Sozialneid nach unten

Seite 3: Ist das Bürgergeld eine soziale Hängematte, in der sich gut liegen oder angenehm leben lässt?

Obwohl das Bürgergeld gegenüber Hartz IV mancherlei Verbesserungen und Erleichterungen für Arbeitsuchende mit sich bringt, ist zu bezweifeln, dass es "Faulenzertum", "Drückebergererei" und "Sozialschmarotzertum" fördert.

Denn im Kern bleibt die bisherige Grundsicherung für Arbeitsuchende weiter bestehen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. So etwas wie Hartz IV light ist das Bürgergeld nur für materiell relativ gut gestellte und hoch qualifizierte Transferleistungsbezieher:innen, aber nicht für Menschen, denen man gemeinhin Faulheit oder Sozialbetrug unterstellt.

Hartz-IV-Abhängige im Langzeit- oder Dauerbezug, also die vermeintlich Arbeitsscheuen, haben von der Bürgergeld-Reform am wenigsten. Dagegen werden "Neukund:innen" der Jobcenter durch einen leichteren Systemzugang bessergestellt: Während einer zweijährigen "Karenzzeit" findet Vermögen bei der Bedürftigkeitsprüfung keine Berücksichtigung, sofern es 60.000 Euro und zusätzlich 30.000 Euro für jeden weiteren Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft nicht überschreitet.

Anschließend beträgt das Schonvermögen noch 15.000 Euro pro Person. Unberücksichtigt bleibt auch selbstgenutztes Wohneigentum, sofern eine bestimmte Quadratmeterzahl nicht überschritten wird.

Für die "Laufkundschaft" der Jobcenter, also Menschen, die aufgrund ihrer Qualifikation oder nach einer beruflichen Weiterbildung leicht vermittelbar sind und das Grundsicherungssystem schnell wieder verlassen, stellt das Bürgergeld gleichfalls so etwas wie Hartz IV light dar.

Weil dem Arbeitsmarkt heute im Unterschied zur Jahrtausendwende, als die Hartz-Gesetze entstanden, Fachkräfte fehlen, eröffnet man Menschen im Grundsicherungsbezug die Möglichkeit, sich stärker auf ihre berufliche Qualifizierung und Weiterbildung zu konzentrieren. Abgeschafft wird daher der Vermittlungsvorrang, welcher dafür sorgte, dass Schulbildung, Berufsausbildung und berufsabschlussbezogene Weiterbildung hinter einer Arbeitsaufnahme zurückstanden.

Die absurde Situation, dass Grundsicherungsbezieher:innen, deren Kind ein Gymnasium besucht, vom Jobcenter aufgefordert werden, es zwecks Übernahme eines Aushilfsjobs oder Beginn einer Lehre von der Schule zu nehmen, gehört damit hoffentlich der Vergangenheit an.

Die beim Bürgergeld steigenden, früher "Regelsätze" genannten Regelbedarfe basieren nicht etwa auf besonderer Großzügigkeit der Ampel-Koalition, sondern auf der vom Bundesverfassungsgericht geforderten zeitnahen Anpassung der Regelbedarfe an die Inflation, bleiben aber hinter anderen Vorgaben der Karlsruher Richter:innen zurück, die eine Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums sowie ein transparentes, sachgerechtes und schlüssiges Verfahren zur Ermittlung der Regelbedarfe gefordert hat.

Sanktionen werden – einem anderen Urteil dieses Gerichts folgend – bei Pflichtverletzungen auf den Abzug vom 30 Prozent des Regelbedarfs begrenzt. Trotzdem gibt es beim Bürgergeld wieder härtere Strafen, als sie das derzeitige Sanktionsmoratorium erlaubt. Dieses beschränkt sich nämlich auf einen zehnprozentigen Abzug von der Regelleistung bei Meldeversäumnissen.

Weder bei Hartz IV, noch beim Bürgergeld gilt ein Berufs- und Qualifikationsschutz. Leistungsbezieher:innen dürfen kein Jobangebot ausschlagen, ganz egal, welche Ausbildung oder welches Studium sie abgeschlossen und welchen Beruf sie vielleicht jahrzehntelang ausgeübt haben.

Die strengen Zumutbarkeitsregeln bleiben gleichfalls erhalten: Leistungsbezieher:innen müssen auch künftig Jobs annehmen, die weder nach Tarif noch ortsüblich entlohnt werden.

Man kann im Hinblick auf das Bürgergeld nicht von einem neuen oder gar neuartigen Leistungssystem sprechen, weil zwar mehr prozedurale Fairness praktiziert, allerdings keine Lohnersatzleistung nach Art der mit Hartz IV abgeschafften Arbeitslosenhilfe eingeführt wird.

Trotz seines wohlklingenden Namens ist auch das Bürgergeld als Lohnergänzungsleistung konzipiert, folglich nicht dazu gedacht, den laufenden Lebensunterhalt seiner Bezieher:innen und ihrer Familien auf einem akzeptablen Niveau zu sichern.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und das Buch Hartz IV und die Folgen veröffentlicht. Zuletzt ist von ihm Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona erschienen.

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