Sloterdijk und die Facharbeiter für falschen Alarm

Gestern tagte erstmals das "Philosophische Quartett"

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Um Peter Sloterdijk war es still geworden. Nun aber tritt er gemeinsam mit Rüdiger Safranski in die Fußstapfen von Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek. Sonntagabend fand zum ersten Mal Im Glashaus - Das Philosophische Quartett statt. Vorher war die Publicity groß. (Raus aus der Tonne, rein in die Fabrik - Der künftige Phaeton-Fahrer darf sich als Philosoph fühlen.) Lohnte die Aufregung?

Sloterdijk, Safranski

Peter Sloterdijk hat es nicht leicht. Zumindest Journalisten scheinen ihn nicht zu mögen. Da war nicht einmal die erste Sendung seines "Philosophischen Quartetts" über den Bildschirm geflimmert, schon unkte die Zeit: Das "halbseidene geistige Schaugewerbe" habe wieder "Hochkonjunktur". Alles, was Jan Ross zu dem Philosophen einfällt, ist, dass dieser im vergangenen Herbst als Referent auf dem "Gesellschaftspolitischen Forum" des Bankenverbandes zu hören gewesen sei. Und was schreibt die Süddeutsche? Die "katholischen Foren und die evangelischen Begegnungsstätten, die Akademien, Römerberge und Kruppvorlesungen" seien für Sloterdijk "längst zu klein, zu alt, zu eng geworden. Das Volk der Deutschen, griechisch durch und durch, hat einen unstillbaren Hunger nach der Philosophie entwickelt. Wer anders wollte ihn stillen als Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski? Nach der Pensionierung der Nachkriegsskeptiker, Münsteraner Begriffsschrauber und kritischen Frankfurter ist es einsam geworden um die beiden. Wer außer ihnen weiß, wie sich echtes Denken anfühlt?"

Wie kommt es zu dieser Häme? Neidet da jemand den beiden den Erfolg? Ulrich Raulff setzt sogar noch einen drauf (oder drunter?): Die beiden Talkmaster sähen aus wie "der Mann mit der Pfeife aus dem SPD-Ortsverein und der Breughel-Bauer vom Narrenschiff". Das Schiff ist zwar von Bosch, zum Kompliment wird es dennoch nicht. Warum kümmern sich alle bloß um Äußerlichkeiten? Auch Telepolis räsonierte wenig freundlich, es sei doch bedenklich, wenn Sloterdijk es sich in einer VW-Fabrik gemütlich mache und so der Luxuskarosse "Phaeton" einen Platz in den Feuilletons sichere. (Vgl.Raus aus der Tonne, rein in die Fabrik - Der künftige Phaeton-Fahrer darf sich als Philosoph fühlen.)

Die Sloterdijk-Jünger mögen schäumen, der Meister nimmt es gelassen. Wie er gerade der Taz mitteilte, gibt es eben Leute, "die sich, wegen ihres politischen oder privaten Scheiterns, in einer verhärmten Denunziations- und Diffamierungskultur eingerichtet" haben. Während andere, die über Deutschlands "Neid-Kultur" jammern, dem Land den Rücken kehren und nach Monaco ziehen, beweist Sloterdijk Großmut: "Man könnte meine Arbeit als Aussteigerprogramm für Leute beschreiben, die im linken Ressentiment zu verkümmern drohen." Schließlich weiß er, was er der Gegenwart schuldet, ist er ihr doch weit voraus.

Das nennt er tapfer seinen "Avantgarde-Effekt", wohl wissend dafür im "Fegefeuer" landen zu können. Denn das "intellektuelle Feld lässt nicht mit sich spaßen, wenn man ihm sagt, man sei ihm in irgendeiner Hinsicht voraus". Der "Welt am Sonntag gestand Sloterdijk heldenmütig:

Der gegenwärtige Übererfolg hat mich ruiniert. Mit diesem Erfolg kann ich mich zu Lebzeiten als Philosoph in der eigenen Zunft nicht mehr sehen lassen. Ich bin wohl dazu verdammt, posthum glücklich zu werden und in der Hoffnung zu leben, dass der ernsthafte Teil meines Werkes eine gewisse Lebenserwartung hat.

So weit das Vorspiel.

Wer am Sonntagabend nun pünktlich um 22:45 Uhr das ZDF einschaltete, sah zunächst in die weinenden Augen von Evelyn Hamann. Doch dann ging es auch schon los: Der Vorspann kam als Coverversion von "Willemsens Woche" daher, die Vorstellung der Gastgeber plagiierte jene des "Literarischen Quartetts". Man begrüßte sich gegenseitig mit dem Satz: "Einem großem Publikum bekannt als Autor zahlreicher philosophischer Bücher" und fügte jeweils hinzu "Hanser-Verlag" oder "Suhrkamp-Verlag". Marcel Reich-Ranicki wird geschmunzelt haben.

"Angst - Warum es keine Sicherheit gibt" lautete das Thema des Abends und die Runde - vervollständigt von Reinhold Messner und Friedrich Schorlemmer - unterhielt sich gut. Man ließ den anderen artig ausreden und neigte kaum zum Monologisieren. Oft sah es so aus: Messner parlierte, Safranski guckte tiefsinnig, Schorlemmer zuckte aufmunternd mit den Augenbrauen und Sloterdijk zupfte ein wenig an seinem Sakko und blickte ernst auf seine Karteikarten.

Nun, hoch her ging es nicht. Ob Sloterdijk sein vorher formuliertes Ziel - "Im Idealfall könnte es gelingen, die Zuschauer an ihren eigenen latenten Wissensreichtum zu erinnern und sie zur Wiederentdeckung ihrer Libido des Denkens anzuregen." - erreichte, scheint eher unwahrscheinlich. Eine Stunde war aber auch viel zu kurz, um den sich seiner Rolle als "Angst-Sucher" verweigernden Messner, den gerne das Jesaja-Wort "Finsternis bedeckt das Erdreich ..." an die Wittenberger Schlosskirche schlagenden Schorlemmer, den meist das "metaphysische Waffenklirren" großer Philosophen kolportierenden Safranski und eben Sloterdijk selbst unter einen Hut zu bringen.

So entstand ein Eintopf, in dem wohl jeder etwas Interessantes finden vermochte, der aber kaum jemanden besonders geschmeckt haben dürfte. Es gab Ausflüge in die Evolution und Sloterdijk brachte die "Anthropologie" ins Spiel. Schließlich galt es die "Unteralamiertheit" des heutigen Menschen zu erklären, die ihn so "törichte" Dinge tun lässt, wie von Brücken springen. Der Homo Sapiens habe als "Savannenläufer" begonnen und sei - so Sloterdijk - deshalb ein "Horizontbeobachter". Doch schon bei den Worten "neuronales System" geriet er ins Stocken. Als er dann über die "pychologisierte Kultur" räsonierte, in der wir "allesamt als Abgetriebene in die Welt gefallen und nur durch den externen Uterus der Mutter in sie hinein gelangt sind", bemerkte Schorlemmer lapidar: "Aber ist das neu?", und wandte sich den Arbeitslosen zu. Zur Enttäuschung echter Sloterdijk-Fans verlief sich auch dessen sphärisch klingende Steilvorlage, das "Ausdehnungsrecht" sei das eigentliche "Weltrecht", im Nichts.

Einig war sich das "Quartett" wenigstens in der Verurteilung der "Überversichertheit" des modernen Menschen, der keine wirkliche Angst mehr kennt, aber von einer "Pseudoangst" in die nächste taumle und angesichts von BSE und MKS der Hysterie verfalle. Als Messner, der heimliche Star des Abends, schimpfte, die Menschheit lebe "dumpf" dahin, applaudierte sogar das geladene Publikum.

Und wer ist daran schuld? Die Massenmedien natürlich, Peter Sloterdijk holte aus:

Die wirklichen Schädlinge, diejenigen, die der menschlichen Gesellschaft heute gar nicht gut tun und zu ihrer Desintegration beitragen, sind diejenigen, die sozusagen als Facharbeiter für falschen Alarm, die Gesellschaft in einen Zustand von neurotischen Dauerstress versetzen, aus dem heraus die Unterscheidung zwischen Ernstfall und Nicht-Ernstfall verloren geht.

Die sei ein "Angriff auf die soziale Intelligenz", und zwar ein "erfolgreicher Angriff", denn "die Menschen sind ja heute in einem Ausmaß massenmedial agitierbar, wie sie es nie zuvor in der Geschichte gewesen sind". Was aber macht man mit Schädlingen, Herr Sloterdijk?

Nun, zumindest sind die Philosophen nicht mehr wehrlos, sind sie doch auch zur Massenagitation per Fernsehen übergegangen. Ein bisschen üben muss man aber noch: Als "Aussteigerprogramm" für im "linken Ressentiment" Verkümmernde taugt das "Philosophische Quartett" noch nicht recht - eher als Einschlafprogramm.

Die nächsten Termine: 24. März 2002, 28. April 2002, 06. Oktober 2002, 03. November 2002 und 01. Dezember 2002.