Seedrohnen im Roten Meer: Huthis fordern Nato heraus

Soldat vor Kanone am Meer

US-Navy-Soldat in der Bab Al-Mandeb-Straße zwischen Dschibuti und Jemen, 7. Oktober 2018. Bild: US-Verteidigungsministerium

Kamikaze-Seedrohnen markieren eine neue Ära der asymmetrischen Kriegsführung der Huthi. Sie stellen damit die Nato vor größere Probleme.

Die Huthi-Streitkräfte haben das erste Mal eine Seedrohne gegen ein mit der Nato assoziiertes Schiff eingesetzt. Das markiert eine bemerkenswerte technologische Entwicklung aufseiten der Huthis im Konflikt am Roten Meer.

Seit dem 19. Oktober greift die vom Iran unterstützte jemenitische Huthi-Bewegung Schiffe an, deren Eignerschaft mit Staaten assoziiert wird, die den Krieg Israels im Gazastreifen unterstützen. Anderen Schiffen wird die Durchfahrt gewährt, namentlich Schiffen, deren Eigner aus dem Dunstkreis der Brics-Staaten stammen.

Bisher setzte die Huthi-Armee Raketen und Langstrecken-Flugdrohnen aus jemenitischer und iranischer Produktion ein. Anfang dieses Jahres erschien ein Artikel in der koreanischen Ausgabe von Voice of America mit Verdachtsmomenten – koreanische Schriftzeichen auf den Waffen –, die darauf deuten, dass Nordkorea Raketen an die Huthis geliefert haben könnte.

Brisanter Angriff auf zwei Frachtschiffe

In dieser Woche nun sollen die Huthis, wie ihnen die US-Regierung vorwirft, zwei Frachtschiffe angegriffen haben: die unter liberianischer Flagge fahrende und in griechischem Besitz befindliche Tutor und die unter palauischer Flagge fahrende, in ukrainischem Besitz befindliche und von Polen betriebene Verbena.

Das ist bemerkenswert, wie dies die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagon, Sabrina Singh, bei einer Pressekonferenz herausstellte.

"Die Huthis behaupten, im Namen der Palästinenser im Gazastreifen zu handeln, und doch bedrohen sie das Leben derer, die nichts mit dem Konflikt zu tun haben."

Was den asymmetrischen Krieg zwischen den Huthis und ihren Unterstützern gegen den kollektiven Westen und seine Handelswege anbelangt, ist ein anderer Aspekt interessant und in seiner Dimension brisant und beachtlich: Mit dem Angriff auf die Tutor konnten die Huthis erstmals Überwasser-Seedrohnen gegen ein Schiff, das via Griechenland mit der Nato assoziiert ist, einsetzen.

Situation falsch eingeschätzt

Der Angriff ist auf dem Portal X (früher Twitter) dokumentiert. Ein Video zeigt die 40 Sekunden vor dem Aufschlag, das folgende Video die Sekunden nach der Explosion. Die eigentliche Explosion ist nicht dokumentiert.

Auf dem Schiff haben sich mindestens drei mit Sturmgewehren bewaffnete Kräfte befunden, von denen zwei auf dem Brückennock waren, das ist jeweils das offene Deck an den Seiten des Ruderhauses.

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Der sich dort ebenfalls aufhaltende Kapitän des Schiffes, der von den Philippinen stammende Christian Domarique, schätzte die Situation offensichtlich falsch ein, denn er gab keinen Befehl, das Feuer auf die sich langsam nähernde Drohne zu eröffnen – wahrscheinlich ist, dass Domarique nicht mit einer unbemannten Kamikaze-Seedrohne rechnete, sondern mit einem bemannten Enter-Versuch.

Das ist in der Vergangenheit schon vorgekommen, nicht aber der Einsatz einer Kamikaze-Überwasser-Seedrohne. Ein Abwehrversuch mit insgesamt drei Sturmgewehren hätte erfolgreich sein können.

Bei den mitgeführten Gewehren handelt es sich wahrscheinlich um das deutsche HK G3, die ehemalige Ordonnanzwaffe der deutschen Bundeswehr. Sie verschießt die vergleichsweise große und durchschlagkräftige 7,62 × 51 mm Patrone.

Zeitfenster

Dadurch hätten die an Bord befindlichen Sicherheitskräfte zumindest eine Chance gehabt, die sich langsam nähernde Seedrohne zu bekämpfen. Augenfällig ist die im Vergleich zu den ukrainischen High-Tech-Seedrohnen sehr geringe Angriffsgeschwindigkeit der jemenitischen Drohne.

Durch die geringe Geschwindigkeit, mit der der Angriff vorgetragen wurde, hätte es ein Zeitfenster von gut einer Minute gegeben, um die angreifende Drohne zu beschießen. Die effektive Reichweite des G3 beträgt rund 800 Meter.

Doch Kapitän Domarique erkennt erst im letzten Augenblick den wahren Charakter des Angriffes und beordert seine Sicherheitskräfte zurück in das Ruderhaus, ohne einen Bekämpfungsversuch zu veranlassen.

Wahrscheinlich wurde ein Seemann bei dem Angriff getötet, berichtet der Inquirer.

Laut Reuters führte der Angriff in der Nähe des jemenitischen Hafens Hodeidah zu Überflutungen auf dem Schiff, zu Schäden im Maschinenraum und zur Manövrierunfähigkeit der Tutor.

Anscheinend gab es bereits im Februar einen Versuch der Huthis, ein Schiff mit einer Unterwasserdrohne anzugreifen, doch konnte der Versuch seinerzeit noch abgewehrt werden.

Der Bab al-Mandab

Rund zwölf Prozent des weltweiten Seehandels passieren laut Wikipedia den Suezkanal, und vor oder nach der Kanal-Passage müssen alle Schiffe zwingend den Bab al-Mandab passieren, jene Meeresstraße, die zwischen Jemen und Eritrea/Dschibuti das Rote Meer mit dem Golf von Aden verbindet und an ihrer engsten Stelle zwischen Ras Menheli im Jemen und Ras Siyyan in Dschibuti nur etwa 26 Kilometer beträgt.

Die Streitkräfte der Huthi haben laut Angaben der US-Regierung seit dem 19. November etwa 190 (!) Angriffe auf Schiffe durchgeführt. Laut AP sollen über 50 Schiffe nachweislich getroffen worden sein.

In der hier Pressemitteilung des US-Verteidigungsministeriums ist von einem "rücksichtslosen Verhalten" der Huthi-Streitkräfte die Rede. Das eine absurde Untertreibung angesichts einer seit einem halben Jahr bestehenden de-facto-Sperrung des Suezkanals für westliche Handelsschiffe. Zumal anderseits von einer "Seeschlacht" die Rede ist.

"Intensivste Seeschlacht der US-Marine seit dem Zweiten Weltkrieg"

AP berichtet über die Auswirkungen auf die Suezpassage Folgendes:

Unterdessen beeinträchtigen die Angriffe der Huthi weiterhin den Schiffsverkehr in der Region. Die Einnahmen Ägyptens aus dem Suezkanal – eine wichtige Quelle harter Währung für seine angeschlagene Wirtschaft – haben sich seit Beginn der Angriffe halbiert. AP-Journalisten sahen ein einziges kommerzielles Schiff, das durch die einst belebte Wasserstraße fuhr.

Dabei spricht AP von der "intensivsten Seeschlacht, die die US-Marine seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat", wie sich Vertreter der US-Marine gegenüber Nachrichtenagentur ausdrückten.

Die Rede ist allerdings von einer Seeschlacht, die die US-geführte Koalition der Willigen bisher nicht für sich entscheiden konnte.

Das US-Verteidigungsministerium gab am vergangenen Sonntag bekannt, dass Konteradmiral Kavon Hakimzadeh den Konteradmiral Marc Miguez als Kommandeur der 2. Flugzeugträgerangriffsgruppe um den Flugzeugträger USS Dwight D. Eisenhower ablöst.

Die Ablösung kann man als Eingeständnis des umfassenden Fehlschlags Washingtons ansehen, mit der Bedrohung der US-Dominanz am Roten Meer umzugehen.

Denn die bisherigen Bemühungen der US-Seestreitkräfte und seinen Verbündeten, die in der Operation Prosperity Guardian seit sechs Monaten versuchen, eine freie Durchfahrt für Schiffe des kollektiven Westens militärisch zu erzwingen, sind nicht von Erfolg gekrönt.

Erfolge der Huthis

Den Huthi-Streitkräften gelingt es weiterhin, die Schifffahrt durch den Suezkanal massiv zu bedrohen und einzuschränken – mit weitreichenden Konsequenzen für die Industrien des kollektiven Westens. Denn die Transportkosten erhöhen sich signifikant.

Zum einen steigen die Versicherungsprämien für westliche Schiffe, zum anderen wählt der Großteil des westlichen Seeverkehrs die Route um das Kap der Guten Hoffnung.

Das erhöht die Betriebsmittelkosten erheblich. Davon berichtet der staatliche US-Auslandssender Voice of America:

"Seit Mitte Februar sind die Versicherungsprämien für die Durchfahrt durch das Rote Meer auf 0,7 bis 1,0 Prozent des Gesamtwerts eines Schiffes gestiegen, verglichen mit weniger als 0,1 Prozent vor Dezember 2023", heißt es in dem DIA-Bericht.

In dem Bericht wird auch darauf hingewiesen, dass Unternehmen, die die Region weiterhin durchfahren, mit höheren Kosten für zusätzliche "Kriegsrisikoversicherungen" und Prämien für die Besatzungsmitglieder rechnen müssen.

Infolgedessen hat die DIA-Bewertung ergeben, dass die Containerschifffahrt über das Rote Meer, auf die normalerweise bis zu 15 Prozent des internationalen Seehandels entfallen, von Dezember 2023 bis Mitte Februar 2024 um 90 Prozent zurückgegangen ist.

Schifffahrtsunternehmen, die das Rote Meer meiden wollen, sehen sich ebenfalls mit höheren Kosten konfrontiert, wobei Fahrten um Afrika herum etwa 1 Million Dollar teurer werden.

VOA

Voice of America geht also von einer Reduzierung der Durchfahrt durch den Suezkanal um 90 Prozent aus, statt von 50 Prozent, wie der oben zitierte AP-Artikel annimmt.

Bis zu 90 Prozent weniger Schiffsverkehr über das Rote Meer – das stützt die Beobachtung, dass die Huthi-Streitkräfte das Rote Meer de facto für westliche Schiffsbetreiber sperren.

Zudem scheinen die Jemeniten bereits mehrfach britische und US-amerikanische Kriegsschiffe attackiert zu haben. Nach Angaben der FAZ behaupten die Huthis sogar den Angriff auf den US-Träger Eisenhower. Bisher waren die Angriffe der Huthi auf Koalitions-Kriegsschiffe allerdings ohne Erfolg.

Erfolgreich war hingegen der Abschuss vermutlich gleich 6 US-Angriffsdrohnen vom Typ MQ-9 "Reaper", die pro Stück mit rund 30 Millionen Dollar zu Buche schlägt.

Die Angriffsdrohne kann auch zur Aufklärung genutzt werden und gilt als einer der Kronjuwelen der US-Drohnentechnologie. Erst vor drei Wochen wurde die letzte Reaper abgeschossen, laut des englischen Middle East Monitor landete diese anscheinend weitestgehend intakt in der jemenitischen Marib-Wüste.

Die Asymmetrie der Gegner

Die US-Koalition beschießt seit Monaten mit keinem messbaren Erfolg Ziele im Jemen, laut Al-Arabiya gelang es dem US-Militär nach eigenen Angaben am Sonntag, vier Radargeräte der Huthi, ein unbemanntes Überwasserschiff und eine Drohne zu zerstören.

Die Streitkräfte der Huthi sind stark dezentral organisiert, was sowohl die Aufklärung als auch die Bekämpfung für eine reguläre Armee wie die der USA äußerst schwierig macht. Und trotzdem es die USA mit den Huthi gewissermaßen mit einer Guerilla-Armee zu tun haben, verfügt diese über relativ modernes Kriegsgerät, also etwa Kamikaze-Drohnen und Raketen auch aus iranischer Produktion.

Modernes Kriegsgerät und eine dezentrale Organisationsstruktur – das ist eine Mischung, gegen die die US-Streitkräfte keine Mittel finden, die Unterbrechung der Suezkanaldurchfahrt wirkungsvoll zu kontern.

Bemerkenswert ist noch die große Kostenasymmetrie zuungunsten der US-geführten Koalition. So führt die US-Kriegs-Denkfabrik Center for International Maritime Security aus:

Das "Kostenaustauschverhältnis" bezieht sich auf die große Differenz zwischen den Beschaffungskosten für die Luftabwehrraketen der Marine und den relativ preiswerten Angriffsdrohnen und -raketen des Gegners.

Der CRS-Bericht schätzt, dass die Luftabwehrraketen der Marine je nach Typ zwischen "mehreren hunderttausend Dollar und einigen Millionen Dollar pro Rakete" liegen. Diese Kosten stehen in krassem Gegensatz zu den Schätzungen für die von den iranischen Houthi hergestellten Drohnen, die im Dutzend gestartet werden und "nur ein paar Tausend Dollar kosten können.

Center for International Maritime Security

Der National Interest ist verwundert über die Intensität der Kämpfe im Roten Meer:

Die Marine der Vereinigten Staaten von Amerika ist an dem umfangreichsten Raketenkampf der letzten zehn Jahre beteiligt, bei der die Militärangehörigen die Handelsschifffahrt vor den anhaltenden Angriffen der vom Iran unterstützten Huthi-Kämpfer im Roten Meer schützen.

Dabei verbraucht die US-Marine ihre schwer zu ersetzenden, maritimen Langstrecken-Flugabwehrraketen. Die hier vor allem eingesetzte Standard Missile 2 (SM-2), die mit bis zu 170 Kilometer die erforderliche Reichweite aufweist, um weiter entfernte Handelsschiffe zu schützen, ist ein knappes Gut. Und kostet um die zwei Millionen Dollar.

Von den SM-2 sind laut Wikipedia gut 5.000 gebaut worden, von denen laut des Fachportals Army Recognition bereits 2.700 in der Vergangenheit global abgefeuert worden sind. Zudem gibt es außer der USA 14 weitere Nutzerstaaten, auf die sich diese Gesamtproduktion aufteilt.

Der Nachfolger der Standard Missile 2, die Standard Missile 6, kostet sogar um die 4,8 Millionen Dollar. Von ihnen sind etwa 500 in den Arsenalen der US-Marine, die jährliche Produktionsrate liegt laut Defencenews zurzeit bei 100 Stück und soll in den nächsten Jahren auf 200 pro Jahr hochgefahren werden.

Business Insider rechnet vor, dass die US-Marine bis April gut eine Milliarde Dollar an Abwehrwaffen gegen die Huthi Raketen, aber vor allem gegen die billigen Drohnen, eingesetzt haben.