"Sicher können wir nicht sein"

Wer den Terror beschwört, wird ihn so schnell nicht mehr los - aber das könnte auch die Strategie von de Maizière sein

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Für Bundesinnenminister de Maizière steht seit seiner Terrorwarnung am Mittwoch viel auf dem Spiel. Er hatte sich bislang im Vergleich zu seinem Vorgängern Schily und Schäuble deutlich zurückgehalten und nicht auf die Terrorismuskarte gesetzt. Wohl vor allem um den liberalen Koalitionspartner nicht noch mehr zu beschädigen, versucht er seitdem, Drängler in den eigenen Reihen und in anderen Parteien, die gleich wieder neue Sicherheitsmaßnahmen fordern, zurückzuweisen. Während man sich in der SPD nun offenbar mit einer schärferen Sicherheitspolitik positionieren will und de Maiziere Sorglosigkeit vorhält, kommt von den Grünen eher Lob, weil er besonnen handle.

Noch immer wirkt der Minister unentschlossen oder eher als Getriebener, versucht sich als verkörperte Vernunft zu stilisieren, aber das könnte auch eine Mogelpackung sein. Das Dilemma mit dem Dummy-Paket in Namibia, aber auch mit die jetzt immer wieder vorkommenden Meldungen über verdächtige Gegenstände und vielleicht auch bald Menschen und den Wirkungen der verstärkten Polizeipräsenz machen deutlich, dass Terrorwarnungen von staatlicher Seite die Verunsicherung ebenso erhöhen, wie dies konkrete Drohungen von Terroristen machen.

Im Bericht aus Berlin sagte der Bundesinnenminister: "Wir schätzen die Bedrohungslage als ernst ein, ohne dass wir uns ganz sicher sind." Man halte Hinweise für glaubwürdig, "sicher können wir nicht sein". Die Frage bleibt, warum de Maizière bzw. die Bundesregierung sich entschlossen hat, kurz vor der Bundesinnenministerkonferenz und nach dem Bombenattrappenfund, der allerdings erst später bekannt wurde, eine Terrorwarnung zu äußern, um sofort zu betonen, dass außer der verstärkten Sichtbarkeit der Polizeipräsenz das Leben doch, bitte schön, so weiter gehen soll wie bisher.

Die allseitige aufgestockte Polizeipräsenz, ausgestattet mit Maschinenpistolen, zeugt einerseits davon, dass die Hinweise wenig konkret sind und man vor allem sicher gehen will, dass man reagiert hat, sollte etwas geschehen. Hätte man die Überwachung ohne Ankündigung verschärft, hätte dies sicherlich zu Gerüchten geführt. Aber die gibt es nun auch zuhauf, so dass sich der Bundesinnenminister zum Konkreten nicht mehr äußern will und die Medien kritisiert, die spekulieren würden und daher mit den Ängsten der Menschen spielen. Allerdings betont er, dass er seine Warnung nicht ohne Grund ausgesprochen habe, und dies zu dem angemessenen Zeitpunkt. Jetzt will er aber das Fenster der Terrorbedrohung schon mal weit in den Dezember hinein ausdehnen.

Report Mainz, ein öffentlich-rechtlicher Sender, fordert den Innenminister aber weiter heraus. Dort will man ein BKA-Papier eingesehen haben, dass zwei halbwegs konkrete Anschlagspläne ausführt. Angeblich seien bereits zwei Terroristen, die aber ihr Leben nicht unbedingt riskieren wollen, eingereist, die mit einer Bombe einen Anschlag auf eine große Menschenmenge ausführen wollen. Sie sollen nur noch auf die Zünder warten und sich inzwischen möglichst unauffällig in Deutschland aufhalten. Dann sollen vier oder sechs Personen aus Deutschland, die in Waziristan ausgebildet wurden, wahrscheinlich im Frühjahr einen Mumbai-mäßigen Anschlag in Berlin planen. Die Pressemitteilung des Senders wurde auch auf Facebook veröffentlicht. Bislang "gefällt" drei Personen dies … was immer das heißen mag. Der Spiegel meinte zu wissen, dass die Information von einem ausstiegswilligen Informanten gekommen sei.

Ein Dilemma ist für die deutsche Regierung aber sicherlich auch, dass man mit der Angst derzeit ziemlich alleine ist. Zwar haben die britische und die US-amerikanische Regierung ihre Terrorwarnung seit Jahren höchstens mal nach oben korrigiert, aber niemals unter "erhöhte" Gefahr sinken lassen. Dort steht auch jetzt der Bedrohungsgrad in den USA, für den Luftverkehr wurde er auf "hoch" erhöht, in Großbritannien wird die Gefahr seit September als ernsthaft eingestuft. Beide Länder machen auch deutlich, was es heißt, solche nationalen Bedrohungsstufen einzuführen. Keine terroristische Bedrohung ist hier gar nicht vorgesehen, weil ja tatsächlich die abstrakte oder potenzielle Möglichkeit immer besteht. Der Terror ist auf Dauer geschaltet, die Regierung hat damit gewissermaßen den Ausnahmezustand verordnet.

In diese Situation der auf Dauer gestellten Warnung ist nun auch de Maizière bzw. die Bundesregierung geraten. Er versprach zwar bei Anne Will, dass die Polizeipräsenz auch wieder zurückgefahren werde, sofern die die Lage dies zulasse. Davon kann man auch ausgehen, denn ansonsten würde die Kosten explodieren und die Unruhe bei der Polizei wegen Überlastung wachsen. Aber de Maizière wird nun nicht mehr so schnell aus dem Sog der Terrorbedrohung herauskommen. Das will er vielleicht auch gar nicht, denn der Freund der Vorratsdatenspeicherung und das Mitglied der CDU, die gerne auch mal über weitere Sicherheitsmaßnahmen und den Einsatz des Militärs im Inneren nachdenkt, könnte als scheinbar zurückhaltender Minister die angelegten Projekte viel besser durchsetzen.

Im Übrigen ist er auch ganz entschieden dagegen, nach den Ursachen der Terrorbedrohung zu fragen. Dass Deutschlands Militärpräsenz in Afghanistan nicht gerade Deutschland am Hindukusch verteidigt, sondern die Wahrscheinlichkeit für Terroranschläge erhöht, liegt mittlerweile auf der Hand. Der Rückzugsraum Afghanistan/Pakistan ist längst ein Rekrutierungsraum geworden.