"Sie nahmen Kunst sehr ernst"

Seite 3: Frauen und Science-Fiction

Ich erinnere mich an ein Interview über Nostalghia mit einer Journalistin, die er anscheinend nicht besonders gemocht hat. Wie war seine Einstellung zu Frauen? War er ein Frauenfeind?

Tarkowski: Er verehrte seine Mutter und meine Mutter. Er hatte den größten Respekt vor Frauen. Er war der Meinung, dass Frauen und Männer zwar in geistiger Hinsicht gleich seien, dass Frauen allerdings etwas einbringen, was Männer nicht haben, und umgekehrt - dass Mann und Frau sich ergänzen.

Der Film Der Spiegel ist seiner Mutter gewidmet und ist eine regelrechte Hymne an die Mutter, an die Frau. Mehr kann man eine Frau nicht lieben. Auch glaubte er an die Familie. Er war kein Einzelgänger, der nur an seine Karriere dachte. Er war gerne mit uns und seinen Freunden zusammen. Das gemeinsame Mittag- und Abendessen war ein Ritual. Er hatte etwas altmodische Ansichten - allerdings im guten Sinne, finde ich. Traditionen sind wichtig.

Wenn ich mir anschaue, wie er die Madonna der Geburt des Piero della Francesca aufnimmt und in Szene setzt, die ganz rund ist und das ewig Weibliche darstellt, dann lese ich darin eine große Verehrung des Femininen.

Tarkowski: Ja, absolut. Er betonte immer wieder, dass ohne seine Mutter niemals etwas aus ihm geworden wäre. Es ist die Mutter, die sich ganz für ihre Kinder aufgeopfert und sie unter großen Entbehrungen erzogen hat. Sie musste deshalb sogar das Schreiben aufgeben. Sie war für ihn der vielleicht wichtigste Mensch im Leben. Er litt auf dramatische Weise unter ihrem Verlust. Es ist falsch, das Weibliche von seiner Suche nach Vollständigkeit und dem gleichzeitigen Bewusstsein, sie nie erreichen zu können, auszuschließen.

In jedem seiner Filme ist die Figur der Frau vorherrschend. In Iwans Kindheit ist es die nicht existierende, verstorbene Mutter; Iwans Albtraum, eine unüberbrückbare Leere, die dieses Kind praktisch zerstört. Er ist demzufolge kein Mensch oder Kind mehr, sondern ein Geschöpf des Krieges. In Andrej Rubljow haben wir die Durochka. In Stalker ist der Monolog seiner Frau vielleicht der wichtigste im ganzen Film. In Opfer gelingt es dem Protagonisten nur mit Hilfe der Hexe, das Opfer darzubieten. Es ist also immer die Frau, die das Wunder vollbringt.

"Science-Fiction nur ein Vorwand"

Wie war sein Verhältnis zur Science-Fiction?

Tarkowski: Science-Fiction war für ihn nur ein Vorwand, um die bürokratische Maschinerie der sowjetischen Zensur zu überwinden. Er musste Wege finden, wenn auch indirekt, frei über bestimmte Themen sprechen zu können, ohne dafür bestraft zu werden. Dafür eignete sich das Genre Science-Fiction sehr gut. Dann drehte er alles so wie er wollte, dass es am Ende gar keine Science-Fiction mehr war.

Er nahm z. B. einen Roman, veränderte ihn so sehr und passte ihn seinen Vorstellungen an, dass von der ursprünglichen Science-Fiction-Story nichts mehr übrig blieb. Selbst der Autor von Solaris hatte geklagt, das sei nicht mehr die Adaption seines Romans, sondern ein Dostojewskij. Er weigerte sich im Anschluss, am Film mitzuarbeiten. Es war eine Art, die Zensoren zu täuschen.

Sowohl Solaris als auch Stalker sind äußerst religiöse Filme, die auf gut versteckte Weise fast die Geschichte eines Heiligen nachzeichnen. Sein größter Wunsch war es gewesen, seinen Lieblingsautor Dostojewskij zu verfilmen, doch das ist ihm nie erlaubt worden. In Solaris sind noch viele Science-Fiction-Elemente vorhanden, während in Stalker die Science-Fiction eindeutig nur ein Vorwand war.

Möchten Sie unseren deutschsprachigen Lesern noch etwas mitteilen?

Tarkowski: Ja, gerne, denn jetzt ist die neu übersetzte Ausgabe von "Tarkovski" beim Alexander Verlag in Berlin erschienen. Darüber bin ich wirklich sehr glücklich, denn es ist ein sehr schönes und sehr lesenswertes Buch.

Tarkowski, Andrej: Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films. Mit einem Vorwort von Dominik Graf. Neu im Alexander Verlag erschienen.

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