Soll illegales Hosting ein Verbrechen werden?

Parlamentarische Versammlung des Europarats will auch Online-Rassismus als Straftat in das Abkommen gegen Cyberkriminalität einführen

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Ziemlich überraschend wurde am Dienstag von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats am Dienstag die 25. Version des Cybercrime-Abkommens nahezu unverändert verabschiedet. Wie von Anfang an hatte man wieder einmal eine wirklich öffentliche Auseinandersetzung gescheut, auch wenn man angesichts der Kritik im letzten Jahr die Entwürfe in das Internet gestellt und letzten Monat eine öffentliche Anhörung durchgeführt hat.

Aufgenommen wurde nur noch ein Änderungsantrag, der vom Rechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eingebracht worden ist und für die nationale Umsetzung des Abkommens die Berücksichtigung der europäischen Menschenrechtskonvention fordert.

Jörg Tauss, forschungspolitischer Sprecher der SPD, kritisierte, das Abkommen sei noch immer "unausgegoren". Es sei ein "weiterer Schritt in Richtung europäischer Überwachungsstaat", die Parlamentarische Versammlung des Europarates habe mit ihrer Entscheidung "kläglich versagt". Eine offene Anhörung hatte es über das Abkommen zwar gegeben, aber die Kritik wurde von den interessierten Parteien offenbar nicht berücksichtigt, die auf die Verabschiedung drängten. Nach Tauss hatten den nationalen Parlamentariern keine Übersetzungen der Texte vorgelegen, und er habe erst wenige Stunden davor erfahren, dass das Abkommen überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt wurde (Ein großer Schritt in Richtung europäischer Überwachungsstaat).

Kritik in der Parlamentarischen Versammlung scheint nach der Einarbeitung des Änderungsantrags, der Kontrollen zur Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel vorsieht, nicht mehr im Hinblick auf die Gefährdung der Privatsphäre der Bürger aufgekommen zu sein, sondern weil das Abkommen im Hinblick auf den Umfang der Straftaten nicht weit genug gehe. Das Abkommen behandelt neben der strafrechtlichen Einordnung von Cracken, illegalem Abhören und Eindringen, Stören von Computersystemen, Stehlen, Manipulieren oder Löschen von Daten auch Vergehen gegen das Copyright, Umgehen von Kopierschutzsystemen und Herstellen, Verbreiten und Verfügbarmachen von Kinderpornographie.

Ivar Tallo, sozialistischer Abgeordneter aus Estland und Vertreter des Menschenrechtsausschusses, stellte das Abkommen vor und pries es an: "Ein Abkommen über Cyberkriminalität sollte das Internet nicht einschnüren, aber das Leben für Verbrecher etwas schwerer machen. Der Wilde Westen des Internet geht zu Ende. Dazu passt, dass dies mit dem Ende des Goldrausches bei den Hightech-Aktien zusammen geht."

Die Parlamentarische Versammlung forderte aber, dass Menschenhandel im Abkommen als Verbrechen aufgenommen werden müsse. Verlangt wurde auch die Einarbeitung von Paragrafen, die die Verbreitung rassistischer Propaganda und Hassbotschaften über das Internet verbieten. Man habe, so Tallo, einen entsprechenden Zusatz nur deswegen nicht gemacht, um die schnelle Ratifizierung des Vertrags nicht zu gefährden, wolle dies aber bald nachholen und dem Abkommen ein Protokoll anfügen, in dem die Verbreitung rassistischer Propaganda, die missbräuchliche Speicherung von Hassbotschaften und die Benutzung des Internet zum Menschenhandel definiert und kriminalisiert werden soll. Verboten werden soll auch die Belastung von Computersystemen durch Spamming.

Bei der Bekämpfung des Online-Rassimus dürfte es vor allem eine Auseinandersetzung mit den USA geben, deren Verfassung eine Beschränkung der Meinungsfreiheit sehr schwer macht. Der Europäische Rat hat 43 Mitglieder, aber auch assoziierte Länder wie die USA, Kanada, Japan oder Südafrika haben vor, das gemeinsam entwickelte Abkommen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität zu unterzeichnen. Den amerikanischen Einfluss merkt man sehr deutlich bei den Artikel über den Schutz des Copyright und das Verbot der Kinderpornografie. Immerhin lehnte der Menschenrechtsausschuss eine grenzüberschreitende Strafverfolgung, wie dies die Amerikaner verlangt hatten, ab, um keinen Orwellschen Überwachungsstaat zu etablieren, und den Mitgliedsländern wurde es freigestellt, wie sie das Recht auf privates Kopieren von der Kriminalisierung der Copyrightverletzungen ausschließen wollen. Bedauert wurde vom Ausschuss, dass Copyrightverletzungen und Kinderpornografie im Abkommen als gleichwertige Vergehen behandelt werden. Schon der gleichfalls von Tallo am 10. April vorgestellte Bericht über die Anhörung spielte darauf an, dass bestimmte Vergehen wie Pornographie ohne Minderjährige, Rassismus oder auch das Versenden von Spam keinen Eingang in das Abkommen gefunden haben.

Die Mitglieder des Ausschusses würden bedauern, dass wegen der ungenügenden Zeit die Verbreitung von Rassenhass nicht in das Abkommen als Straftat aufgenommen werden konnte, was "den übermäßigen Einfluss von Ländern, die sich traditionell jeder Beschränkung der Meinungsfreiheit entgegen stellen" zeige. Da deutet sich also ein Konflikt mit den USA ab. Rassistische Online-Inhalte würden schnell zunehmen, wobei die USA für Rassisten aus der ganzen Welt zu einem "Cyberhafen" geworden seien. Hier würden mehr als 2500 rassistische Websites gehostet. Verwiesen wird dabei auf das deutsche Amt für den Verfassungsschutz, das gewarnt hatte, dass immer mehr Websites deutscher Rassisten in die USA verlegt werden. Die USA aber haben, so der Bericht des Menschenrechtsausschusses, keinerlei Gesetze, mit denen sich rassistische Äußerungen bestrafen ließen. Überdies haben die USA auch Vorbehalte gegenüber der Antirassismus-Konvention der Vereinten Nationen geltend gemacht: "The Constitution of the United States contains provisions for the protection of individual rights, such as the right of free speech, and nothing in the Convention shall be deemed to require or to authorize legislation or other action by the United States of America incompatible with the provisions of the Constitution of the United States of America."

Als "rassistische Website" werden vom Ausschuss nach Tallo Bilder, Texte, Videos, Musik oder andere Darstellungen bezeichnet, die die Überlegenheit einer Rasse vertreten. Gefordert wurde während der Anhörung aufgrund der verschiedenen Rechtsräume, die trotz der Globalität des Internet, die Strafverfolgung geografisch beschränkt, "illegales Hosting" als Straftat einzuführen, um zumindest die Straftäter dass dann vorliegt, wenn rassistische Inhalte deswegen auf einen Server im Ausland gelegt werden, weil dort die Gesetze eine Strafverfolgung schwerer machen oder ganz verhindern. Identifizieren könne man solche Websites, bei denen "illegales Hosting" vorliegt, beispielsweise an der Sprache, an der Wohn- oder Rechnungsadresse des Contentanbieters oder an der Zahl der Aufrufe von einem bestimmten Land. Diesem Vorschlag wird zumindest in dem Bericht des Menschenrechtsauschusses Raum eingeräumt und wohlwollend kommentiert, zumal ein Experte gesagt hatte, dass dies eine Möglichkeit sein könnte, Verbreiter von rassistischer Propaganda selbst in den USA belangen zu können, da es keinen Hinweis darauf gebe, dass "die amerikanischen Gerichte rassistischen Äußerungen einen Verfassungsschutz zugestehen werden, die von amerikanischen Servern als Mittel zur Umgehung von strengeren Gesetzen in anderen Ländern veröffentlicht werden".

Wie bei vielen solchen Vorschlägen wird auch dieser Vorschlag vor allem dann interessant, wenn er nicht nur einseitig als Ausweitung etwa der europäischen Rechtssprechung auf das Ausland, sondern auch umgekehrt bedacht wird. Dann nämlich könnten die USA oder andere Länder ebensolche Forderungen nach Strafverfolgung von Taten stellen, die in Europa beispielsweise nicht ungesetzlich sind. Das Abkommen zielt freilich darauf, einen ersten internationalen Rahmen zur Bekämpfung der Internetkriminalität zu schaffen. Die Erfindung neuer Straftaten wie illegales Hosting wären daher nur Übergangskonstrukte. "Letztlich hat der Yahoo-Fall die unterschiedlichen Einstellungen der Länder hervorgehoben", wird in dem Bericht des Menschenrechtsauschusses betont. "Es gibt kein gemeinsames Verständnis von nationalen Grenzen im Web mehr. Weil es keine zentrale Internetbehörde gibt, lässt sich nur schwer vorstellen, dass man einem bestimmten Teil der Öffentlichkeit den Zugang zu Inhalten blockieren können wird, ohne ihn ganz aus dem Internet herauszunehmen. Der Entwurf des Abkommens schlägt vor, wie man bestimmt, welches Gesetz angewendet wird und welches Gericht zuständig ist." Und das ist dort, wo ein Inhalt auf einem Server liegt.

Aus pragmatischen Gründen wurde von der Parlamentarischen Versammlung der Antrag der französischen Abgeordneten abgelehnt, schon jetzt einen Zusatzartikel aufzunehmen, weil das die Verabschiedung des Abkommens wieder weiter hinausgeschoben hätte und das Abkommen nicht verhindert, schon jetzt gegen Rassismus und Menschenhandel im Netz vorzugehen. Die Franzosen hatten gefordert, dass "die Herstellung, das Anbieten und Verfügbarmachen, die Verteilung oder Versendung von Texten durch ein Computersystem, die in irgendeiner Weise auf Vorstellungen einer rassischen Überlegenheit oder eines Rassenhasses basieren und zu Rassendiskriminierung, Bestärkung rassistischer Taten oder Gewalttaten gegen eine Rasse oder Gruppe von Menschen mit einer anderen Hautfarbe oder einer anderen ethnischen Herkunft" als strafrechtliche Vergehen verfolgt werden können.