghita, ein Mitglied des parlamentarischen Geheimdienstausschusses erklärte zudem, dass "rumänische Geheimdienste Informanten und Agenten in Politik und Justiz haben müssten".
Niemand kann einer Demokratie und Justiz vertrauen, die von Geheimagenten unterwandert ist. Eine derart unterminierte Justiz gefährdet auch die gerichtliche Kontrolle über die Geheimdienste, die einen wichtigen Schutz von Demokratie und Menschenrechten darstellt. In einer Demokratie haben die Gerichte die Aufgabe die Geheimdienste zu überwachen und nicht umgekehrt. Im Fall Klass v. Federal Republic of Germany, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) klar eine gerichtliche Kontrolle bevorzugt und festgestellt, dass "Rechtsstaatlichkeit unter anderem beinhaltet, dass die Beeinträchtigung von Rechten einer Person durch die Exekutive einer effektiven Kontrolle unterliegen soll, die normalerweise von der Justiz zu gewährleisten ist und zwar spätestens in letzter Instanz, da eine gerichtliche Kontrolle die beste Garantie für Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und ein ordentliches Verfahren darstellt".
Auch die Rechtsanwälte sind offenbar von Geheimagenten unterwandert. Der rumänische Senat verabschiedete kürzlich einige Änderungen des Rechtsanwaltsgesetzes, die ihnen eine Tätigkeit als Geheimagenten, Informanten oder Mitarbeiter von Geheimdiensten untersagte. Eine der Änderungen erforderte, dass Anwälte jede Art von Verhältnis mit der Securitate offenlegen müssen. All diese Änderungen wurden vom Rechtsausschuss der Abgeordnetenkammer eliminiert, was darauf schließen lässt, dass es Geheimdienstmitarbeiter sogar unter Anwälten und Politikern gibt. Nach öffentlichem Druck wurden die Änderungen wieder in das Gesetz aufgenommen.
Der Kommunismus brach in Rumänien vor 26 Jahren zusammen, also vor nur einer Generation. Die Mentalität der staatlichen Einrichtungen und der Mehrheit der Bürger hat sich nicht über Nacht geändert, nur weil der Diktatur eine neue Art Regierung folgte. Ein Mentalitätswechsel erfordert Zeit, Transparenz und Kontrolle, besonders nach einem repressiven Regime. Rumänien hatte ein besonders brutales kommunistisches Regime, das durch die Securitate aufrechterhalten wurde.
Eigentlich hätte sich eine effektive und starke demokratische Kontrolle über die Geheimdienste herausbilden sollen, um den Horror der Vergangenheit zu bannen, quasi als Antikörper der Zivilgesellschaft. Aber das ist in Rumänien nicht passiert, zivile Kontrolle war einfach kein Thema des politischen Diskurses. Ein starker Geheimdienst mit weitreichendem Einfluss in allen staatlichen Einrichtungen, sogar in der Justiz, wurde als natürlich, akzeptabel und sogar als notwendiger Arm der Regierung erachtet.
Der Kampf gegen die Korruption in den letzten Jahren war ganz klar nötig und wurde massiv vom Westen unterstützt. Die Korruptionsbekämpfung war aber gleichzeitig die ideale Tarnung für den SRI, um allmählich seinen Einfluss in der Justiz wieder auszuweiten, bis er heute im Jahr 2016 wieder über einen Teil der Macht verfügt, den auch schon die Securitate hatte.
Es ist unsere Pflicht, die Öffentlichkeit über die abnormale Situation in Rumänien aufzuklären und den Geheimdienst aus der Justiz zu verdrängen, denn nur so ist die Unabhängigkeit der Justiz aufrecht zu erhalten und können künftigen Menschenrechtsverletzungen vorgebeugt werden.
Können Sie bitte erklären, was es bedeutet, wenn der SRI wieder einen Teil des Einflusses hat, über den bereits die Securitate verfügte?
Dana Girbovan: Nach öffentlichem Druck durch den SRI erließ Ministerpräsident Dacian Ciolos im Frühjahr 2016 eine Notverordnung, die den SRI zu einem "Spezialorgan zur Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen" in bestimmten Fällen machte. Mit der prinzipiellen Ermächtigung strafrechtlich zu ermitteln hat die derzeitige rumänische Regierung dem SRI eine Befugnis erteilt, die schon die Securitate hatte. Genau das war aber den Geheimdiensten nach dem Kommunismus verboten worden, auch wenn sie sich all die Jahre zuvor darüber hinwegsetzten.
Beim SRI handelt es sich übrigens um eine Art militärischen Geheimdienst, das heißt, er funktioniert wie eine Einheit der Armee. Es gibt zwar einen zivilen Direktor, der politisch ernannt wird, aber die Operationen werden von einem General angeordnet und organisiert. Der SRI wird von der Legislative kontrolliert und von der Exekutive koordiniert. Die Justiz ist jedoch als Judikative eine eigenständige Gewalt im Staat mit unabhängigen Staatsanwälten und Richtern. Die Rechtsprechung muss sich an das Gesetz halten, öffentlich und jedermann zugänglich sein. Eine Einwirkung durch den SRI stellt daher eine Verletzung der Gewaltenteilung dar, da die Legislative und Exekutive die Judikative beeinflussen.
Hat der SRI bereits versucht, Sie persönlich zu beeinflussen und welche Erfahrungen haben andere Richter bislang gemacht?
Dana Girbovan: Der SRI braucht einem Richter nicht persönlich zu sagen, welches Urteil von ihm erwartet wird, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Eine Möglichkeit, das Gerichtsverfahren zu beeinflussen, ist die Manipulation oder Unterdrückung von Beweismitteln.
Bislang war der SRI das einzige Staatsorgan, das Telefongespräche abhören konnte. Alle Server werden von einer militärischen SRI Einheit geschützt, selbstverständlich sind diese als Staatsgeheimnis deklariert und Zivilisten haben keinen Zutritt. Staatsanwälte und Rechtsanwälte müssen sich auf Abschriften oder Kopien der Aufnahmen verlassen, die vom SRI zur Verfügung gestellt werden. In einigen Fällen konnten unabhängige Experten nachweisen, dass die Aufnahmen des SRI manipuliert worden waren. Teile waren gelöscht oder Segmente unterschiedlicher Gespräche so zusammengeschnitten worden, dass sie den Angeklagten belasteten. In anderen Fällen entsprachen die Abschriften nicht den Aufnahmen, da bestimmte Wörter geändert worden waren.
Kürzlich verlangte ein Richter vom Staatsanwalt, die CD mit der Aufnahme vorzuspielen, um die Richtigkeit der Abschrift zu überprüfen. Der Richter war ausgesprochen überrascht, als sich herausstellte, dass die CD Volksmusik statt des erwarteten Gesprächs enthielt.
Rumänische Staatsanwälte sind gesetzlich verpflichtet, Beweise für Anklage und Verteidigung gleichermaßen zu sammeln, da das Ermittlungsverfahren der Wahrheitsfindung dienen soll. Aber nur unabhängige Staatsanwälte können diesem Ziel dienen. Ein Geheimagent unter militärischem Befehl erfüllt diese Grundvoraussetzungen natürlich nicht. Man kann schlecht von Chancengleichheit und fairen Verfahren sprechen, wenn der SRI die vollständige Kontrolle über die Server und die aufgenommenen Gespräche hat und wenn er entlastende Beweise manipulieren oder unterdrücken kann.
Geheimdienstinformationen zusammentragen, ist übrigens etwas komplett anderes, als Beweismittel für einen Strafprozess zu sammeln. Ersteres findet im Geheimen statt, manchmal in den Grauzonen der Legalität, während Beweismittel für das Gericht strafrechtlichen Qualitätsanforderungen entsprechen müssen, um vor Gericht verwertbar zu sein. Gerechtigkeit entsteht, indem man sich an Gesetze hält, nicht an geheime Befehle.

"Der Geheimdienst wird langsam zu dem Gehirn des Staates, das alles kontrolliert"

Nachdem die Sicherheitsorgane normalerweise Befehle ausführen, wäre es interessant zu wissen, wer den Befehl zu einem solchen Programm gegeben hat. Außerdem ist es erstaunlich, dass der gegenwärtige Präsident Iohannis das Programm des vormaligen Präsidenten Basescu weiterführt. Warum bleibt die neue Regierung in diesem speziellen Punkt bei der Geheimdienstpolitik der vorigen?
Dana Girbovan: Als Traian Basescu 2004 Präsident wurde, erklärte er Korruption zu einer Bedrohung für die nationale Sicherheit und dass er den SRI zur Korruptionsbekämpfung einsetzen würde. Um das Gesetz umgehen zu können, das eine Einflussnahme des SRI auf die Justiz verhindert, hat die damalige Regierung mehrere geheime Entscheidungen im CSAT gefällt. So wurde Korruption zu einer Bedrohung für die nationale Sicherheit. Mit dieser Entscheidung wurde der SRI, der bislang für nationale Sicherheit zuständig war, auch für Strafverfolgungen verantwortlich, obwohl Korruption ein Vergehen ist, das dem Strafgesetzbuch entsprechend strafbar und eigentlich nur von Staatsanwälten zu verfolgen ist.
CSAT ist aber nur ein administratives Organ ohne legislative Befugnisse wie das Parlament. Daher haben Beschlüsse von CSAT lediglich Verwaltungscharakter ohne die Rechtskraft von Gesetzen, die vom Parlament erlassen werden. Seit Ministerpräsident Ciolos den SRI zum "Spezialorgan für Strafverfolgungen" machte war der SRI mindestens zwischen 2004 und 2016 aufgrund dieser geheimen Beschlüsse der Verwaltung unter Verletzung geltenden Rechts in der Justiz aktiv.
Der amtierende SRI Direktor Eduard Hellvig verkündete anlässlich der Veröffentlichung des Berichts des Nationalen Antikorruptionsdirektorats (DNA) für das Jahr 2015: "Der SRI ist ein Mitglied der Mannschaft, die die Korruption bekämpft und ich möchte Ihnen für die wunderbaren Resultate im Jahr 2015 danken. [...] Aus der Sicht des SRI stellt die Korruptionsbekämpfung eine Priorität von strategischer Bedeutung dar. [...] In Kooperation mit dem DNA setzt der SRI Mitarbeiter, administrative und technische Ressourcen in den höchsten Stufen ein. Das entspricht hunderten gemeinsamer Einsatzteams, die eine erfolgreiche interinstitutionelle Partnerschaft darstellen." Zudem stellt der SRI in seinem Bericht Verurteilungen wegen Korruption als eigene Leistung dar.
Der amtierende Präsident Klaus Iohannis hat dem noch sein Konzept der "ausgeweiteten nationalen Sicherheit" hinzugefügt. Auf diesem Konzept basierend entwickelte der nationale Verteidigungsrat CSAT eine nationale Verteidigungsstrategie, derzufolge unter dem Schirm der "nationalen Sicherheit" ziemlich alle Bereiche der rumänischen Gesellschaft erfasst werden: Erziehung, Landwirtschaft, Justiz und Umweltschutz, sogar Demografie. SRI ist der Geheimdienst, der für die nationale Sicherheit zuständig ist und durch das Iohannis'sche Konzept der "ausgeweiteten nationalen Sicherheit" wird dieser Geheimdienst tatsächlich langsam zu dem Gehirn des Staates, das alles kontrolliert.
In Europa ist ein genereller Trend zu beobachten, wonach Regierungen mittels ihrer Geheimdienste die Kontrolle unterschiedlicher Bereiche der Gesellschaft zu übernehmen versuchen, vor allem die Justiz. Wenn diese Entwicklung nicht bald aufgehalten wird, zerstört sie die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in all diesen Staaten, inklusive in Rumänien.
Dieses Jahr hat das rumänische Verfassungsgericht entschieden, dass der SRI in normalen Kriminalfällen keine Abhöraktionen durchführen darf. Wie hat sich diese Entscheidung auf die Gesetze ausgewirkt und hat sie die Arbeit des Geheimdienstes irgendwie behindern können?
Dana Girbovan: Im Februar 2016 hat das rumänische Verfassungsgericht (RVG) einen Artikel der Strafprozessordnung für verfassungswidrig erklärt, aufgrund dessen die Staatsanwälte Abhöraktionen bei gewöhnlichen Straftaten vom SRI durchführen lassen mussten. Das Verfassungsgericht bestätigte, dass der SRI nur in Fällen der nationalen Sicherheit abhören darf, nicht aber bei normalen Straftaten.
Damit hat das RVG die Entwicklung wieder in den Bereich der Legalität zurückgeführt. Bereits 2002 hatte CSAT den SRI per Geheimbeschluss zum "Organ für Abhöraktionen" gemacht. 2008, vor dem NATO-Gipfel in Bukarest, nutzte der SRI die Gelegenheit und setzte einen CSAT-Beschluss durch, der SRI zur einzigen Behörde für Abhöraktionen in Rumänien machte. Seither waren alle Staatsanwälte gezwungen, sich auch in gewöhnlichen Ermittlungen an den SRI zu wenden, was eine permanente Rechtsverletzung darstellt.
Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts mussten alle Abhörmaßnahmen des SRI unterbrochen werden, soweit sie sich auf Straftaten bezogen, die nicht die nationale Sicherheit betrafen. Allerdings hat keine andere Institution in Rumänien die nötigen technischen Mittel mehr, seit der Nationale Sicherheitsrat in seinem Geheimbeschluss den SRI für allein zuständig erklärte.
Von einem verfassungsrechtlichen Standpunkt aus wäre die richtige Lösung die Gründung einer zivilen Behörde gewesen, die wie in jeder richtigen Demokratie das Abhören durchzuführen hat. Rumänien nutzt nun ein Abhörsystem, das dem russischen ähnelt. Der Noterlass, den Ministerpräsident Ciolos dieses Frühjahr unterzeichnet hat, sollte dem SRI zwar nach dem Verfassungsgerichtsurteil die Kontrolle über das Abhörsystem sichern. Aber auch er verstößt sicher gegen die Prinzipien eines fairen Verfahrens und wird voraussichtlich ebenfalls vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden.
Wie reagierten die Medien auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts, die Abhörpraxis durch den SRI in normalen Strafrechtsfällen für verfassungswidrig zu erklären?
Dana Girbovan: Die meisten Medien berichten nur oberflächlich und häufig sogar einseitig, wenn es um Korruptionsbekämpfung geht. Der ehemalige Direktor des SRI, George Maior, bestätigte auch, dass der SRI Agenten und Mitarbeiter unter den Journalisten hat. Daher ist eine negative Berichterstattung über den SRI generell nicht zu erwarten.
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat kürzlich festgestellt, dass die Medien in Rumänien "manipuliert und ausspioniert" werden und dass Geheimdienste die Belegschaften unterwandert hätten. Active Watch, eine weitere Organisation, die sich für Menschenrechte und Pressefreiheit einsetzt, berichtet, dass "die Infiltration von Nachrichtenagenturen durch Geheimdienste auch 2015 wieder bestätigt werden konnte".
Die Reaktion mehrerer Leute in den Medien war typisch für den Einfluss des Geheimdienstes in den Medien, als die UNJR versuchte, die Öffentlichkeit über die Unterwanderung der Justiz durch Agenten zu informieren. Anstatt das Thema weiter investigativ zu untersuchen haben einige Journalisten, auch solche, die die Korruptionsbekämpfung unterstützen, das Thema heruntergespielt und behauptet, unsere Anstrengungen seien sinnlos, da die Justiz die Agenten ohnehin nicht enttarnen könne.
Dieselben Medienleute griffen auch das Verfassungsgericht massiv an, nachdem es die Abhörpraxis des SRI für verfassungswidrig erklärt hatte. In der Zeit zwischen Urteilsspruch und der Bekanntgabe der Urteilsbegründung übten die Medien sogar Druck wie nie zuvor auf das Verfassungsgericht aus, bis hin zu Drohungen. SRI Direktor Eduard Hellvig erklärte sogar öffentlich, das Verfassungsgericht stelle eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar. Die Medien veröffentlichten sogar vorab einen Entscheidungsentwurf des Verfassungsgerichtes um die Richter zu zwingen, ihr Urteil zu ändern. Obwohl ein solcher Druck auf das Verfassungsgericht mit einem Rechtsstaat nicht kompatibel ist, gab es sehr wenig Stimmen in Medien und Zivilgesellschaft, die dagegen Stellung bezogen hätten.
Traurigerweise schwiegen selbst solche NGOs zu den Attacken auf die rumänische Demokratie, die von der EU Kommission Gelder zur Förderung der Demokratie und des Rechtsstaates in Rumänien erhalten hatten.
Wenn man einen Geheimdienst wie den SRI als Ermittlungsbehörde und wie ein Organ der Justiz agieren lässt, öffnet dies Tür und Tor für Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen. Dieses Risiko wurde bereits 1999 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates erkannt: "Inlandsgeheimdienste sollten nicht als Strafverfolgungsbehörden eingesetzt und nicht für Ermittlungen, Festnahmen oder Haft zuständig sein. Aufgrund des hohen Missbrauchsrisikos dieser Befugnisse und um eine Duplizierung traditioneller Polizeiarbeit zu vermeiden, sollten solche Aufgaben ausschließlich von Polizeibehörden vorgenommen werden."
Wenn Medien und Zivilgesellschaft schweigen, oder den Machtzuwachs des SRI loben, ist das ein Zeichen dafür, dass die Demokratie in Rumänien gefährdet ist, da sowohl Medien als auch Zivilgesellschaft in Rumänien ihre Kontrollfunktion nicht mehr erfüllen.
Monica Macovei, Mitglied des Europaparlaments und bekannt für ihre harte Haltung im Kampf gegen Korruption, hat die Strategie der Geheimdienstführung verteidigt und sogar in einem Interview behauptet, dass bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte nicht vollständig garantiert werden könnten, solange eine Gesellschaft unter Korruption leidet. Gibt es ihrer Meinung nach eine überwältigende Notwendigkeit, die eine solche Herangehensweise rechtfertigen würde?
Dana Girbovan: Monica Macovei scheint in Brüssel vom Respekt für Menschenrechte zu sprechen, während sie in Rumänien Härte verlangt und dass man sich über die Menschenrechte im Kampf gegen das Verbrechen hinwegsetzen müsse. Frau Macovei behauptet: "Wir müssen zwischen den Menschenrechten und einer Reduzierung des Verbrechens abwägen. In einem Staat mit hoher Kriminalitätsrate können Menschenrechte nicht vollständig ausgeübt werden."
Diese Einstellung ist nicht nur falsch, sondern auch extrem gefährlich, da sie die Korruptionsbekämpfung auf Dauer gefährdet und zu Menschenrechtsverletzungen führen wird. Grundrechte und Korruptionsbekämpfung ergänzen einander, während Korruption und Menschenrechtsverletzungen Merkmale einer Diktatur sind. Beides sind Formen des Missbrauchs wie er von den sozial Starken an den Schwachen begangen wird und beide bedrohen die Demokratie ganz grundsätzlich.
In Rumänien ist es längst zum Tabu geworden, über Menschenrechtsverletzungen zu sprechen, die im Namen der Korruptionsbekämpfung begangen werden. Personen des öffentlichen Lebens, wie Monica Macovei, Journalisten und Repräsentanten der Zivilgesellschaft, beschuldigen diejenigen, die diese Probleme ansprechen, die Korruption zu unterstützen. Monica Macovei führte sogar eine der bösartigsten Kampagnen gegen das rumänische Verfassungsgericht, indem sie den Bürgern einredete, Rumänien würde wegen des Verfassungsgerichts ein Paradies für Kriminelle und Terroristen.
Der Hohe Rat der Magistratur hat nun entschieden, dass Monica Macovei die Unabhängigkeit der Justiz durch ihre Attacken gefährdet hat und das Europäische Parlament darüber informiert. Bislang steht eine Reaktion des Europäischen Parlaments noch aus.
Wie reagieren Richter und Staatsanwälte im Ausland auf das Problem und wie steht die EU-Kommission dazu?
Dana Girbovan: Der Europäische Magistratsverein für Demokratie und Grundrechte (MEDEL) reagierte schnell auf die Entwicklungen in Rumänien und unterstützt unsere Anstrengungen gegen den Geheimdienst. Aufgrund ihrer Berufserfahrung erkannten sie natürlich sofort die Gefahr, die vom SRI für die Unabhängigkeit der Justiz ausgeht.
In einem weiteren Versuch, internationale Unterstützung zu erhalten, wandten wir uns Anfang 2016 mit einem Brief an die EU Kommission, in dem wir unsere Lage und die Unterwanderung der Justiz durch den Geheimdienst schilderten. Bald darauf veröffentlichte die Kommission den 2015-Bericht über den Kooperations- und Überprüfungsmechanismus (CVM), in dem eher flüchtig auf dieses Thema im Rahmen des Fortschrittsberichts über die rumänische Justiz eingegangen wurde. Unter dem Einfluss rumänischer Beamter beschäftigte sich die Kommission mehr mit den Attacken von Journalisten auf die Unabhängigkeit der Justiz, als mit dem Geheimdienst, der die Justiz unterwandert.
Nach der Veröffentlichung des CVM Berichts erhielten wir eine Antwort von Alexander Italianer, dem Generalsekretär der EU Kommission. Herr Italianer wiederholte folgenden Satz des Berichts: "Es ist wichtig, dass die Hierarchie der Justiz jedes Risiko für die Integrität von Richtern und Staatsanwälten im Auge behält und dass diese Beamten eine ordnungsgemäße Unterweisung hinsichtlich Unparteilichkeit, Interessenkonflikten und Unvereinbarkeiten erhalten". Ihm zufolge ist "dies direkt relevant für die Probleme die sie vorbringen, zumal es die Verantwortung eines jeden Richter und Staatsanwalts ist, auf Unvereinbarkeiten hinzuweisen".
Die rumänischen Richter und Staatsanwälte begrüßten die Antwort, aber das Problem ist systemisch, nicht individuell. Selbstverständlich ist es sehr schwierig für EU Bürokraten ein genaues Verständnis für die Schwierigkeiten der rumänischen Justiz zu entwickeln, wenn Medien und NGOs nicht über diese Probleme berichten. Die EU konzentriert sich überwiegend auf Statistiken: wie viele Verdächtige gab es, wie viele Anklagen und wie viele Urteile wurden jedes Jahr gefällt? Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es in Rumänien 2015 über 2 Millionen neue Gerichtsverfahren gab, von denen lediglich 357 Verfahren von der Antikorruptionsbehörde DNA stammen. Indem sie die Justiz nur aufgrund von Statistiken und diesen 357 Fällen beurteilt, rückte die Kommission vom eigentlichen Maßstab des CVM ab, der einen "transparenteren und effizienteren Gerichtsprozess sicherstellen soll, indem vor allem die Kapazitäten und die Rechenschaftspflicht des Hohen Rates der Magistratur gesteigert werden".
Wenn es um den Schutz der Unabhängigkeit der Justiz geht, gibt es keine Ziele, die zwielichtige Deals zwischen Brüssel und Bukarest rechtfertigen würden. Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit sollten der einzige Maßstab für die Vertreter der EU sein, wenn sie die rumänische Justiz bewerten. Auch in Polen, Ungarn und der Türkei kommen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verstärkt unter Druck. Aber eine Einschränkung der elementaren Prinzipien unserer Grundrechte und des Rechtsstaates darf man nirgendwo gestatten, sonst wird sich das Problem ausweiten und die EU von innen aushöhlen.
Offenbar zielt der Geheimdienst im Augenblick auf Korruptionsfälle ab. Gibt es Hinweise darauf, dass auch andere Fälle betroffen sein könnten? Und erwarten Sie, dass wegen Korruption Angeklagte sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit dem Argument wenden könnten, das ihnen ein fairer Prozess in Rumänien verwehrt würde?
Dana Girbovan: Die Aktivitäten des SRI scheinen auf Korruption in Politik, Wirtschaft und Justiz abzuzielen. Solange die CSAT Beschlüsse jedoch geheim gehalten werden, bleibt unklar, ob es irgendwelche Grenzen für die Tätigkeit des SRI gibt.
Was den EGMR betrifft, verliert Rumänien bereits Fälle in Straßburg wegen Menschenrechtsverletzungen, aber wegen der langen Verfahrensdauer dauert es Jahre, bis ein Urteil gefällt wird. Es ist zu erwarten, dass einige der aktuellen Fälle nach Straßburg gehen werden, da ein faires Verfahren nicht gegeben war. Aber bis diese Fälle vom EGMR gehört und Menschenrechtsverletzungen festgestellt werden, wird es sehr schwer werden den Schaden zu reparieren, den der Ruf der Justiz bis dann erlitten haben wird.
Korruption betrifft alle Staaten und im Korruptionswahrnehmungsindex 2015 liegt Rumänien auf Platz 58 von 167 Staaten, zwischen Griechenland und Italien, aber ein gutes Stück hinter Rwanda, Namibia oder Saudi Arabien. Was beeinflusst Ihrer Erfahrung als Richterin nach die Korruption?
Dana Girbovan: Korruption ist kein Problem das nur Rumänien betrifft. Eine neuere Studie der Berlin Hertie School aus dem Jahr 2013 beziffert die Kosten für Korruption in ganz Europa auf 300 Milliarden Euro. Die EU-Kommission schätzte die Kosten für Korruption auf 1,5 bis 2 Prozent des BIP. Diese Zahlen weisen darauf hin, dass es hierbei nicht nur um simples Schmiergeld geht, sondern um strukturelle und politische Korruption. Das führt aber dazu, dass die Justiz niemals das komplexe Problem von Korruption alleine lösen können wird, da sie auf Strafmaßnahmen beschränkt ist.
Richter bekämpfen Korruption nicht, denn für oder gegen etwas zu kämpfen bedeutet immer, dass man Partei für eine Seite ergreift und damit wäre ein Richter nicht mehr unparteiisch. Ein Richter soll einen Fall auf Grundlage von Beweisen unparteiisch beurteilen und den Angeklagten verurteilen oder freisprechen. Korruptionsbekämpfung hingegen muss eine Strategie des Staates sein, die sowohl horizontal als auch vertikal auf allen Ebenen in den Bereichen Finanz, Wirtschaft, Politik und Justiz durchgeführt wird.
Die Wurzeln von Korruption sind vielfältig, insbesondere fehlende Transparenz, heimliche Parteienfinanzierung, schwache Lobbyregulierung, politischer Einfluss auf das Management von Staatsbetrieben, schwache finanzielle Offenlegungspflichten und ganz besonders die Übernahme des Staates durch spezielle Interessengruppen. Um Korruption wirklich effektiv zu bekämpfen, müssen wir die Wurzeln beseitigen, um die Folgen zu begrenzen.
Wirtschaftskriminalität und Korruption wie Preisabsprachen und Zinsmanipulationen durch Großbanken, sowie Skandale in Steueroasen stehen mit den Bereichen in Verbindung, die Sie erwähnen. Ist besser ausgebildetes Personal bei Justiz und Steuerbehörden, bei der Polizei und auch im Parlament nötig, das die Geldbewegungen versteht, anstatt das Gesetz durch Geheimdienste zu umgehen? Oder was sonst ist nötig, um Korruption zu bekämpfen?
Dana Girbovan: Ein Training zur Bekämpfung von Korruption ist für alle beteiligten Behörden ganz klar ein Vorteil, aber nicht in einer intransparenten Akademie wie die des Geheimdienstes. Korruption ist Macht ohne Rechenschaftspflicht, sagte Goran Klemencic, ein bekannter Antikorruptionsexperte aus Slowenien. Verantwortung entsteht, wenn Transparenz, Integrität und Rechtsstaatlichkeit gestärkt werden. Transparenz ist dabei zentral für die Korruptionsbekämpfung. Ich spreche allerdings nicht von "junk transparency", also sogenannter Transparenz, wie sie von PR-Agenturen verdreht wird. Echte Transparenz könnte zum Beispiel durch Online-Systeme entstehen, die es den Bürgern ermöglichen könnten, in Echtzeit die Verwendung öffentlicher Gelder zu verfolgen. Diese Transparenz würde zu Rechenschaftspflicht führen und letztendlich Korruption reduzieren.
Das bringt mich zum Thema des Interviews zurück, der Unterwanderung der Justiz durch den SRI. Mir fällt der folgenden Widerspruch auf: Es liegt doch in der Natur der Sache, dass Geheimdienste ohne Transparenz agieren. Nachdem fehlende Transparenz jedoch die Hauptursache für Korruption ist, wie kann man dann Korruption mit Institutionen bekämpfen, die völlig intransparent sind?
Dieses Paradoxon wird von einem aktuellen Skandal in Rumänien illustriert: Ein Journalist enthüllte, dass eine Firma zehn Jahre lang gestreckte Desinfektionsmittel an Krankenhäuser verkaufte, was zu tausenden Infektionen und Todesfällen führte. Der SRI wusste davon und behauptet, man habe über die Jahre mehr als 100 Mitteilungen an die Verantwortlichen verschickt. Die Verantwortlichen behaupten jedoch, dass sie niemand über die illegalen Geschäftspraktiken dieser Firma informiert hätte. Nachdem die Mitteilungen jedoch der Geheimhaltung unterliegen, ist es unmöglich, die Wahrheit herauszufinden, obwohl tausende Patienten krank wurden und starben, weil die Behörden nicht einschritten. Transparenz hätte viele dieser Todesfälle vermeiden können.
Auch in anderen Ländern ist die Entwicklung ähnlich: Als Putin im Jahr 2000 die Regierung in Russland übernahm, unterstützte der Westen sein Engagement gegen Korruption. Als nächstes brachte er aber ehemalige KGB-Agenten in Schlüsselpositionen, da zivile Beamte laut Putin korrupt waren. Heute wird die russische Verwaltung vom ehemaligen KGB kontrolliert und zeigt, wie sehr die Kampagne ihr Ziel verfehlt hat.
China begann mit der Bekämpfung von Korruption 2012 unter reger Anteilnahme westlicher Regierungen und Investoren. Der Einsatz des Geheimdienstes und die Unterdrückung der Opposition haben dazu geführt, dass Leute aus Angst ihr Kapital aus China abziehen.
Wenn eine Regierung Debatten über Menschenrechte und faire Verfahren ignoriert, werden früher oder später die Bürger und Investoren realisieren, dass diese Antikorruptionskampagne nicht echt ist. Ausländische Medien berichten beispielsweise davon, dass rumänische Beamte sich weigern, amtliche Dokumente zu unterzeichnen, weil sie befürchten, später dafür angeklagt zu werden. Daher gibt es zahlreiche unfertige Projekte in Rumänien. Es ist ein Zeichen von Terror, nicht von Rechtsstaatlichkeit, wenn Leute ihre eigene Regierung fürchten.
Was müsste Rumänien dann als nächsten Schritt tun?
Dana Girbovan: Als erstes müssen wir Rumänen aus den Fehlern unserer eigenen Geschichte lernen. Ein Geheimdienst, der in der Justiz aktiv ist, untergräbt deren Unabhängigkeit und die Gewaltenteilung, was früher oder später zu Menschenrechtsverletzungen führt. Und wenn die Rumänen begreifen, was von statten geht, werden sie sich gegen die westlichen Werte wenden, da der Westen die Implementierung dieses Systems unterstützt.
Zweitens müssen wir von den Fehlern anderer lernen. Die "mani pulite"-Kampagne in Italien war zwar in individuellen Fällen erfolgreich, aber sie änderte auf lange Sicht nicht die Politiker. Die politische Klasse muss jedoch durch demokratische Wahlen geändert werden, nicht durch die Justiz.
Drittens benötigen wir ein umfassendes Programm gegen Korruption, in dem die Justiz lediglich das letzte Element ist. Rumänien braucht Transparenz, Rechenschaft, eine starke Zivilgesellschaft mit Bürgern, die sich für Änderungen einsetzen und die Politik überwachen. Je mehr man den Politikern auf die Finger sieht, desto weniger Korruption wird es geben.
Und zu guter Letzt müssen die EU-Vertreter erkennen, wie sehr die Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien bedroht ist, was wiederum Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bedroht. Für den Einsatz des SRI in der Justiz gibt es absolut keine Entschuldigung. Abstriche bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie um kurzzeitiger Erfolge willen werden letztendlich zu einem Verlust von Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Autorität des Staates selbst führen und damit langfristig auch zu mehr Korruption.