"Sie haben die Drohnen, wir haben die Scharia"
Jemen und der Krieg gegen den Terror werden für Obama zum Wahlkampfthema, al-Qaida im Jemen brüstet sich mit modernen Labors zur Herstellung von Bomben und gibt weiter Tipps zu Anschlägen für Einzeltäter
In Jemen ruft die dort etablierte Fraktion der al-Qaida mit einem bunten und schicken Online-Magazin namens Inspire, in dem schon einmal Zizek neben Sawahiri zitiert werden, schon seit geraumer Zeit zu einem Open Source Jihad auf. Angesprochen werden sollen damit Menschen in den westlichen Ländern, die, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden, aufgefordert werden, möglichst alleine zu planen und zu handeln. Anstatt in ein Trainingslager zu reisen und dadurch ins Visier der Geheimdienste zu geraten, sollen die Einzelnen, die sich als Dschihad-Kämpfer gegen das Böse berufen fühlen, Anschlagsideen und notwendige Kenntnisse online erhalten, um sich dann alleine und ohne Kontakt mit anderen vorzubereiten und zur Tat zu schreiten. Das Netzwerk, das bislang aus lose verbundenen Zellen bestand, würde so noch stärker virtuell werden, um unerwartet und unvorhersagbar irgendwo zuzuschlagen, weil kaum verdächtigen Spuren präventiv zu finden sind, so die Theorie. Obamas Spruch: "Yes, we can", wird gerne übernommen, um Anschläge in den USA zu propagieren.
Mit der Förderung von Einzeltätern, die mitten in den westlichen Städten leben, hofft man, die Überwachungssysteme austricksen zu können. Bin Laden war zwar offenbar nicht von den Strategien von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) erbaut, auch wenn diese weiterhin versucht haben, vom Jemen aus Anschläge in den USA oder auf US-amerikanische Flugzeuge durchzuführen, aber er glaubte ebenfalls, dass man der Entdeckung durch vorsichtiges Verhalten entgehen könne (Bin Laden war bei seiner Ermordung vermutlich schon lange machtlos). Bin Laden ist schließlich dennoch in seinem Unterschlupf aufgespürt worden, auch wenn er weder Internet noch Telefon benutzte, weitgehend isoliert lebte und nur durch Boten die Kommunikation aufrechterhielt, worüber er allerdings schließlich aufgeflogen ist. Ganz den Kontakt zur Welt kann man nicht auf Dauer kappen.
Das vermutlich vor allem von Al-Awlaki, einem amerikanischen Imam, der zur Verbreitung seiner Botschaften schon lange auf das Internet setzt, entwickelte Konzept des Open Jihad ist vermutlich auch eine Folge der Schwierigkeit, denen die Islamisten begegnen, die sich nicht in großen Städten aufhalten, sondern in ländliche Gebiete zurückziehen, die einst wie im Krieg gegen die russischen Invasoren Schutz boten. Heute werden diese Gebiete im Jemen, in Afghanistan, im pakistanischen Grenzgebiet oder in Somalia durch die neue Überwachungstechnik, vor allem durch Drohnen, mit denen sich Menschen im offenen Gelände verfolgen und töten lassen, zu hochriskanten Orten. Bald könnten auch Mauern keinen Schutz mehr bieten. Mit viel Geld wird bereits daran gearbeitet, Techniken zu entwickeln, um auch aus einer gewissen Distanz durch Mauern hindurchsehen zu können. Noch aber gewähren Häuser und Menschenmengen in großen Städten eine bessere Zuflucht, als die traditionellen Refugien, die oft noch von al-Qaida und Taliban genutzt werden.
Jede Fahrt oder Bewegung im Freien kann zur Entdeckung und zur Tötung führen, wie das gerade bei Fahd al-Quso, der beim Anschlag auf die U.S.Cole beteiligt gewesen sein soll und als wichtiger Führer von AQAP galt, der Fall war. Er war mit einem Auto mit anderen unterwegs und wurde von einer Hellfire-Rakete getroffen. Auch auffällige Bewegungen um Häuser, Be- und Entladen von Waffen oder eine Häufung von bewaffneten Wächtern können, wie seit kurzem bekannt wurde, zu Angriffen mit Drohnen auf Häuser führen, weil dann dort Militante vermutet werden, auch wenn keine konkrete Person verfolgt wird. Letztes Jahr wurde durch einen Drohnenangriff auf ein Haus auch Al-Awlaki getötet, danach angeblich aus Versehen auch sein Sohn, was nun als Propaganda dient:
It is not the first time U.S. drones are killing children all over the Muslims lands. But it is the first time that a child was killed intentionally. The only thing why Abdur-Rahmaan Bin Anwar Al Awlaki was "guilty" was the fact he was a son of Shaykh Anwar Al Awlaki.
Die US-Regierung hat angekündigt, den Drohnenkrieg im Jemen zu verstärken. Erklärt wurde, dass mittlerweile vom Jemen aus die größte Gefahr für die USA ausgehe (US-Regierung beschließt Ausbau des Drohnenkriegs im Jemen). Zudem hat US-Präsident Obama zum ersten Jahrestag der Tötung von Bin Laden den Kampf gegen Terror auf seine Fahne geschrieben, um im Wahlkampf zu punkten. Strategisch dürfte deswegen auch die Nachricht in den Medien lanciert worden sein ([Link auf 8/151962 ], dass man bereits im April präventiv einen möglichen Anschlag auf ein US-Flugzeug mit einer verbesserten er "Unterhosenbombe" verhindert hat. Weihnachten 2009 hatte Umar Farouk Abdulmutallab mit einer solchen von AQAP gefertigten Bombe versucht, ein Flugzeug in die Luft zu sprengen, was aber nicht gelang. Nähere Details, wo man die Bombe gefunden hat und ob jemand ergriffen wurde, gab es zunächst nicht, was den Verdacht nährte, dass mit der Geschichte vor allem Politik gemacht werden sollte. Die New York Time berichtet nun, dass der für den Anschlag Ausersehene für die CIA und den saudi-arabischen Geheimdienst gearbeitet habe. Er habe nicht nur die Bombe den Amerikanern übergeben können, sondern auch die Informationen geliefert, die die Tötung von al-Quso durch eine Drohne ermöglichte.
Je höher die US-Regierung die Gefahr von AQAP öffentlich bewertet, desto besser können die Islamisten damit für sich Werbung machen. Ein möglicher Zusammenhang mit der Meldung von der entdeckten Bombe könnte darin bestehen, dass AQAP in Inspire, das kurz zuvor veröffentlicht wurde, stolz davon berichtet, dass sie nun ein modernes Labor zur Herstellung von Bomben hätten, in dem möglicherweise die vom Doppelagenten den Amerikanern übergebene Bombe entwickelt wurde. In einem noch primitiven Labor auf dem Land habe man bereits 2009 einen von den Scanmaschinen nicht entdeckbaren Sprengsatz bauen können. Damit wurde im Schloss von Muhammad bin Naif al-Saud ein Anschlag auf diesen ausgeführt, das er aber überlebt hat. Dann habe man 2010 gerade einmal für 5000 Dollar Paketbomben in Flugzeuge schmuggeln können, in einem Fall war der Sprengsatz in einer Drucker platziert worden. Damit habe man weltweit einen Schaden von 40 Milliarden US-Dollar angerichtet, brüstet AQAP sich mit gehöriger Übertreibung. Jetzt habe man nach der Einnahme von Städten im Süden des Jemen aus Kasernen auch große Mengen an Sprengstoff, ausreichend Geld und eben ein "modernes Labor". Al-Qaida will gar mit zur Finanz- und Wirtschaftskrise beigetragen haben und irgendwie auch daran, dass "Zehntausende von Amerikanern, die die Banken und den Kapitalismus kritisieren, die Straßen von Detroit, New York, Los Angeles und Chicago verstopfen. All das verdankt sich zuerst Allah und dann den weltweiten Dschihad-Operationen."
Al-Awlaki ist auch im neuen Inspire-Heft noch allgegenwärtig. So rechtfertigt er in einer Koran-Auslegung auch Angriffe auf Frauen, Bauern, Alte und andere Menschen, die nicht direkt als Kämpfer auftreten, wenn sie den Kampf gegen Muslime unterstützen, finanzieren oder befürworten. Kinder, Frauen und Alte können nach ihm ohne Weiteres auch als Kollateralschaden betrachtet werden, wenn man die Absicht hat, die Kämpfer anzugreifen. So dürfen auch bei nächtlichen Angriffen unterschiedslos Kinder, Frauen und Männer abgeschlachtet werden, wenn es schwierig ist, diese zu unterscheiden. Aus demselben Grund ist es auch religiös nach dem Koran und bekannten Geistlichen gerechtfertigt, "eine Bombe in einem bevölkerten Zentrum eines Landes zu zünden, das einen Krieg gegen Muslime führt". Ebenso ist es nicht nur erlaubt, sondern auch wegen der großen Wirkung empfohlen, in dicht bevölkerten Städten Gifte oder chemische und biologische Waffen einzusetzen. Das alles sei keine Sünde. Nur wenn unbeabsichtigt Muslime getötet werden, müsse zur Wiedergutmachung gefastet oder Lebensmittel an Arme ausgegeben werden.
Interessant ist auch, dass bei der religiösen Rechtfertigung blinder Gewalt diese nur für Islamisten gelten soll: "Der Islam erlaubt den Feinden nicht", so der Imam, "unsere Regeln gegen uns zu verwenden." So wird behauptet, dass sich christliche Terroristen wie Breivik von Islamisten dadurch unterscheiden, dass sie bewusst Frauen und Kinder angreifen würden. Und man würde nicht die eigenen Leute töten, um die Gesellschaft aufzuwecken. Die Islamisten hingegen sollen und dürfen alle Mittel verwenden, um den Menschen in gegnerischen Ländern den größtmöglichen Schaden zuzufügen: "Das gehört zu den größten Taten, mit denen ein Muslim heute Allah verehren kann."
Entsprechend wird im Heft, das letztlich das kriegerische Abenteuerleben feiert, konkret und detailliert gelehrt und veranschaulicht, wie man den Umgang mit Handfeuerwaffen trainieren oder wie man fernzündbare Bomben herstellen kann. Klar wird auch, dass die Islamisten einen Gottesstaat anstreben, Demokratie gilt ihnen nichts, alles muss vom angeblichen Wort Gottes abgeleitet werden. Die Verletzungen von Menschenrechten durch demokratische Staaten werden als Beweis dafür gesehen, dass die von Menschen aufgestellten Prinzipien ins Unheil führen (das Unrecht, das sie selbst begehen, ist, siehe oben, gerechtfertigt durch vermeintlichen göttlichen Auftrag). Propagiert wird beispielsweise eine Brandstiftung in Wäldern, wenn es trocken ist und der Wind richtig weht, um möglichst großen Schaden zu verursachen. Vorgestellt und erläutert werden verschiedene Möglichkeiten, u.a. einen Waldbrand mit einer Zigarette einzuleiten. Legitimiert wird das auch wieder ausführlich durch die Religion. Gefeiert wird aber auch der Terrorist in den Städten, der "Urban Assassin" als "Werkzeug für den Sieg der Religion". Er wird gefeiert, weil er sich der modernen Gesellschaft und Kultur anpassen kann und nicht auffällt, was die Salafisten doch gerne durch Kleidung, Bärte und Verschleierung demonstrieren.