Sicherheit in der Lieferkette

Sicherheitslücken gibt es nicht nur bei der Kontrolle der Luftfracht

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Sätze von großer Bedeutung sind kurz und schlicht. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ist so einer. Oder: „Es ward Licht.“ Ähnlich prägnant hat sich Harald Zielinski ausgedrückt. Er ist als Abteilungsleiter Sicherheit und Risikoprävention verantwortlich für die weltweiten Sicherheitsmaßnahmen der Lufthansa Cargo. Ausgerechnet er sagt: „Es gibt keine durchgehend geeignete Kontrolltechnologie für Luftfracht.“ Während zur Zeit der Einsatz von sogenannten Nacktscannern für das Durchleuchten von Passagieren diskutiert wird, weiß Zielinski. „Die Kontrolltechnologie hat physikalische Grenzen. Bestgeeignete Technologie wird angezweifelt.“

Dies klingt wie eine Bankrotterklärung für die Luftsicherheit. Auf die Fluggesellschaften könnten Entschädigungsklagen zukommen, durch Angehörige von Opfern von Anschlägen. Dagegen könnte die Zusammenfassung der Verordnung Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 2002 sürechen. Darin heißt es:

In den Anhängen zu der Verordnung sind Sicherheitsmaßnahmen für die folgenden Bereiche genannt: (...)
Aufgegebenes Gepäck
Fracht, Kurier- und Expresssendungen, Post, Material von Luftfahrtunternehmen.
Der genaue Inhalt der Anhänge ist vertraulich und wird daher nicht veröffentlicht. Dasselbe gilt für jeden ändernden Rechtsakt.

Die Anhänge wurden allerdings doch veröffentlicht. Falls es also doch Kontrollen geben sollte, würden die allerdings jetzt abgeschafft. Auch diese Information stammt vom Sicherheitsmann der Lufthansa Cargo; auch wenn er den „Prozess Luftsicherheit“ in seinem Vortrag auf dem Wirtschaftsforum der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) zum Thema „Supply chain security“ im Gegenteil als positiv bewertete.

Sein Piktogramm zeigt aber etwas anderes. Als worst case wird darin gezeigt, wie Fracht durch einen Sprengstoffdetektor läuft, bevor sie auf das Flugzeug darf. Im best-case-Fall hingegen würde ausgerechnet diese Durchleuchtung künftig fehlen. Dann reichte es aus, wenn Versender und Transportbeauftragter bekannt sind. Ein Schildbürgerstreich, ein Beispiel von nahezu Orwellschem Neusprech, das aus schwarz weiß macht. Dieses Gegenteil von security kommt als Europäische Initiative für mehr Sicherheit in der Lieferkette daher.

Das idealtypische Konzept stellte Dr. Susanne Aigner vor. Sie ist bei der Europäischen Kommission, Generaldirektion Steuern und Zollunion, die Leiterin der Sektion „Sicherheit in der Verteilerkette“ und eine der 25 hochkarätigen Fachreferenten der BAKS-Tagung. Unter der Schirmherrschaft Günter Verheugens traf sich in Berlin die crème de la crème der Experten des Themas. Aigner stellte die Sicherheitsvorschriften vor, die seit Anfang 2008 als Gesetz gelten (DVO zum Zollkodex) und aus Risikoanalyse, Voranmeldungen und dem sogenannten Authorised Economic Operator, kurz AEO, bestehen.

Ein Blick in den Zollkodex ergibt: Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter wird, wer eine Selbstauskunft gibt. Gefordert wird "ein zufrieden stellendes System der Führung der Geschäftsbücher". Was immer das heißen mag. Ebenso vage wird die "bisher angemessene Einhaltung der Zollvorschriften und gegebenenfalls der Beförderungsunterlagen, das angemessene Zollkontrollen ermöglicht, gegebenenfalls die nachweisliche Zahlungsfähigkeit und gegebenenfalls angemessene Sicherheitsstandards“ verlangt. Was „angemessen“ heißt und was „gegebenenfalls“, ist nicht definiert. Unbestimmter geht es kaum noch.

AEOs halten gewissermaßen ein Passepartout in den Händen, oder, um es mit Dr. Aigner zu sagen: „Das System soll es dem Zoll ermöglichen, sich auf zuverlässige Wirtschaftsbeteiligte weitestgehend zu verlassen (von Stichprobenkontrollen abgesehen).“ Übersetzt heißt das, es werden – bis auf Ausnahmen - nur Frachtpapiere miteinander abgeglichen. Wie aber will man so Schmuggel, Schleusung oder Attentätern auf die Schliche kommen? Wer kreuzt bei der Einreise schon freiwillig auf der Meldekarte an, dass er ein Bandit ist?

Der vermutlich berühmteste Fund der Hamburger Wasserschutzpolizei waren Waffen für Israel – deklariert als Landmaschinen. Nach dem neuen System wäre der Deal vielleicht nicht aufgeflogen; es waren ja offiziell Landmaschinen deklariert für einen „zuverlässigen Wirtschaftsbeteiligten.“.

Auf der BAKS-Tagung analysierte die stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung Abwehr/Rechtsangelegenheiten des Hamburger Verfassungsschutzes am Detailliertesten: „Für Logistikunternehmen ist insbesondere nicht geklärt, welche Beteiligten an der Supply Chain zu überprüfen sind (z.B. Auftraggeber/Empfänger/Transporteur).“ Ferner kritisierte Dr. Andrea Berner, dass die EU- und UN-Terrorlisten in Deutschland ohne weitere gesetzliche Umsetzungsmaßnahmen gelten. Das Verfahren der Listung sei intransparent, die Rechtsschutzmöglichkeiten der Gelisteten nach wie vor unzureichend. Die Juristin wies darauf hin, dass

die Verordnungen keine Regelungen darüber enthalten, wie Unternehmen und Privatpersonen die Einhaltung des Bereitstellungsverbotes sicherstellen können. Vorgaben oder zumindest Orientierungshilfen von Bundesbehörden sind nicht bzw. kaum vorhanden, werden aber angesichts der Rechtsunsicherheit dringend benötigt. Die Gelisteten können durch Listenabgleich häufig nicht eindeutig identifiziert werden. Für Unternehmen stellt sich das Problem des Umgangs mit nicht eindeutigen Ergebnissen.

Andrea Berner

Prof. Dr. Thorsten Blecker von der TU Harburg führte aus: „Es fehlen klar definierte Ansprechpartner in sämtlichen Behörden, ausführliche Listen in denen kritische Supply Chain Beteiligte geführt werden und gesetzliche Vorgaben zu Reaktionen auf sog. „Treffer“. (...) Die Politik verlagert die Verantwortung auf die Privatwirtschaft, wodurch auf der Seite der Unternehmen eine starke Rechtsunsicherheit entsteht.“

Besonders kleine und mittlere Unternehmen, so Blecker, könnten sich den Aufwand gar nicht leisten. Die Krux am neuen Verfahren ist nämlich, dass der Ehrliche mal wieder der Dumme ist. Mit enormen Aufwand müsste u.a. die EDV aufgebaut, Verfahren für die Überprüfung der Geschäftspartner entwickelt und aufgebaut werden. Außerdem würde ein enormer Datensatz über Firmen europaweit mit sensiblen Interna bis hin zu Zahlungsfähigkeit und Lieferbeziehungen aufgebaut, wenn Fragen aufrichtig, statt einfach nur formal plausibel beantwortet werden.

Gegen Täter im Betrieb nützt das Gesetz nichts. Das bestätigte auch Tobias Offermann von der Bosch Sicherheitssysteme GmbH. In den meisten Fällen, in denen es zu Schäden komme, sei ein sehr hohes Maß an Insiderwissen vorhanden. So habe sich der freiwillige Zusammenschluss der Technology Asset Protection Association (TAPA) gebildet, um den Warenverlust zu reduzieren, berichtete der stellvertretende Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums Dr. Florian Eck. Erstaunlicherweise befand der Leiter Unternehmenssteuerung der Railion Deutschland AG, Heinrich Eßling, Güterwagen seien „praktisch kaum „entwendbar“ und widersprach damit Wolfgang Bauschulte. Der Servicechef bei DB Cargo hatte 2001 dem Spiegel berichtet, tausende Güterwaggons landeten in „einem schwarzen Loch“. Deshalb sollten sie mit GPS-Ortungssystemen ausgestattet werden.