Sieht so ein Wetterbericht aus?

Wetter ist mehr als eine Nachricht, Vorhersagen sind Showtime

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Es ist 22 Uhr, auf dem Bildschirm räkelt sich eine langbeinige Blondine und klärt die Zuschauer über erotische Hoch- und Tiefdruckgebiete auf. Sieht so ein ordentlicher Wettbericht aus?

Wo früher grau gekleidete Meteorologen in regungsloser Stimme von Hochdruckgebieten über dem Atlantik sprachen, haucht Jenny Elvers in der DF1-Sendung "Reizklima" ihre Prognose ("Regen, Regen Regen...") in die Kamera und gibt Tips für Wasserscheue: "Bleiben Sie doch einfach im Bett und kuscheln Sie mit ihrem Herzblatt!" Auch Pro 7 setzt bei "Liebe Sünde" mit wechselnden erotischen Wetterfeen auf die Kombination von Meteorologie und mehr oder weniger schlichten Liebesratschlägen. "Heiße Liebespiele mit kaltem Popo - das wird nichts!", kündigt "Liebe Sünde"-Model Monique die heranziehende Kältefront an.

Die Tage des guten alten Wetterberichts sind gezählt. Nun sind Wettervorhersagen von Natur aus weder besonders erotisch noch gibt es Hinweise darauf, daß sich die Geschlechter nur unter ganz besonderen klimatischen Bedingungen aufeinander einlassen. Sendungen wie "Reizklima" sind vielmehr der sichtbarste Beweis für den Wandel der Wettervorhersage von schlichter Sachinformation zum umfassenden Entertainment.

Rupert Sommer, Programmchef des DF1-"Blue Channel", hat eine einfache Erklärung für die erstaunliche Paarung von Erotik und Meteorologie: "Es gibt wenige Themen, die Menschen richtig bewegen - Wetter gehört auf jeden Fall dazu." Ihm gehe es vor allem darum, einen Einstieg ins Abendprogramm zu bekommen. "Reizklima präsentiert die gleichen Wetterdaten wie etwa die Tagesschau, nur eben mit einem Augenzwinkern", so Sommer. Obwohl bei "Reizklima" der Spaß im Vordergrund stehe, hält Sommer die erotischen Botschaften der Wetterdaten für gar nicht so abwegig. "Es gibt Erkenntnisse, daß Tiefdruckgebiete tatsächlich die sexuelle Neugier hemmen", weiß der Erotik-Beauftragte des Abo-Kanals.

Erotik ist nicht die einzige Variante, mit der die neuen Wettershows aufwarten. Bei Radio Bremen etwa läuft im Rahmen des regionalen Nachrichtenmagazins "Buten & Binnen" jeden Freitag mit "Hammelmann's Wetter" die durchgedrehteste Wettervorhersage der Republik. Seit Mitte 1995 führen die Radio Bremen-Satiriker Winfried Hammelmann und Jan Rimpel hier Woche für Woche in 30-Sekunden-Spots eine Art absurdes Wettertheater auf, in dessen Zentrum ein trotteliger und überaus bärtiger Wetteransager und sein entnerverter Vorgesetzter stehen. Um Blitz und Donner geht es dabei nur am Rande, statt dessen hagelt es eigenartige Komik. Schließlich ist Winfried Hammelmann kein Meteorologe, sondern Comedy-Autor. "Wir könnten auch über jedes andere Thema reden", beschreibt er seine Wetter-Show als Mittel zum Zweck. Dennoch gibt es bei Hammelmann Antworten auf elementare Fragen der Wochenendplanung. "Kann ich grillen oder nicht?" Wer mehr wissen will, der kann sich eine halbe Stunde später bei Kachelmann informieren.

Mit seinem konsequenten Comedy-Konzept nimmt "Hammelmann's Wetter" eine Sonderstellung ein. "So bekloppt wie wir macht niemand sonst das Wetter; auch ein Vorteil dieses ,gallischen Dorfs' namens Radio Bremen. Ein Sender wie der Hessische Rundfunk könnte für so ein Programm nie die nötige Liberalität aufbringen", meint der Komiker. Hammelmanns Wetteransagen sind neben anderen komischen Werken aus seiner Feder inzwischen sogar auf CD ("Hammelmanns wirre Welt") erschienen. Schließlich hat bereits sein Vorgänger bei "Buten & Binnen", Egon Wellenbrink, demonstriert, daß sich auch der Wetterbericht zum Sprungbrett ins große Entertainment-Business eignet. Wellenbrink ist der ganzen Republik inzwischen als der "Melitta-Mann" aus der Werbung bekannt. Damit steht er nicht allein. Auch der Mann hinter dem "Wetter im Ersten", Jörg Kachelmann, ist ein gefragtes Gesicht für Werbung und Entertainment geworden. So wirbt Kachelmann für die Bank 24 und versuchte sich in der Neuauflage von "Einer wird gewinnen" als Nachfolger von Hans-Joachim Kulenkampff. Den Moderator-Job hat er inzwischen wieder an den Nagel gehängt.

Jörg Kachelmann ist der Vater der neuen Wettershows. Wer immer in der deutschen Fernsehlandschaft übers Wetter redet, kommt an diesem Namen nicht vorbei. Schon als Neunjähriger soll er sich entschieden haben, einmal Meteorologe zu werden. 16 Jahre später moderierte Kachelmann für den Schweizer "Sonntagsblick" seine erste Wetterkarte, mit 27 avancierte er zum Wissenschaftsredakteur im Schweizer Fernsehen und im November 1991 gründete er die Schweizer Meteomedia AG. Seit 1992 ist er - zunächst beim "ARD-Morgenmagazin", dann beim "Wetter im Ersten" - der unterhaltsame Wettermann im Ersten. Seine Firma versorgt neben der ARD auch Schweizer Tagesanzeigen und Online-Angebote mit Wetterdaten.

Kachelmann hat aus dem Wetterbericht eine Personality-Show gemacht. Während bei den üblichen Meteorologen allenfalls die Erinnerung an einen grauen Anzug zurückbleibt, nimmt man dem Schweizer die Begeisterung über die meteorologischen News ab. Auch Wetter-Komiker Winfried Hammelmann, im Gegensatz zu Kachelmann kein begeisterter Meteorologe, hat ihm einiges zu verdanken: "Kachelmann war der Wegbereiter, der gezeigt hat, daß man Wetteransagen auch anders machen kann."

Mit dem Großteil seiner wissenschaftlichen Kollegen hat es sich Kachelmann dabei gründlich verdorben. Schließlich hat er mit einer Reihe ungeschriebener Gesetze dieser Profession gebrochen. Da ist zum einen die Sprache. Kachelmann spricht nicht von Niederschlägen, sondern von Regen, und selbst den bringt er auf dem Fernsehschirm so begeistert rüber, daß man ihn am Ende gar nicht mehr so niederschlagend empfindet. Empörte Proteste erntete er, als er Anfang des Jahres erstmals in der deutschen Wettersprache ein Tief namens "Axel" ankündigte. Seit Jahrzehnten waren für deutsche Wetterforscher Tiefs weiblich und Hochs männlich gewesen. Bei der sonst so ruhigen Meteorologen-Schar entfachte dies eine leidenschaftliche Diskussion darüber, ob man mit der weiblichen Benennung von Tiefdruckgebieten nicht die Frauen beleidige oder gar "sexistisch" sei.

Während der Deutsche Wetterdienst (DWD) an der bisherigen Praxis festhält, haben sich neben dem "Wetter im Ersten" auch n-tv und RTL für die gemischgeschlechtliche Benennung entschieden. So kann es vorkommen, daß das gleiche Tief, das kurz vor acht von Kachelmann noch unter dem Namen "Axel" angekündigt wurde, wenig später in der vom DWD versorgten Tagesschau-Wettervorhersage bereits wieder "Vanessa" heißt. "Ein heilloses Durcheinander," stöhnt der Berliner Meteorologie-Professor Werner Wehry und wirft Kachelmann vor, die Namensrevolte als PR-Gag zur Steigerung seiner Einschaltquote eingefädelt zu haben.

Dank Kachelmann und Co sind Wettervorhersagen nicht nur Teil des Show-, sondern auch des Werbegeschäfts geworden. Kaum eine Wettersendung kommt mehr ohne Werbetrailer aus, außerdem eignen sich die kurzen Programmhäppchen hervorragend zur Auflockerung der Zeit vor oder nach den Werbeblöcken. Mit seinem ehrgeizigsten Projekt allerdings ist Kachelmann gescheitert: Der deutsche Wetterkanal, der nach dem Vorbild etwa des "Weather Channel" in den USA rund um die Uhr über nichts anderes als das Wetter informieren sollte, wurde nach anderthalb Jahren Sendezeit Anfang 1998 abgeschaltet.

Die staatlichen Wetterforscher allerdings lassen all diese Höhen und Tiefen im Geschäft mit dem Wetter völlig kalt. So wird die Wettervorhersage der Tagesschau weiterhin vom Deutschen Wetterdienst erstellt. Dort arbeiten knapp 3.000 Mitarbeiter mit einem Etat von insgesamt fast 300 Millionen Mark daran, das Wetter- und Klimageschehen wissenschaftlich zu erforschen. Entertainment à la Kachelmann ist für DWD-Sprecher Uwe Wesp ein Graus: "Für uns ist Wetter eine Nachricht. Das Wetter als Showeffekt zu benutzen, ist meines Erachtens ziemlich deplaziert." Eine Sturmflut, einen Hagelschlag, das könne man doch nicht lächelnd im Rahmen einer Show verkaufen, so Wesp. Will uns da einer den Wetterspaß vermiesen? Zumindest wird die Präsentation der Wetterdaten durch aufwendige Computersimulationen optisch immer ansprechender. So können die Zuschauer die Regenfronten im virtuellen Tiefflug über Deutschland beobachten. Immerhin: Auch ein ganz persönlicher Wetterbericht übers Internet ist für Wesp denkbar.