Seehofers Moment

Der bayerische Ministerpräsident übernimmt jetzt die Außenpolitik mit Ungarn

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CSU-Chef Horst Seehofer macht nun, wovon bayerische Ministerpräsidenten immer schon träumten, nämlich Außenpolitik. Er will sich mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban treffen, um "nach einer Lösung der Flüchtlingskrise suchen". Es geht ihm, dem Bericht der Tagesschau zufolge, um Schadensbegrenzung.

In einem Telefonat mit Orban sicherte Seehofer dem Land Unterstützung zum Schutz der EU-Außengrenzen zu. Zur Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen müsse alles getan werden, um das Schengen-Abkommen aufrecht zu erhalten und zu schützen. Er werde Orban zur nächsten Klausur der CSU-Landtagsfraktion einladen, um gemeinsam eine Lösung zu suchen.

Hinter Seehofers bayrisch-ungarischer Initiative steht ein Vorwurf an die Regierung in Berlin. Die Kanzlerin Merkel habe mit der Entscheidung, massenhaft Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen, einen Fehler gemacht, "der uns noch lange beschäftigen wird", sagte er dem Spiegel und dazu noch etwas für seine eigene große Koalition mit der Bevölkerung: "Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen."

Von Konsensrepublik ist spätestens seit den täglichen Meldungen von tausenden Neuankömmlingen nicht mehr die Rede. Dass sich Seehofer so weit mit Kritik an der Regierungschefin vorwagt, ist ein Zeichen dafür, dass die Regierung momentan keine besonders sichere Figur macht. Was Seehofer dazu verleitete, im Bayerischen Fernsehen weiter nachzulegen, Berlin habe keinen kein Plan und keine Koordinierung, wie man die Lage jetzt bewältigen soll.

Wir schätzen das in Bayern so ein, dass wir bald den Krisenfall ausrufen, das heißt, wir werden dann (…) Zeltstädte errichten müssen, weil wir es anders nicht mehr schaffen.

Seine Parteigenossen Söder (vgl. Debatte um Asylrechtsänderung) und Friedrich untermauern die Botschaft und reizen sie aus. Der Ex-Innenminister spricht von einer "einer beispiellosen politische Fehlleistung" der Bundesregierung und warnt vor "verheerenden Spätfolgen" (s.a. Sarrazin kritisiert "völlig einseitige Berichterstattung der Medien" über Flüchtlingspolitik). Dazu verweist er auf die Gefahr der Einwanderung von "ISIS-Kämpfern oder islamistischen Kämpfern", auch wenn er einräumt, dass man dies "nur unzuverlässig abschätzen" könne.

Demgegenüber setzt der Bundesinnenminister de Maizière auf besonnenere Töne: "Wir bekommen natürlich allerlei Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten, aber nichts davon ist konkretisiert." Aber auch er findet das Tempo des Zuzugs zu hoch, man solle an einer "Entschleunigung" arbeiten. Wie das im Augenblick gehen soll, weiß allerdings keiner.

Das Auswärtige Amt versucht derzeit mit Tweets, dem Signal gegenzuarbeiten, das die Kanzlerin gegeben hat und das sich mittlerweile gerüchtemäßig bei Flüchtlingen im Nahen Osten zu einem kräftigen Pullfaktor entwickelt hat, wie der Spiegel berichtet:

Im Libanon verbreitete sich in den vergangenen Tagen blitzschnell das Gerücht, man könne dort im Eilverfahren deutsches Asyl beantragen. Schon Stunden später drängten sich die Menschen vor der Vertretung. Und es sind nicht nur Syrer, die aufmerksam das Netz beobachten. Auch in Kabul geistert das Gerücht herum, alle Afghanen würden problemlos in Deutschland Asyl bekommen, wenn sie es erst einmal bis dorthin schafften.

Laut der türkischen Zeitung Sabah wird nun auch der Landweg über die Türkei für immer mehr syrische Flüchtlinge interessant. Wie presse.com berichtet, sollen unter ihnen Berichte über eine "generelle Aufnahmebereitschaft Deutschlands" kursieren. "Deshalb und wegen der Gefahren einer Überfahrt über die Ägäis nach Griechenland hätten sich viele Syrer nun entschieden, über den Balkan nach Deutschland zu gelangen."

Auch Slowenien stellt man sich auf eine "massive Flüchtlingswelle" ein, heißt es.

Die Situation sei unübersichtlich, "unkalkulierbar", die Flüchtlinge würden wegen des Aussetzens des Zugverkehrs zwischen Österreich und Ungarn auf unterschiedliche Weise ankommen, teilte die oberbayerische Regierung dem Bayerischen Rundfunk mit. Bundesaußenminister Steinmeier erwartet für das kommende Wochenende in Deutschland die Ankunft von etwa 40.000 Flüchtlingen und Asylbewerbern.

Bisher hat München mit dem geordneten und entspannten Empfang der Flüchtlinge gezeigt, dass die aufgeregten CSU-Botschaften widerlegt werden können.

Nachtrag: Die Zeichen dafür stehen im Augenblick aber nicht gut:

An der Front der Krisenhelfer nimmt die Not täglich zu, und die Stimmung wird gereizter. Nun haben die Innenminister einander eingestanden: Wir sind am Limit. Fünf Telefonkonferenzen haben sie zwischen Donnerstagabend und Freitagmittag in verschiedener Zusammensetzung abgehalten, die Stimmung in der Leitung war laut, gereizt, vielstimmig.

Laut dem verlinkten Spiegel-Bericht meldeten am Freitag, dass nur mehr 2 Bundesländer Unterkünfte zur Verfügung haben -gerade mal 850 Plätze. "14 Länder meldeten dem Bundesministerium des Innern: Wir sind vorerst voll." Auch die Angaben für die nächsten Wochen sind laut Nachrichtenmagazin nur im dreistelligen Bereich. In Brandenburg habe man "50 und 100 Plätze ab der 38. KW", für Hamburg werden 150 Plätze ausgewiesen und für Niedersachsen 300.