Sind sprunghafte Gene schuld am Sex?

Parasiten oder evolutive Schrittmacher? Transposone – die genetischen Lückenspringer

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Springende Gene galten lange Zeit als Genmüll, doch sie könnten eine wichtige Triebkraft der Evolution gewesen sein und womöglich der geschlechtlichen Fortpflanzung zur Existenz verholfen haben.

Sind sie überflüssig oder wichtig für die Evolution? Die Existenz von Transposonen schien lange reiner Selbstzweck, ihr Nutzen zweifelhaft und ihre Schädlichkeit eher hoch. Doch die mobilen genetischen Elemente, die das Genom vieler Arten bevölkern, üben seit ihrer Entdeckung wachsende Faszination auf Genetiker aus. Der aktuelle New Scientist berichtet von Untersuchungen, die dem Rätsel auf der Spur sind.

Die Nomaden unter den Genen

Lange Zeit waren die Genetiker davon überzeugt, dass Gene an bestimmten Orten fest in ein Chromosom eingebunden sind. Ende der 40er-Jahren brachte eine Frau dieses Dogma zu Fall: Barbara McClintock entdeckte "springende Gene", die ihre Position verändern und sogar in andere Chromsomen wechseln können. 1983 bekam sie dafür den Nobelpreis. Zwischenzeitlich weiß man, dass springende Gene oder Transposone gut die Hälfte der menschlichen DNA ausmachen. Sie lösen sich aus einer Stelle des Genoms und springen an einer anderen wieder hinein. So wandern sie im Genom umher, von Generation zu Generation.

An Mais, der in verschiedenen Farben gemustert war, entdeckte Barbara McClintock die springenden Gene, die für diese Verfärbungen verantwortlich sind (Bild: Biosicherheit.de)

Bis in die 80er-Jahre galten Transposone weithin als "ultimative Parasiten", als Müll, den Abertausende von Jahren Evolution hinterlassen haben. Ein Jahrzehnt später entdeckte man auch nützliche Seiten. Es stellte sich heraus, dass sie auch wichtige Funktionen erfüllen und vermutlich an der Entwicklung unseres Immunsystems beteiligt waren.

Transposone sind nicht nur wendig, sie sind ziemlich potent und können die Expression, das Interpretieren von Genen, also das Ablesen und Übersetzen der genetischen Information beeinflussen. Diese hängt von sogenannten Promotern ab, kurzen DNS-Sequenzen, die neben den Genen sitzen und deren Aktivität kontrollieren.

Mobil und einflussreich

Aktive Transposone haben nun die besondere Eigenschaft, eigene Promoter zu besitzen, die Zellen dazu veranlassen können, Proteine von ihnen zu produzieren. Solche mobilen Transposone sind also in der Lage, neben einem Gen zu landen und dessen Aktivität zu ändern. Daraus ergibt sich die Frage, ob dies so häufig passiert, dass es den Gang der Evolution beeinflusst haben könnte.

King Jordan von den National Institutes of Health in Bethesda ist dieser Frage nachgegangen und hat anhand einer Datenbank mit menschlichen Promoter-Sequenzen nach Spuren von Transposonen gefahndet. Er stellte fest, dass fast ein Viertel der untersuchten Proben Sequenzen enthielt, die von Transposonen stammten. Er vermutet daher, dass die springenden Gene eine wichtige Triebkraft für evolutive Veränderungen gewesen sind. Kanadische Forscher fanden für diese These einen weiteren Beleg: Bei Vergleichen zwischen Human- und Mausgenomen stellten sie fest, dass speziell Gene, die sich rasch entwickelt haben, mehr Transposone enthielten als andere.

Wissenschaftler wie James Shapiro von der University of Chicago glauben daher nicht, dass der Weg der Transposonen dem Zufall folgt. "Wenn ein bewegliches Element sich von einem Ort zum anderen fortbewegt, ist das kein Zufall. Damit springt eine Maschine an, deren Aufgabe es ist, die DNA zu bewegen." Für ihn ist der vermeintliche Genmüll ein Werkzeug, welches das Genom für seine Gestaltung nutzt, um neue Möglichkeiten zu testen. "Mit beweglichen Elementen kann sich ein Organismus schneller entwickeln."

Das nützliche Transposon – ein Mythos?

Doch es gibt auch Skeptiker: Wissenschaftler wie Timothy Bestor von der Columbia University in Ottawa/Ontario glauben, dass der Effekt von Transposonen unterm Strich negativ ist. Er beruft sich dabei auf Donal Hickey, der 1982 vorrechnete, dass sich bei Organismen, die sich geschlechtlich fortpflanzen, auch DNA-Parasiten ungehindert ausbreiten können, selbst wenn sie für ihre Wirte schädlich sind.

Bestor selbst verweist darauf, dass Organismen, die sich geschlechtlich fortpflanzen, die höchste Zahl von Transposonen aufweisen, Organismen mit ungeschlechtlicher Vermehrung hingegen die niedrigste. Die geschlechtliche Fortpflanzung habe den Vorteil darin, dass sie der natürlichen Selektion viel Spielraum gebe. Diesen Vorzug hätten asexuelle Arten nicht. Wenn die Hypothese von der Nützlichkeit der Transposone nun aber tatsächlich stimme, müssten gerade diese Massen an Transposonen besitzen, das sei aber nicht der Fall.

Sein Fazit: Der Mensch will sich Transposone als etwas Nettes und Gutes vorstellen, weil der Gedanke daran, dass die eigenen Gene voller Parasiten sind, dass man sie erbt und weiter vererbt, abstoßend ist.

Geburtshelfer der geschlechtlichen Fortpflanzung?

Andere Forscher halten Transposone für eher schädlich und sehen doch gerade darin einen Vorteil, weil das Wirtsgenom dadurch gezwungen ist, sich zu wehren. Die dazu entwickelten Strategien sind ihrer Meinung nach das Rohmaterial für den evolutionären Anpassungsprozess. Ein solcher könnte die DNA-Methylation sein, mittels derer Zellen Transposonen unterdrücken und die eigenen Gene ausschalten können. Sie ist ein zentraler Mechanismus der geschlechtlichen Fortpflanzung, weil sie unter anderem sicherstellt, dass bei weiblichen Embryos nur eines der beiden X-Chromosomen aktiv ist.

Ein Verfechter der "Evolutions-Schrittmacher-Theorie" wie King Jordan baut auf diese These noch weitere. Er spekuliert, dass Transposone auch bei der Entstehung der geschlechtlichen Fortpflanzung mitbeteiligt gewesen sein könnten. Denn wenn diese Art der Fortpflanzung sicherstellt, dass die springenden Gene sich ausbreiten können, dann ist es in ihrem Interesse, ihre Wirte dazu zu bringen, sich weiter auf diese Weise zu vermehren. Ein frühgeschichtliches Transposon könnte eine Mutation erzeugt oder Gene aktivierte haben, die eine Reproduktion nur unter der Bedingung zuließen, dass die genetische Information von zwei Individuen kombiniert wird.

Jordans Hypothese ist ein Versuch zu erklären, wie die geschlechtliche Fortpflanzung entstand. Und sie liefert ihm bequemerweise auch eine Antwort auf ein zweites Rätsel, das die Wissenschaft beschäftigt: Die geschlechtliche Fortpflanzung ist zwar, langfristig gesehen, erfolgreich, weil sie neue Genkombinationen ermöglicht, was dem Adaptionsprozess förderlich ist.

Wollen die Transposone den Sex?

Kurzfristig gesehen ist sie hingegen nachteilig. Nicht nur ist ein Partner zu finden – man muss sich auch noch von der Hälfte seiner Gene trennen. Die natürliche Selektion aber straft Merkmale ab, die kurzfristig von Nachteil sind. Genetiker fragen sich daher, wie sich die geschlechtliche Fortpflanzung trotz ihrer anfänglichen Nachteile durchsetzen konnte. Aus Jordans Sicht löst sich der Knoten: Transposone könnten aus völlig eigennützigen Motiven der sexuellen Fortpflanzung zu ihrem Erfolg verholfen haben.