Seeschlangen-Requiem

Seite 2: Vom wegweisenden Meilenstein zum Sonderschrott, den keiner will

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2009 hatte Pelamis Wave Power bereits das bis dahin weltgrößte und erste kommerzielle Wellenprojekt eingestellt. Der Wellenpark vor dem portugiesischen Aguçadora wurde wegen technischer und finanzieller Probleme aufgegeben. Der Zusammenbruch des australischen Mehrheitseigners Babcock & Brown im Verlauf der Finanzkrise hatte zum Ende des Projekts in Portugal geführt.

2013 hatte der deutsche Stromriese E.ON seinen Ausstieg aus dem gemeinsamen Projekt mit Pelamis Wave Power auf den Orkneyinseln angekündigt. Ursprünglich war ein Wellenpark mit 66 Pelamis-Aggregaten vor der schottischen Küste geplant. E.ON begründete seine Entscheidung mit Verzögerungen bei der Entwicklung der Wellenenergie-Technologie. Bei Pelamis Wave Power hieß es zu dieser Zeit noch, dass der Rückzug die geplante Stromerzeugung im kommerziellen Maßstab nicht beeinträchtigen würde. Das Unternehmen arbeitete am EMEC weiter, der P2-Wellenenergie-Wandler sollte mit Scottish Power Renewables entwickelt werden.

Unter den Akteuren galt Pelamis Wave Power zum Zeitpunkt der Insolvenz als das weltweit modernste Wellenenergie-Technologie-Unternehmen. Unabhängige Berater hatten noch kurz vor der Insolvenz seine führende Position bestätigt, eine in die Zukunft projizierte kommerzielle Rentabilität von Technologie und Design inklusive.

EMEC-Geschäftsführer Neil Kermode sagte, dass sein Zentrum den Wandler nach dem Niedergang des Unternehmens gekauft hatte, weil er Pelamis nicht einfach zu Schrott zerstückelt sehen wollte. Doch als sich die Kosten an den Kais von Lyness mit der Zeit aufsummierten, entschloss man sich zum Verkauf.

Selber wollte man Pelamis nicht der Verschrottung preisgeben: Das Abschleppen der riesigen Seeschlange wäre zu teuer und zu risikoreich geworden. Dabei ist gerade Lyness bekannt für ein beträchtliches lokales Know-how bei der Handhabung von maritimem Schrott. Davon gab es nach der Selbstversenkung der Kaiserlichen Hochseeflotte 1919 in Scapa Flow reichlich vor Ort, und die Geschichten um den mit den Bergungsaktionen der 1920er Jahre befassten Geschäftsmann Ernest Cox sind bis heute lebendig geblieben - jenes Mannes, der der britischen Admiralität eine Flotte von 26 gesunkenen deutschen Zerstörern abgekauft hatte, ergänzt durch die Schlachtkreuzer SEYDLIZ und HINDENBURG. Der Großteil der Schiffe wurde in der Folgezeit gehoben, ausgeschlachtet und abgewrackt.

EMEC-Chef Kermode bevorzugt nach wie vor einen Aufschub der Verschrottung von Pelamis. Er hat die Hoffnung, dass man eines Tages zurückblickt und in der obsoleten Blechschlange das erkennt und zu würdigen weiss, was sie ist: ein Meilenstein der Wellenenergie-Industrie.

Kinderkrankheiten und Weltwirtschaftskrise setzen der Branche zu

Technologien in frühen Stadien ihrer Entwicklung benötigen Energie und Ausdauer, um ihre Kinderkrankheiten zu überwinden, Wellenenergie-Projekte bilden da keine Ausnahme. Ein Voranschreiten wurde jedoch durch eine Reihe weiterer Erscheinungen erschwert, die in ihrer Folge zum Ende vieler Projekte führte und dem Sektor herbe Rückschläge brachte. Der steht immer noch am Anfang: Allein in den USA geht alle zwei Tage mehr Leistung durch neuinstallierte Photovoltaik ans Netz, als bis einschließlich 2020 weltweit insgesamt aus der Wellenkraft kommend erwartet wird.

Der Schwerpunkt aktueller Arbeiten ist auf Gezeitenprojekte konzentriert. Zwar liegt der Umfang der Ressource bei Meereswellen mindestens eine Größenordnung über der von Gezeitenströmungen, doch haben die Erfahrungen der vergangenen Dekade auch die Probleme vor Augen geführt, die ihre Nutzbarmachung unter den extremen Bedingungen des offenen Meeres mit sich bringen.

So sank 2007 eine zwei Millionen US-Dollar schwere AquaBuOY vor der Küste Oregons, der Betreiber Finavera Renewables stieg daraufhin komplett aus der Wellenenergie aus und widmete sich fortan der Windenergie.

2014 zogen die Entwickler von Ocean Power Technologies den Stecker zur Projektierung des ersten großkalibrigen Wellenenergie-Vorhabens der Vereinigten Staaten. Das ursprüngliche Ziel: 100 schulbusgroße Bojen sollten vor der Küste Oregons die Energie der Wellen anzapfen. Das Unternehmen warf das Handtuch, weil der Finanz- und Zeitrahmen gesprengt und die Koordination aller involvierter Parteien zu kompliziert wurde.

Verdant Power ist auch nach 15 Jahren Entwicklung und Dutzenden von Millionen US-Dollar Fördergeldern bisher noch nicht über das Demonstrationsstadium eines "hydrokinetischen" Gezeitenkraftwerks im Ostkanal des East Rivers in New York hinausgekommen. Das Unternehmen ist Inhaber der ersten Lizenz für kommerziellen Gezeitenstrom in den USA.

Als ein wesentliches Problem entpuppte sich bei einer Reihe von Wandlertypen die Überführung vom Demonstrationsstadium in die vorkommerzielle Phase. Die erwies sich meist als viel kostenintensiver und zeitaufwändiger, als sich das die meisten Unternehmen und ihre anhängigen Investoren vorzustellen vermochten.

Ein von Anfang an bekanntes Problem hat währenddessen nichts von seiner Tragweite eingebüßt: Das Wasser der Ozeane ist eine der aggressivsten Umgebungen der Welt, die spezielle Anforderungen an das verwendete Material stellt. Korrosion und Wartungsaufwand unter Meeresbedingungen können schnell zu explodierenen Kosten führen. Die Förderung von Offshore-Vorkommen an Öl und Gas zeigt zwar, dass die Materialprobleme zu bewältigen sind, doch diese Lösungen haben ihren Preis.

Ein durchschnittliches Leistungspotential, das den Einsatz von Wellenenergie-Wandlern rechtfertigt, liegt beispielsweise bei 40 Kilowatt pro Meter Wellenkamm. Schwere atlantische Stürme hingegen können Wellen mit mehr als 4 Megawatt pro Meter Wellenkamm ausstatten - eine Energie, mit der die jeweilige Wellenenergie-Maschine klarkommen muss, um zuverlässig zu arbeiten.

Die Gewährleistung der Überlebensfähigkeit der Technologien in Stürmen ist eine der kritischsten Anforderungen an die Konstruktion. Die Risiken einer Indienststellung kommerzieller Geräte sind beträchtlich: denn um sie wirtschaftlich zu betreiben, müssen sie von einer bestimmten Größe sein, deren Fertigung wiederum einen beträchtlichen Kapitalaufwand nach sich zieht und deren Kommissionierung ein höheres Risiko birgt als die von Testanlagen.