Seehofer auf Kompromisskurs beim Gentech-Gesetz

Gentech-Kritiker sind dennoch unzufrieden mit der geplanten Novelle des Gentechnik-Gesetzes

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Monatelang war hinter verschlossenen Türen über das neue Gentechnik-Gesetz verhandelt worden. Jetzt kam der Entwurf zur Novelle an die Öffentlichkeit. Die von Kritikern befürchtete völlige Aufweichung verschiedener Regelungen scheint auszubleiben. So bleiben etwa Vorgaben zu Standortregister und Haftungsregelungen weitgehend bestehen. Dennoch bemängeln Umweltschutzorganisationen und Vertreter der Biobranche etliche Punkte des Entwurfs. Für die Grünen würde die geplante Ermöglichung von Privatabsprachen gesetzlich verankerte Koexistenzregelungen unterlaufen. Greenpeace mobilisiert für eine generelle Verschärfung des Gesetzes. Denn die bisherige Praxis habe gezeigt, dass sogar die bestehenden - vergleichsweise strengen - Regelungen unausgegoren seien.

Nach der Ablöse von Rot-Grün herrschte kurzfristig Aufwind in Sachen Agro-Gentechnik (Grüne Gentechnik: Volle Kraft voraus?). So wurden unter dem verantwortlichen Minister Horst Seehofer sehr rasch verschiedene umstrittene GV-Maissorten zugelassen. Und auch das Koalitionspapier zwischen den beiden Großparteien schlug versöhnliche Töne in Richtung Gentech-Produzenten, -Anwender und –Forscher an. Die grüne Gentechnik solle verantwortlich genutzt und gefördert werden, so der Tenor des Regierungsübereinkommens.

Doch bei der grünen Gentechnik scheiden sich bekanntlich die Geister. Und selbst aus den eigenen Reihen musste der CSU-Minister Warnrufe entgegen nehmen. Seehofers Heimatregion Ingolstadt hat sich bereits vor einigen Jahren zur gentechnikfreien Region erklärt. Ebenso redete der Kirchenmann und frühere Abt des Oberpfälzer Bio-Klosters Plankstetten, Gregor Maria Hanke, dem Minister ins Gewissen, wie die Nachrichtenagentur dpa zu berichten weiß.

Die Novelle des Gentechnik-Gesetzes wurde wohl auch aufgrund dieser Kritik aus der eigenen Basis immer wieder hinausgeschoben. Seehofer versuchte den Spagat zwischen Wirtschaftinteressen der Agro-Gentechnik-Industrie und den vielen Landwirten aus der eigenen Basis, die der grünen Gentechnik so gar nichts abgewinnen können. Kürzlich wurde der Entwurf der Novelle nun doch der Öffentlichkeit präsentiert. Danach bleiben wichtige Eckpunkte wie das Standortregister mit der Angabe flurstückgenauer Lage von Feldern mit GV-Pflanzen unangetastet. Auch bei den Abstandsregelungen bei GV-Mais kam Seehofer den Gentech-Kritikeren einen kleinen Schritte entgegen. Hatte Bundesforschungsministerin Anette Schavan (CDU) noch für einen Abstand zwischen GV-Mais-Feldern und herkömmlich bestellten Flächen von lediglich 50 Metern plädiert, ist jetzt ein Abstand von 150 Metern bei konventionell bewirtschafteten Flurstücken und 300 Meter bei biologisch bebauten Feldern vorgesehen.

Den Grünen und Greenpeace geht das nicht weit genug. Die Umweltaktivisten von Greenpeace fordern, die Abstandsregelungen auf mindestens 800 Meter anzuheben, um weitestgehend Kontaminationen zu vermeiden. Insbesondere in ökologisch sensiblen Gebieten wie Naturschutzgebieten müsste man höchste Sorgfalt walten lassen. Christoph Then von Greenpeace spricht sich gegenüber Telepolis für eine Verschärfung des bereits bestehenden Gesetzes aus, denn in der Praxis seien erhebliche Mängel zu Tage getreten:

Die Praxis hat gezeigt, dass schon das bisherige Gesetz erhebliche Schwächen hat. Wir (und auch andere Akteure) verfolgen derzeit verschiedene Fälle, die über das heutige Gentechnikrecht geregelt werden und bei denen diese Schwächen klar zu Tage treten: Da wird gentechnisch veränderter Mais ohne Meldung im Kataster angebaut; es gibt Pächter, die gegen den ausdrücklichen Willen des Eigentümers GVO-Saatgut ausgesät haben und sogar im Naturschutzgebiet wächst der Gen-Mais. Immer mussten wir feststellen, dass es bei solchen Fällen erhebliche Rechtsunsicherheiten und nur äußerst mangelhafte Kontrollen gibt. Deshalb muss insgesamt der Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und der Umwelt gestärkt werden. Zuletzt hat sich das auch in der Entscheidung verschiedener Gerichte gezeigt, bei denen die Zuständigkeiten der Behörden für den Schutz von Imkern und Bienen heftig umstritten war.

Zeitgleich mit der Veröffentlichung des neuen Entwurfes des Gentechnikgesetzes starteten die Umweltaktivisten deshalb auch eine Mitmachaktion im Internet. Die Teilnehmer sollen Seehofer ein Stück einer Mais-Pflanze mit der Bitte schicken, diese auf gentechnische Veränderungen analysieren zu lassen. Die Umweltschutzorganisation möchte damit auf die chaotischen Verhältnisse im Gen-Mais-Anbau aufmerksam machen.

Ungelöste Fragen

Im Ministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft sieht man die konventionelle Landwirtschaft und die biologische durch die im Entwurf definierten Regelungen ausreichend geschützt. Auch den Einwand des Bundes Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), dass mit den unterschiedlichen Abstandsregelungen eine Art Zwei-Klassen-Landwirtschaft eingeführt wird, lässt man im Ministerium nicht gelten. Presseprecherin Dr. Ursula Huber gegenüber Telepolis:

Wegen der möglicherweise größeren Schadensfolgen einer Kontamination von ökologisch produzierten Produkten ist es gerechtfertigt, auch eine erhöhte Vorsorge gegen eine solche Kontamination zu treffen.

Die Vertreter des ökologischen Branchenverbandes hatten allerdings wohl auch eher gemeint, dass man die Abstandsregelungen auch für den konventionellen Landbau auf zumindest 300 Meter anheben müsste. Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), erklärte:

Gentechnikfreiheit ist unteilbarer Anspruch der gesamten Landwirtschaft. Ein Regelwerk, das auf dem Großteil der Fläche eine schleichende Kontamination mit künstlichen Genkonstrukten aus den Laboren von Monsanto und Co zulässt, bedroht alle – auch Biobauern oder Imker.

Die Haftungsregeln sind ein weiterer Kritikpunkt. Und das obwohl das Kernstück der gesamtschuldnerischen Haftung entgegen früheren Befürchtungen erhalten bleibt. "An den geltenden Haftungsregelungen wird es keine Veränderung geben“, bestätigt Ursula Huber. Sollte ein konventionell oder ökologisch wirtschaftender Landwirt aufgrund einer gentechnischen Verunreinigung zu Schaden kommen, so haften danach alle in Frage kommenden Bauern aus dem Umkreis gesamtschuldnerische und verschuldensunabhängig.

Diese Regelung ist eine der strengsten in ganz Europa. Doch die Gentechnik-Novelle hätte jetzt ein Schlupfloch eingebaut, kritisieren ökologische Branchenverbände, Umweltschutzorganisationen und die Grünen. Denn der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Abstände oder andere Vorsichtsmaßnahmen gegen Verunreinigungen unterbleiben können, wenn betroffene Landwirte auf einen Schutz verzichten oder sich nicht dazu äußern.

„Durch Privatabsprachen können künftig wichtige Vorschriften des Gesetzes unterlaufen werden. Geschützt werden so nur noch die direkten Nachbarn. Aber wer schützt die Verbraucherinnen und Verbraucher und die anderen Landwirtschaftsbetriebe?“, ärgert sich etwa Ulrike Höfken, verbraucherpolitische Sprecherin des Bündnis 90/Die Grünen. Die Folgen einer derartigen Regelung wären ihrer Meinung nach „nicht nachvollziehbare unkontrollierbare Auskreuzungen und ein Rechtschaos“. Darüberhinaus wären Haftung und Ansprüche der Weiterverarbeiter völlig unklar.

Die Möglichkeit von Privatabsprachen wird auch von allen anderen kritischen Organisationen abgelehnt. Für Felix Prinz zu Löwenstein ist das lediglich „ein weiteres Element zur unkontrollierten Gentechnikausbreitung.“ Dr. Ursula Huber vom Seehofer-Ministerium wendet dagegen ein:

Ziel der Koexistenzabstände ist, wirtschaftliche Schäden für den Nachbarn wegen einer GV-Kontamination seiner konventionell oder ökologisch produzierten Ernte zu vermeiden. Es entspricht unserem Rechtssystem (wie etwa auch im Baurecht), dass ein Nachbar auf die Einhaltung von Regelungen, die allein seinem Schutz dienen, auch verzichten kann.

Ob es tatsächlich rechtens sein kann, Gesetze durch Privatabsprachen auszuhebeln, wollen die Grünen jetzt prüfen lassen. Insgesamt ist die Novelle zwar weniger dramatisch ausgefallen, als von Kritikern zunächst befürchtet, für Diskussionsstoff ist aber aufgrund etlicher ungelöster Fragen dennoch gesorgt.