Sind Viren doch Lebewesen?

Parasiten gibt es überall, nun wurden erstmals auch parasitäre Viren in Mammutviren entdeckt

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Parasiten sind für das Leben wahrscheinlich weitaus wichtiger, jedenfalls sehr viel mehr verbreitet, als man dies bislang angenommen hat. Zudem sind die Verhältnisse oft auch in sich komplex, weil Parasiten nicht nur unterschiedliche Wirte befallen, sondern auch selbst zu Wirten anderer Parasiten werden können. Bislang ist man davon ausgegangen, dass Viren, die als Parasiten gelten, selbst nicht von Parasiten befallen werden. Aber es gibt auch Viren, wie französische Forscher kürzlich entdeckten, die wiederum von Viren befallen werden.

Viren befallen alle Eukaryoten, Archaea und Bakterien. Als der größte Virus gilt der Acanthamoeba polyphaga Mimivirus (APMV), der in Amöben wächst und selbst unter einem optischen Mikroskop sichtbar ist. Das lineare Chromosom ist mit 1.185 Kilobasenpaaren (kbp) und 900 kodierenden Genen relativ groß. Wegen ihrer Größe hatte man die "Monsterviren" zunächst für Bakterien gehalten.

Mamavirenpartikel (rot) und Sputnikviren (grün). Bild: La Scola, B. et al./Nature

In solchen "gigantischen" Mimiviren sind die Wissenschaftler, deren Studie in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, nun auf einen parasitären Virus gestoßen, der in diesen lebt. Eigentlich wollten sie nur die Riesenviren näher untersuchen, weil ihre Größe die herkömmliche Definition von Viren sprengt. Für ihre Studie verwendeten sie APMV aus einem britischen Kühlhaus, die mit Wasser aus einem französischen Kühlhaus geimpft wurden. Weil diese Viren noch größer wurden und ihr Chromosom bereits 1.200 Kilobasenpaare (kbp) umfasste, nannten sie sie Mamaviren (Acanthamoeba castellani Mamavirus), in denen sie dann kleine Viren mit einer Größe von 50 Nanometern entdeckten, die den Namen Sputnik erhielten.

Sputnik reproduzierte sich nicht in den Amoeben Acanthamoeba castellani, wohl aber dann, wenn die Amoeben auch von Mamaviren heimgesucht waren. Liegt eine solche Koinfizierung vor, reproduzieren sich die Mamaviren deutlich weniger. Sputnik hat ein zirkuläres Genom mit 18.343 Basenpaaren (bp), das vermutlich 21 Gene enthält. Die Gene sind, so die Wissenschaftler, aus mindestens drei verschiedenen Quellen, nämlich aus einer neuartigen potenziellen Virenfamilie, aus einem Plasmid oder Archaevirus und aus dem Mimi- oder Mamavirus. Die drei Gene, die Sputnik mit dem APMV gemeinsam hat und wahrscheinlich durch einen Gentransfer in koinfizierten Amöben erworben hat, könnten mit der Interaktion der parasitären Viren mit ihren Wirten zu tun haben, vermuten die Wissenschaftler, und dazu beitragen, dass die Virenfabriken der Mamaviren die Sputnikviren zusammenbauen.

Der chimärische Ursprung der parasitären Viren sei eines ihrer herausragendsten Eigenschaften, sagen die Wissenschaftler, die auch glauben, dass sie damit Sputnik den ersten Virophagen – in Analogie zu den Bakteriophagen – beschrieben haben. Ob es weitere dieser Virophagen gibt, ist nicht bekannt. Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass vier der von den Sputnik-Genen codierten Proteinen auch im Rahmen des Global Ocean Survey gefunden wurden, es hier also auch Virophagen geben könnte. 70 Prozent der im Meer gefundenen Virengene waren bislang nicht bekannt.

In dieser Studie von französischen Wissenschaftlern, die in der Zeitschrift Genom Biology erschienen ist, wurde festgestellt, dass Viren überall im Meer zu finden sind und den größten Anteil an Mikroorganismen stellen. Die zweitgrößte Gruppe der Viren bildeten die Mimiviren, die vermutlich weit verbreitete Parasiten von Algen sind. Jean-Michel Claverie, einer der Autoren dieser Studie vom CNRS UPR in Marseilles, glaubt, dass mit der Entdeckung der Sputnik-Viren die Frage erneut gestellt werden muss, ob nicht auch Viren Lebewesen sind, zumindest die Monsterviren: "Zweifellos ist das ein lebendiger Organismus", sagte er Nature News. "Die Tatsache, dass er krank werden kann, macht ihn lebendiger."