Seeschlangen-Requiem

Seite 3: Start-up-Fieber reloaded?

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Um 2006 hatte eine Vielzahl von Start-ups die Aufmerksamkeit der Medien und das Interesse von Investoren auf sich gezogen, darunter eine Reihe von Projekten abenteuerlichster Natur.

Die Energie von Wellen und Gezeiten sollte das nächste große Ding werden. Dann brach die Finanzkrise über die Branche herein, die nicht nur das Ende für viele unausgegorene Projekte bedeutete, sondern auch fortgeschrittene, ernsthafte Vorhaben in Bedrängnis brachte. Technologieentwickler sahen sich mit Einschnitten beim Kapitalzufluss konfrontiert. Investoren zeigten sich nicht gewillt, das nötige Kapital zur Verfügung zu stellen, das für den Übergang vom Anfangsstadium zur Demonstration der Wirtschaftlichkeit der Technologien notwendig ist.

Besonders einschneidend für europäische Projekte: das Erlahmen des Vertrauens in die Eurozone. Die Wirtschaftskrise führte zu einer geringeren Energienachfrage und zu Überkapazitäten bei Anbietern. Krisengebeutelte Regierungen kürzten ihre Finanzierungshilfen für erneuerbare Energien. Investoren, die ihr Geld in "Grüne Technologien" gesteckt hatten, fuhren Verluste ein.

Als ebenfalls einschneidend für den Sektor erwies sich die Neubewertung der Reserven fossiler Rohstoffe, die durch das Schiefergasfieber in den USA angeschoben wurde. Zusätzlich hat die ursprünglich angepeilte Auspreisung von Kohlenstoff im primären Energiemix ihre angedachte Priorität verloren - Beobachter halten den EU-Emissionshandel für gescheitert.

Einige industrielle Schwergewichte hatten einen Einstieg in die Energie der Meere gesucht, wie Alstom, Lockheed und Siemens. Siemens beispielsweise hatte 2012 die Mehrheit bei Marine Current Turbines (MCT) übernommen, dem Konstrukteur von SeaGen. Die SeaGen-Gezeitenstromturbine galt als Erfolgsstory. Die erste Testeinheit war 2008 im nordirischen Strangford Lough installiert worden. Die Turbine diente als Forschungs- und Designplattform und wurde mittlerweile abgebaut. Die Außerdienststellung sollte einen Beitrag zum vollen Verständnis des Lebenszyklus eines Gezeitenstrom-Wandlers liefern.

Ein anderes von Siemens Voith Hydro ausgeführtes Projekt, das in eine Hafenmole eingelassene 300-Kilowatt-Wellenkraftwerk im baskischen Mutriku, feierte im vergangenen Jahr sein fünfjähriges Betriebsjubiläum. Es liefert Energie für 100 Haushalte und ist gleichzeitig Testzentrum für neue Turbinendesigns und Kontrollsysteme.

Auch zehn Jahre später kann die Industrie trotz Teilerfolgen und eines ansatzweise wieder erwachten Interesses an marinen Energietechnologien nicht die finanziellen und technischen Herausforderungen beim Übergang zu einer kommerziellen Nutzung stemmen. Die Projekte, die überlebten, sind noch im Pilotstadium, wie etwa der WaveRoller vor dem portugiesischen Peniche. Die Finanzierung stammt größtenteils nach wie vor aus Förderprogrammen.

Andere hoffnungsvoll gestartete Projekte vegetieren wegen chronischer Klammheit vor sich dahin, wie etwa das Wellenkraftwerk Pico auf den Azoren. In die Zukunft projizierte realistische Megawatt-Zahlen weltweit erwarteter Installationen werden routinemäßig nach unten korrigiert.

Mit dem Andauern der Wirtschaftskrise hält sich das Interesse von Investoren in Grenzen, in die marinen Technologien von Start-ups zu investieren. Zu sehr hat sich der Sektor in den letzten Jahren als ein Betätigungsfeld mit hohem Risiko entpuppt.

Und doch gibt es eine Reihe von Projekten, die versuchen, ihre Wandler zur Marktreife zu führen. Einige von ihnen werden auch am European Marine Energy Center auf Herz und Nieren geprüft. In Schottland sieht man sich unterdessen trotz der Rückschläge gut positioniert. Gesegnet mit über 10% von Europas Wellenenergie-Potential und dem Know-how einiger der führenden Innovatoren und Unternehmen der Branche fühlt man sich nach wie vor in der Lage, in den kommenden Jahren Wellenenergie kommerziell in Strom zu verwandeln.

Ende Juni 2017 bekam das EMEC einen Besuch von einer Delegation der Europäischen Kommission. Die Vertreter der Generaldirektionen Energie, Forschung und Innovation sowie Maritime Angelegenheiten und Fischerei wollten sich aktuelle Projekte ansehen, die am EMEC-Standort Billia Croo getestet werden: Wello Penguin, OpenHydro und Tocardo.

Tocardo hatte bereits Gezeitenturbinen im niederländischen Oosterschelde-Sperrwerk installiert, die eine Leistung von 1.25 Megawatt haben und Strom für 1000 Haushalte liefern sollen. Dieses Projekt soll im Falle positiver Betriebserfahrungen ausgebaut werden.