Serbien unter Druck
Seite 2: Kein Selbstbestimmungsrecht für Serben und Russen
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Seine ganze Brutalität zeigte der Jugoslawienkrieg dann in den Kämpfen ab 1992 zwischen muslimischen Bosniern, Kroaten und Serben auf dem Territorium von Bosnien-Herzegowina. Diese Republik galt vor Ausbruch des Krieges als ein Jugoslawien im Kleinen – die drei Völkerschaften lebten hier zusammen, ohne dass eine von ihnen dominierte.
Es waren die westlichen Staaten, die dort die größte Ethnie – die muslimischen Bosnier – dabei unterstützten, sich als dominierende Kraft zu etablieren. Die bosnischen Serben antworteten darauf mit der Gründung der Republika Srpska an der Grenze zu Serbien.
Auch hier entschieden moderne Waffen aus den USA den Kampf, finanziert von arabischen Staaten und geführt oft von islamistischen Freischärlern aus dem Nahen Osten. Nach Bombardierungen ihrer Stellungen durch US-Kampfflugzeuge mussten die Serben schließlich in einen Kompromiss einwilligen:
Im Abkommen von Dayton – ausgehandelt 1995 vom serbischen Präsidenten Milošević und US-Präsident Clinton – rückten sie von ihrer Forderung nach Anschluss an Serbien ab. Ihr Siedlungsgebiet blieb Teil von Bosnien-Herzegowina, dafür ersparte man ihnen das Schicksal der kroatischen Krajina-Serben – sie wurden nicht vertrieben.
Im Westen gab es nur wenige Stimmen, die Verständnis für die Serben zeigten. So schrieb der SPD-Politiker Peter Glotz am 20. Juli 1995 in der Berliner Zeitung: "In Deutschland begründete man diese gewalttätige Lostrennung (von Kroatien und Slowenien, A.W.) aus Jugoslawien mit dem 'Selbstbestimmungsrecht' der Völker. Aber wenn dieses Selbstbestimmungsrecht den Kroaten zustand, warum dann nicht auch den Serben in der Krajina oder in Bosnien?"
Diskriminierung der Russen als Ursache des Konflikts um die Ukraine
In der westlichen Haltung gegenüber dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine findet man all das wieder, was bereits die Politik des Westens im zerfallenden Jugoslawien ausmachte. Nachdem die Ukraine im Februar 2014 durch den Putsch auf dem Kiewer Maidan politisch aus dem Gleichgewicht zwischen West und Ost gebracht worden war, begann sich die russischsprachige Minderheit gegen ihre unmittelbar danach einsetzende politische und kulturelle Unterdrückung zu wehren.
Im Süden und Osten des Landes kam es zu Protesten, die bürgerkriegsähnliche Ausmaße annahmen. Im April 2014 gründeten sich die an Russland anlehnenden Volksrepubliken Donezk und Lugansk.
Seitdem sind in den Kämpfen mehr als 14.000 Menschen umgekommen, die überwiegende Zahl der Opfer waren Zivilisten und Kämpfer aus den beiden abtrünnigen Volksrepubliken. Es ist der längste Krieg in Europa seit 1945, wie der Titel des neuen Buches des Journalisten Ulrich Heyden lautet.
Die Ukraine ist ein multinationaler Staat, so wie es auch Kroatien einmal einer war. Bei der Volkszählung 2001 nannten 67 Prozent der Befragten Ukrainisch und 29 Prozent Russisch als ihre Muttersprache. Seit Januar 2021 darf in der Ukraine im öffentlichen Raum aber nur noch Ukrainisch gesprochen werden. Und Schulunterricht auf Russisch gibt es nur noch bis zur vierten Klasse. Dieses Sprachengesetz wurde übrigens unter der Präsidentschaft des von NATO und EU hofierten Wolodymyr Selenskyi beschlossen.
Die Parallelen zwischen dem ukrainischen Donbass und dem Schicksal der Serbischen autonomen Republik Krajina in Kroatien sowie der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina sind daher offensichtlich.
So wie die beiden Gebiete in Jugoslawien nur von Serbien unterstützt wurden, so wurden die Volksrepubliken nur von Russland anerkannt. Die politischen und gesellschaftlichen Diskriminierungen der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine interessieren im Westen kaum jemanden. Waren seinerzeit die Serben an allem schuld, so sind es heute die Russen. So einfach ist das.
Andreas Wehr ist Mitbegründer des Marx-Engels-Zentrums Berlin (MEZ). Er veröffentlicht regelmäßig Artikel, Interviews und Rezensionen auf seiner Seite