Selbstbedienung nach Marktmechanismen

Jo Groebel im Telepolis-Gespräch zu der Ausdifferenzierung in der globalen Kriegsberichterstattung

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Jo Groebel, Leiter des European Institute for the Media mit Sitz in Düsseldorf, wurde 1950 geboren und lehrt(e) an verschiedenen Universitäten in Europa. Der Publizist und Berater zahlreicher nationaler wie internationaler Institute oder Behörden referierte am 13. Mai in Aachen zum Thema "Krieg verkauft sich gut - Über die Rolle der Medien". Michael Klarmann sprach mit ihm am Rande des Vortrags.

Ist der Handel mit der Kriegsberichterstattung ein lukratives Geschäft?

Jo Groebel: Es ist kein gutes Geschäft in dem Sinne, dass ein unmittelbarer Return of Investment stattfinden würde. Langfristig gesehen hat man aber über Quoten oder Auflage eine prominentere Marktstellung. Insofern ist die Kriegsberichterstattung ein Teil von Glaubwürdigkeits- und Marktdominanzkonzepten. Denn klar ist, dass Krieg für die Platzierung und Sichtbarkeit von TV-Sendern ein Erfolgsmoment darstellt. CNN ist zweifellos erst beim zweiten Irak-Krieg (1991) richtig bekannt geworden. Heute sind die Einschaltquoten für die Positionierung der Sender wichtig, die Zugang zu authentischen Bildern haben. Schließlich: das Nachrichtengeschäft ist, wie der Name schon sagt, ein Geschäft. Heiße Informationen haben also im Warenaustausch einen hohen Stellenwert.

Ein Missverständnis wäre aber die Vorstellung, dass mit dem Anstieg der Sendezeit auch eine Erhöhung der Werbeeinnahmen verbunden ist. Denn im Umfeld von Krieg ist Werbung nicht erfolgreich. Man muss also unterscheiden. Erstens ist der Austausch und Verkauf von Nachrichten ein großes Geschäft. Zweitens ist Kriegsberichterstattung für die Positionierung der Sender als Image fördernde Maßnahme wichtig.

Seit wann gibt es diese Tendenz?

Jo Groebel: Das hat zum einen zu tun mit dem Wettbewerb, wer die richtigen oder interessanteren Bilder hat. Ansonsten hat es sehr viel zu tun mit der immensen Beschleunigung der Berichterstattung. Im Vietnam-Krieg gab es meines Wissen nach überhaupt keine Live-Berichterstattung, weil die Satellitentechnik dafür nicht geeignet war. Seinerzeit gab es zwischen dem Bericht und der Berichterstattung noch tagelange Verzögerungen. Gerade durch die Technik hat also eine Veränderung stattgefunden. Aber auch die Zuschauer haben die Beschleunigung der Berichterstattung verstärkt, so dass eine Wechselbeziehung besteht zwischen Markt, technologischen Möglichkeiten und den gestiegenen Bedürfnissen der Zuschauer.

Sehen Sie die Gefahr, dass Medienkonzerne unter dem Vorwand der Berichterstattung Propaganda für Regierungen betreiben und gleichfalls daran verdienen?

Jo Groebel: Ich warne sehr vor Verschwörungstheorien oder gar der Theorie, dass dieser Krieg nicht nur dem Öl, sondern auch den Medienumsätzen gedient hätte. Die Vorstellung, dass in den amerikanischen Medien alles manipuliert ist oder gar den Befehlen der Regierung gefolgt wird, trifft in dieser Einfachheit nicht zu. Unzutreffend ist ebenso die Vorstellung, es gebe eine Art Verschwörung zwischen amerikanischer Regierung, großen Medienunternehmen und entsprechender Berichterstattung. Es gibt aber sehr wohl die Orientierung an dem, was die Leute interessiert - also die Stimmung im Volk. Diese war in den USA durch den 11. September sehr stark geprägt und wurde den Marktmechanismen entsprechend vom Markt bedient. Natürlich gibt es auch übereinstimmende wirtschaftliche Interessen zwischen Medieneignern, Großunternehmen und der Regierung. Aber der Krieg wurde nicht geführt, damit nun auch noch die Medien daran verdienen. Ich will das einmal umkehren: Wenn die Medien spüren würden, die Volksmeinung richtet sich gegen den Krieg, dann würden sie das aufgreifen und damit genauso Umsatz machen.

In Teilen der deutschen Friedensbewegung wird darüber diskutiert, dass die deutschen Medien im Kosovo-Krieg kaum kritisch berichtet haben, weil Bundesregierung und Bundeswehr an dem als völkerrechtwidrig angesehenen Krieg beteiligt waren. Es heißt weiter, beim Irak-Krieg hätten deutsche Medien viel kritischer berichtet, da die Regierung sich gegen diesen Krieg positionierte. Gehören solche Vorwürfe ins Reich der Verschwörungstheorien?

Jo Groebel: Ich halte diese Extremform der Darstellung für weniger plausibel. Es gibt natürlich den informellen Konsens zwischen Politik und Medien. Man kann aus der Berichterstattung aber nicht ableiten, dass bestimmte Tendenzen von vornherein da waren. Dies würde ja bedeuten, dass schon in der Berichterstattung selbst eine Manipulation eingebaut ist. Nehmen wir als Beispiel den Kosovo-Krieg: Dabei tauchte eine, vielleicht historisch und kulturell erklärbare Angst vor Völkermord und ein altes deutsches Trauma auf. In Übereinstimmung mit der Regierung führte das besonders stark zum Gedanken der Deutschen, dass dies nicht mehr passieren darf und notfalls mit Gewalt verhindert werden müsse. Diese unmittelbare Plausibilität - wir müssen jetzt eine Massenvernichtung verhindern - war beim Irak-Krieg nicht gegeben. Das hat bei Regierung und Medien zu einer ähnlichen Meinung geführt.

Führt die zunehmende Kommerzialisierung und in deren Windschatten der Drang nach Schnelligkeit zum Anstieg von Falschmeldungen?

Jo Groebel: Diese Gefahr besteht. Meine Sorge ist aber viel mehr, dass die Analyse und der Hintergrund - was hat zu diesem Krieg geführt und wo führt der Krieg hin? - aufgrund der Schnelligkeit zu kurz kommen. Diese Gefahr könnte auch eine Zeitenwende bedeuten, nämlich dass wir uns von der Analyse hin zum Episodischen bewegt haben.

Kann man eigentlich den "eingebetteten Reporter" als Neuauflage der NS-Kriegsreporter im Zweiten Weltkrieg sehen?

Jo Groebel: Ich finde es sehr gefährlich, eine Ähnlichkeit zwischen dem NS-Regime und der amerikanischen Regierung sowie der NS-Propaganda und der amerikanischen Berichterstattung herzustellen. Die irakische Berichterstattung war wahrscheinlich technisch schlechter gemacht als die NS-Propaganda und ist dieser viel ähnlicher gewesen als die amerikanische. Zwischen der NS-Propaganda und der heutigen Berichterstattung in den USA besteht einzig strukturell die Korrespondenz, dass jedes Zeitalter seine audiovisuelle Ästhetik hat. Und Kriegspropaganda ist manchmal Vorreiter, manchmal aber auch Mitläufer einer gerade vorherrschenden Film- oder Fernsehästhetik. Insofern ist das, was wir an NS-Bildern gesehen haben, korrespondierend mit der damals vorherrschenden Ästhetik. Und das, was wir jetzt als embedded journalist sehen, korrespondiert mit der heute vorherrschenden Ästhetik. Auch die Berichterstattung 1991 über den Irak-Krieg war mit ihrer Virtualität und ihren Digitaleffekten ein Spiegel der seinerzeit vorherrschenden Ästhetik. Und so neu ist der embedded journalist nicht, denn es hat schon immer Frontberichterstatter gegeben. Das Neue ist aber die Eins-zu-Eins-Berichterstattung. In dem Fall passt sich der embedded journalist dem Reality-TV an.

Ihre Aussichten auf kommende Kriege?

Jo Groebel: Es wird eine weitere Ausdifferenzierung der Kriegsberichterstattung geben. Medien bleiben zwar ein zentrales Instrument der Kriege, zugleich aber haben wir möglicherweise mit dem amerikanisch geführten Irak-Krieg auch eine Aufkündigung des globalen Medienkontraktes gesehen. Die amerikanischen Medien nahmen etwa eine sehr positiven Wertung des Krieges vor, während die deutschen Medien doch sehr skeptisch auf ihn und die US-Berichterstattung reagiert haben. So haben die amerikanischen Medien im Vorfeld des Kriegs kaum Bilder von irakischen Zivilisten gezeigt, während die Deutschen dies taten. Das ist eine Art Entzerrung der globalen Berichterstattung.

Das amerikanische Fernsehen war eher die Fortsetzung des Verständnisses, dass der Krieg in der Nachfolge des 11. Septembers geführt werden musste. Das irakisches Fernsehen war das eines totalitären Regimes, das unmittelbar den Orders des Regimes und Saddam Husseins folgte. Al-Dschasira bildete unter starker Berücksichtigung des arabischen Marktes die globale Antwort auf CNN. Das deutsche Fernsehen ging in höchstem Maße kritisch mit allen Bildern um. In Großbritannien schließlich setzte sich die BBC kritischer mit dem Krieg auseinander, als es sich die britische Regierung vorgestellt hätte. Ich glaube, diese Diversifizierung wird eine lange Zeit anhalten. Es wird zwar dasselbe Bildmaterial eingesetzt, aber es wird unterschiedlich kommentiert und bewertet.