Sind die Luftangriffe im Irak und in Syrien erfolgreich?
Der IS führt nach dem Pentagon einen "hybriden" Krieg, aber was ist die Strategie des Pentagon?
Die USA führen mit ihrer Koalition der Willigen, abgesehen von wenigen Soldaten vor Ort, die aber noch nicht direkt in Kämpfe eingreifen, einen Luftgriff gegen den Islamischen Staat. Zwar sind neben Drohnen in der Regel bemannte Kampfflugzeuge die Mittel des Angriffs, aber die Bestimmung der Angriffsziele und die Bewertung ihres Erfolgs muss selbst durch Aufklärung aus der Luft geschehen, also aus der Distanz. Daher heißt es in den Mitteilungen des Pentagon, dass Fahrzeuge, Gebäude oder Stellungen getroffen wurde, aber es bleibt unklar, ob und inwieweit die Angriffe dem IS tatsächlich schaden und damit, wie effektiv dieser Luftkrieg ist.
Im Gegensatz zu den bisher geführten asymmetrischen Kriegen gegen islamistische Aufständische, Kämpfer oder Terroristen in Afghanistan und im Irak, aber auch in Pakistan, im Jemen oder in Somalia führt der Islamische Staat einen "hybriden" Krieg, wie die US-Strategen sagen.
Auch Russland wird eine hybride Kriegsführung vorgeworfen, allerdings aus einer anderen Perspektive. Moskau habe sich bei der Vereinnahmung der Krim und der Stärkung der Separatisten nur teilweise auf konventionelle militärische Mittel gestützt, sondern den "unkonventionellen Krieg", so Nato-Kommandeur Breedlove, etwa mit "Propagandakampagnen, Cyberangriffen oder heimischen (homegrown) Milizen" geführt (Hybride Kriegsführung). Das habe den Westen überrascht und handlungsunfähig gemacht.
Der IS kontrolliert nicht nur große Gebiete und zahlreiche Städte, sondern er hat durch Eroberung und Vertreibung von syrischen und irakischen Soldaten auch moderne Waffen und Ausrüstung erhalten. Zwar bleibt die Lufthoheit bei den Angreifern und haben IS-Kämpfer noch kein Flugzeug abgeschossen, aber der IS verfügt über Artillerie, Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, um Gebiete zu erobern oder zu verteidigen. Damit agiert er weniger wie "normale" Terrorgruppen, die aus dem Hinterhalt zuschlagen, Anschläge ausführen und wieder untertauchen, sondern wie eine normale Armee oder eine aufständische Bewegung in einem Bürgerkrieg. Schon allein die Zahl der Kämpfer, möglicherweise 30.000 oder mehr, zeigt, dass der IS keine kleine, klandestin agierende Terrorgruppe, sondern eine offen agierende Streitmacht ist. Hier nur wie etwa in Pakistan durch Drohnenagriffe einzelne zu ermorden, dürfte diesen nicht wirklich schwächen.
Verbreiten konnte er sich, weil er im Irak auf wenig Widerstand stieß und in einem Blitzkrieg große Gebiete mitsamt den Stützpunkten und dem militärischen Material einnehmen konnte, während das Assad-Regime ihn bis vor kurzem gewähren ließ. Allerdings werden die Angriffe und Einnahmen mitsamt ihrer Brutalität wie Terroranschläge als mediale Spektakel inszeniert und durch Exekutionen und Köpfungen ergänzt. In Pakistan, im Jemen oder in Somalia werden vermutete Kämpfer von Drohnen meist auf offenem Gelände außerhalb der Städte gejagt und getötet, der Islamische Staat aber hat seine Stützpunkte und Kommandozentralen in Städten, die nicht klar wie Kasernen oder Regierungsgebäude geortet werden können, sondern sich inmitten ziviler Strukturen befinden. Um hier den IS empfindlich zu treffen, müssten die Angreifer über genaue Kenntnisse verfügen, die sie mangels Informationen vor Ort in der Regel nicht haben, oder sie müssten großflächig angreifen, was zu schweren "Kollateralschäden" führen würde, die den IS, zumindest aber den Widerstand gegen die Koalition nähren wird.
Der Pentagonsprecher, Konteradmiral John Kirby, berichtete am Freitag, dass die Luftschläge den IS zur Veränderung seiner Taktik gezwungen habe. Das freilich muss noch lange kein Erfolg sein. Bis zu den Luftangriffen konnte sich der IS weitgehend frei bewegen, da weder das syrische Regime noch die irakischen Truppen gegen ihn mit Kampfflugzeugen vorgingen. Allerdings hatte der IS bereits vor den angekündigten Luftangriffen damit begonnen, Kommandozentralen und Waffen in Wohngebiete oder unter den Boden zu verlagern, was auch zu erwarten war. Jetzt, so Kirby, würde der IS mehr auf Schutz achten, weil er beobachtet werde. Die Terroristen würden ihre Taktik weiter ändern, das würden aber die Koalitionsstreitkräfte auch. Für den Sonntag berichtete das Pentagon, dass drei Angriffe durchgeführt worden seien:
One strike northwest of Al Mayadin destroyed an ISIL bulldozer, two ISIL tanks and destroyed another ISIL vehicle. Two strikes northwest of Ar Raqqah struck a large ISIL unit and destroyed six ISIL firing positions.
Am Montag hieß es:
In Syria, one strike destroyed an ISIL tank near Taqba Airfield west of Ar Raqqah. One strike destroyed two ISIL fighting positions south of Kobani. One strike southeast of Dayr az Zawr destroyed an ISIL tank.
Aber was heißt hier "zerstören" und wie wird bestimmt, ob es sich um Tanklastwagen, Fahrzeuge, Planierraupen oder Gebäude des Islamischen handelt? Nach Kirby sind bis zum Freitag 334 Einsätze geflogen worden. Dennoch konnten der Islamische Staat offenbar seine Streitkräfte zur Eroberung der Grenzstadt Kobane verstärken und rückt weiter in Teilen Iraks vor. Offenbar wird parallel versucht, Kobane in Syrien einzunehmen und weiter auf Bagdad vorzurücken. Am 29. September hatte Generalmajor Jeff Harrigian von der US-Luftwaffe erklärt, die gezielten Luftangriffe würden "die Führung der IS, ihre Logistik und Infrastruktur und ihre Bewegungsfreiheit stören", um zu belegen, dass Luftangriffe "eine der fundamentalen Komponenten der umfassenden Strategie" sind. Konkreter wurde er auch nicht. Man preist an, was man indem man auf die Quantität der Angriffe verweist.
Die 5-Ringe-Strategie eines Luftkriegs
Oberst Clint Hinote von der US-Luftwaffe, der auch am Council on Foreign Relations arbeitet und promovierter Militärstratege ist, hat kürzlich erörtert, wie aus militärischer Sicht der Erfolg der Luftschläge erfasst wird. Der Unterschied zu Irak und Afghanistan bestehe in Syrien darin, dass man dort Bodentruppen hatte, die eine "dynamische Zielerfassung" ermöglichten, weil sie vor Ort waren. Jetzt gebe es nur eine wohlüberlegte Strategie, die Informationen aus unterschiedlichen Quellen verwendet, "um den Gegner zu analysieren und zu entscheiden, wo Angriffe am wirkungsvollsten sind".
Hinote ist skeptisch, die wohlüberlegte Zielerfassung würde wohl nur vorübergehend erfolgreich sein, weil der Gegner sich darauf einstellen kann, im Irak ist die Frage, ob die schwache Armee eine "dynamische Zielerfassung" auf die Länge leisten kann. Die Taktik der gezielten Schläge sei im Zweiten Weltkrieg entwickelt, in Desert Storm, dem Krieg gegen den Irak, aber perfektioniert worden, zumindest in der Theorie. Löscht man die zentralen Teile des gegnerischen Netzwerks aus, würde das den Krieg verkürzen und Opfer minimieren, so die Theorie, die allerdings im Krieg gegen Hussein (Operation Iraqi Freedom) daneben ging. Zwar konnte das Hussein-Regime schnell durch die Shock-and-Awe- und Enthauptungs-Strategie (Saddam war das Ziel der Luftangriffe) zerschlagen werden, dafür aber wuchs danach der Widerstand, der nun zur Ausbreitung des Islamischen Staats geführt hat.
Ausgearbeitet hat die Strategie nach Hinote Oberst John Warden. Nach ihm sei es entscheidend, fünf Bereiche des gegnerischen Systems nacheinander auszuschalten bzw. zu berücksichtigen. Zunächst die Führung, dann die Fundamente des Systems, schließlich die Infrastruktur, die Bevölkerung und die aufgestellten Truppen. Am besten sei es, den Gegner von Innen nach Außen anzugreifen, und dies schnell und massiv. Das war das Konzept des Luftangriffs in der Desert-Storm-Operation, die damals und auch heute umstritten sei. Viele Militärstrategen würden, weil es schwierig sei, die Informationen zur Ausschaltung der Führung zu erhalten, die Strategie paralleler Angriffe favorisieren. Breite Angriffe würden auf die Organisation Druck ausüben und sie schwächen. Das würde die Führung dazu zwingen, die Strategie den Angriffen auf eine Weise anzupassen, die sie nicht will. Und dies sei die Strategie, die jetzt in Syrien verfolgt werde.
In Syrien würde jetzt das Konzept bestehen, die Führung anzugreifen und dann die Trainingscamps sowie die Ölraffinerien, und die Infrastruktur (Kommandozentralen und Waffenlager). Die Bevölkerung werde geschützt durch Angriffe, man liefert humanitäre Hilfe. Und fünftens greift man Panzer, Artillerie, Stellungen etc. an. Die Schwäche des Islamischen Staats besteht darin, dass er, um den Anspruch auf ein Kalifat aufrechtzuerhalten, Territorien kontrollieren und damit Gebäude, Lager und Infrastruktur halten will, die für Luftangriffe gute Ziele sind. Man kann den IS zwingen, sich zu zerstreuen, die Kommandozentralen zu evakuieren, immer in Bewegung zu sein und neue Methoden zu finden, um Rekruten auszubilden, sich zu versorgen oder zu kommunizieren.
Hinote meint abschätzig, es sei modisch geworden zu sagen, dass ein Luftkrieg allein den Islamischen Staat nicht zerstören werde. Die Kritik geht auch einher mit der Forderung, dass Bodentruppen notwendig seien. Der Militärstratege meint allerdings, dass sich militärisch die Ideologie oder die Wut nicht "zerstören" lasse, die den IS oder die Taliban antreibt:
Die besten Bodentruppen in der Welt waren über 10 Jahre lang dazu nicht im Irak und in Afghanistan imstande. Letztlich muss die Bevölkerung die Ideologie ablehnen, und bis sie dies macht, ist das Beste, was militärische Macht tun kann, den IS durch asymmetrische Angriffe zu schwächen. Das kann Zeit und Raum für regionale Führer kaufen, um das Problem durch Organisation zu lösen.
Hinote
Das klingt nicht sonderlich erwartungsvoll. Man zieht in den Krieg mit der Hoffnung, dass der Gegner des Gegners, den man bekämpft, stärker wird. Im Irak wären dies die Kurden und Schiiten, in Syrien das Assad-Regime. Das erscheint als blinder Aktionismus, aber auch als die wesentliche Strategie der US-Regierung mit ihrer Koalition. Zudem wird eher umgekehrt zu dem Modell von Warden verfahren. Angegriffen werden vor allem einzelne Fahrzeuge oder Gebäude, während schon der Bevölkerung nur selektiv geholfen wird.