So verrät Friedrich Merz den Wertewesten
Seite 2: Wordings der Gefühlskälte
Kommt mit den sinkenden Außentemperaturen auch die Gefühlskälte zurück? Was hat man denn gedacht? Dass Waffenlieferungen zu einer Verkürzung des Krieges führen würden? Dass Solidarität eine Teilzeitbeschäftigung ist, die man nach euphorischen Politikerstatements, Begrüßungskomitees an Bahnhöfen und entsprechender Medienberichterstattung wieder ad acta legen kann? Dass die Ukrainer "unsere Freiheit verteidigen" bis zum letzten Ukrainer?
Wer von "Sozialtourismus" – in böser alter Tradition des Söderismus "Asyltourismus" – spricht und im konkreten Fall den Ukrainern vorwirft, dass sie gelegentlich in die Heimat reisen, negiert die Zusammenhänge.
Da es kaum kritische Berichterstattung aus der Ukraine gibt, fehlt auch der Aspekt der zunehmenden Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit im ganzen Land weitestgehend. Auch im inzwischen beruhigten Westen der Ukraine kämpfen die Menschen nicht mehr nur mit ihren Ängsten vor Angriffen, sondern auch mit denen um ihre Existenz.
Die Arbeitslosenquote ist von rund neun Prozent im letzten Jahr auf etwa 35 Prozent gestiegen. Die Menschen im Westen des Landes baden mit aus, was durch Putins Angriff einerseits und den fehlenden Verständigungs- und Verhandlungswillen andererseits angerichtet wird – im Alltag der Einzelnen.
Der internationale Wirtschaftskrieg – übrigens auch ein Ausgangspunkt der Ukrainekrise 2014 – ist in der Fläche des riesigen Landes angekommen, nachdem man acht Jahre den wirtschaftlichen Niedergang und das Morden im Süd-Osten der Ukraine stillschweigend hingenommen hatte.
In vielen Branchen hat sich die Situation am Arbeitsmarkt enorm verschlechtert. Wäre es denn verwerflich, wenn diejenigen, die nicht ohnehin schon im Ausland arbeiten oder gar daran gehindert werden, versuchen auf andere Weise Mittel zu beschaffen, um die Familie über Wasser zu halten?
Zumal ja nicht Wenige in den Krieg gezogen sind und nicht mehr zum Familienunterhalt beitragen können. Wie weit also darf die Solidarität fairerweise gehen für diejenigen, die "unsere Freiheit verteidigen"?
Der Empathiemangel eines Friedrich Merz mündet in den üblichen Gesprächs-, Empörungs- und Distanzierungsritualen, wie wir es nicht erst seit den gut einstudierten AfD-Einlassungen gewöhnt sind. Inzwischen weiß man nur zu gut, dass der einmal gesetzte Frame irgendwann wieder aktiviert werden kann, wenn die Stimmung kippt – und das wird sie.
So war es auch nach den ersten empörten Reaktionen auf das Aufbringen des Testballons Laufzeitverlängerung für die längst überwunden geglaubten Atomkraftwerke. Das langjährige Aussitzen des Ausbaus von Windkraft & Co. in Bayern etwa hat nun also Früchte contra die Energiewende getragen. Aber in Geiselhaft der Bewahrkräfte sind vor allem die Menschen in der Ukraine, die in keinem echten Referendum befragt werden, wie es weitergehen soll.
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