Slobodan - Superstar

Der abgesetzte Ex-Präsident Jugoslawiens bringt von seiner Gefängniszelle in Den Haag aus die serbische Regierung in Bedrängnis

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Slobodan Milosevic ist ein Superstar. Jedenfalls in Serbien. Dort verfolgten Mitte Februar zwei Drittel der Bevölkerung die ersten drei Prozesstage gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten im Fernsehen. Nicht einmal die beliebten melodramatischen lateinamerikanischen Seifenopern konnten es mit dem Gerichtsreport aufnehmen. Und das Interesse bleibt ungebrochen groß. Noch nach zwei Prozesswochen waren etwa die Hälfte der Serben bemüht, so oft wie möglich der live Fernsehübertragung aus Den Haag zu folgen. Doch das ist jetzt vorbei. Am 11. März hat das staatliche serbische Fernsehen RTS die Übertragungen aus Den Haag "aus finanziellen Gründen" eingestellt. Da helfen auch keine Proteste

Es ist äußerst selten, dass sich beliebte Fernsehereignisse für Sender nicht lohnen. Tatsächlich dürfte für die Verbannung Milosevics von der Mattscheibe also ein anderer Grund maßgeblich sein. Diesen liefert eine Umfrage des Belgrader Meinungsforschungsinstitut Strategic Marketing. Ihr zufolge fanden die serbischen Zuschauer den ex-Präsidenten nämlich außergewöhnlich überzeugend, als er gegen die seiner Meinung nach falsche Anklage des Tribunals, den NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 und die neue vom Westen unterstützte Regierung in Belgrad wetterte. (Der Angeklagte als Ankläger)

41,6 Prozent der Befragten gaben Milosevic für seine Reden die Bestnote 5. Jeweils 20 Prozent bewerteten ihn mit 3 und 4, also einer guten Noten. Nur 16,6 fanden den Häftling schlecht und ließen ihn mit 1 oder 2 durchfallen. (Umfrage)

Die überraschend gute Performance des in den westlichen Medien als "Schlächter des Balkans" porträtierten Milosevic erstaunte nicht nur die Chefanklägerin des Internationalen Jugoslawientribunals (ICTY), Carla del Ponte, die zunehmend zerknirscht erscheint. Auch die Regierung des pro-westlich ausgerichteten serbischen Premiers Zoran Djindjic kommt in die Bredouille.

Der Analyst Dušan Reljic bringt die bisherige Wirkung des Milosevic Prozesses in einer Expertise für die Regierungsnahe Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf den Punkt:

"Der Auftakt des Prozesses gegen Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nimmt einen Verlauf, der den Erwartungen sowohl der Regierung des serbischen Premiers Zoran Dindjic wie auch des Westens zuwiderläuft. Das offensive Auftreten des ehemaligen serbischen und jugoslawischen Staatschefs und die im Prozess bisher schwache Rolle der Anklägerin Carla del Ponte heizen die nationalistische und anti-westliche Stimmung in Serbien und in den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens wieder an. Dies wiederum gefährdet die Reformpolitik der serbischen Regierung, die ohnehin wegen des ausbleibenden wirtschaftlichen Aufschwungs, der politischen Zerwürfnisse innerhalb des Regierungsbündnisses DOS, des offenen Status Montenegros und Kosovos und anderer ungelöster Probleme ständig in Turbulenzen agiert." Zitat aus Expertise für SWP

Tatsächlich hat bereits die verfassungsrechtlich unzulässige Auslieferung Milosevics im vergangenen Sommer zu tiefen Zerwürfnissen zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und dem serbischen Premier Djindjic geführt. Kostunica, der immerhin gemeinsam mit Djindjic Milosevic gestützt hatte, protestierte gegen die Unterwerfung unter das "westliche Diktat". Jetzt ist das ehemalige DOS-Bündnis so gut wie aufgelöst, denn Kostunica möchte Djindjic aus seiner machtvolleren Position verdrängen.

Doch der Hahnenkampf zwischen den beiden ehemaligen Verbündeten könnte bald als harmloses Geplänkel erscheinen, wenn die US-Regierung mit ihrer Drohung wahr macht und Finanzhilfen streicht, falls die serbischen Behörden nicht bis Ende März weitere ehemalige hohe Politiker und Militärs an das Haager Tribunal ausliefern. Den größten Sprengsatz dürfte dabei die mögliche Verhaftung der bosnischen Serbenführer Ratko Mladic und Radovan Karadzic bilden. Erst Ende Februar schlug eine spektakuläre Operation der SFOR-Truppe im bosnischen Foca, bei der Karadzic verhaftet werden sollte, fehl In einem Spiegel-Interview rät Djindjic dringend die Finger von den beiden zu lassen, sonst drohe möglicherweise ein "Bürgerkrieg". Denn: "Wir haben über 200 000 bosnische Flüchtlinge in Serbien, viele davon im Besitz von Waffen. Der Preis ist zu hoch."

Die Verbitterung in Serbien ist groß. Milosevics Argument, die serbisch-jugoslawischen Truppen hätten sich im Bosnien und Kosovo-Konflikt gegen die Aggression islamischer Terroristen zur Wehr setzten müssen, finden viele Serben plausibel. Sie verstehen nicht, warum Serbien von der NATO bombardiert wurde. Und auch die derzeitige Politik gegenüber Serbien stößt auf Unverständnis. Hat der Westen den Serben im Oktober 2000 für den Sturz Milosevics begeistert Beifall geklatscht und großzügige Hilfe versprochen, bleibt diese jetzt weit gehend aus. Nach Djindjics Angaben haben die EU-Kommissare in Brüssel von den versprochenen 300 Millionen Euro zwei Drittel gleich wieder abgezogen. Sie sollen der Tilgung von Schulden aus der Milosevic Zeit dienen. Von den insgesamt 1,3 Milliarden Dollar, die von den verschiedenen Institutionen der internationalen Gemeinschaft als Soforthilfe zugesagt waren, sind bisher gerade mal 500 Millionen Dollar angekommen. Dabei schlagen allein die Schäden durch die NATO-Bombardierung mit etwa fünf Milliarden Dollar zu Buche.