Spätestens am Montag wird Quim Torra katalanischer Präsident

Kundgebung Anfang April in Barcelona. Bild: CDR

Am Samstag wird es zur Abstimmung kommen und es hängt von der CUP ab, ob der frühere Präsident von Òmnium Cultural schon im ersten Wahlgang gewählt wird

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Alles verläuft nach Plan. Telepolis hatte längst aufgezeigt, welche Roadmap zwischen der postfaschistischen spanischen Volkspartei (PP) und der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) ausgedealt wurde, damit die PP einen Haushalt durchbringen und Neuwahlen in Spanien umgehen kann. Am späten Donnerstag hat der "legitime" katalanische Präsident Carles Puigdemont aus seinem Berliner Exil über Twitter verkündet, dass Quim Torra der 131. Präsident Kataloniens werden wird.

Wie Telepolis auch deutlich gemacht hatte, muss nun alles aber schnell über die Bühne gehen. Sonst könnte die unabhängige belgische Justiz allen Planungen einen Strich durch die Rechnung machen, die über ein spanisches Verfassungsgericht ermöglicht wurden, das durch seine fehlende Unabhängigkeit glänzt.

Deshalb hat der katalanische Parlamentspräsident Roger Torrent schon am heutigen Freitag die im Parlament vertretenen Parteien per Telefon - statt persönlich - gehört, um schnell eine Parlamentssitzung zur Wahl von Torra ansetzen zu können. Sie wird am Samstag um 12 Uhr beginnen. Sollte die linksradikale CUP diesem klaren Vertreter eines Wegs in die Unabhängigkeit ihre Stimmen geben und sich nicht enthalten, hätte Katalonien schon am Samstag mit Torra einen Präsidenten. Torra war zwischenzeitlich Präsident von Òmnium Cultural und ist zudem Mitglied im Katalanischen Nationalkongress (ANC) Diese beiden großen zivilgesellschaftlichen Organisationen standen und stehen hinter den großen Mobilisierungen für die Unabhängigkeit Kataloniens.

Die CUP hat jedenfalls die Tür zu einem Ja für Torra nicht zugestoßen. Die Basis hat beantragt, über die Position abzustimmen und sich nicht auf einen Beschluss zu beziehen, mit dem bisher grundsätzlich nur Puigdemont gewählt werden sollte. Auszuschließen ist nicht, dass auch die CUP Torra wählt, an dessen Einsatz für die Unabhängigkeit kein Zweifel besteht. Genau deshalb hat Puigdemont ihn ausgewählt. Allerdings soll die Versammlung erst am Sonntag stattfinden, einen Tag nach dem ersten Wahlgang. So kann nicht jedem Versuch vorgebeugt werden, doch noch querzuschießen.

In Spanien ist das nie auszuschließen. Zu erinnern sei nur daran, dass der Richter Pablo Llarena kürzlich den Kandidaten Jordi Turull nach dem ersten Wahlgang noch schnell inhaftieren ließ, um seine Wahl im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zu verhindern. In einer Demokratie, die Richter ganz besonders schützen sollten, gibt es eine Unschuldsvermutung und politischen Rechte von Präsidentschaftskandidaten müssten besonders gewahrt werden. Dass Spanien zu solchen Maßnahmen greift und es Gewaltenteilung noch weniger als vor 30 Jahren gibt, ist ein Grund, warum die New York Times gerade richtigerweise auch Spanien als "zusammenbrechende Demokratie" bezeichnet. Sie nennt das Land gleich zu Beginn in einem Atemzug mit "Italien, Polen und Ungarn".

Dass Llarena querschießt, ist zwar kaum zu erwarten, da er bisher alles getan hat, was die Regierung von ihm wollte. Es ist aber nicht auszuschließen, dass er für die Demütigung durch den spanischen Finanzminister zur Retourkutsche greift, gegen Torra schnell ein paar Vorwürfe erfindet, um ihn ebenfalls aus dem Verkehr zu ziehen und auch seine Wahl zu verhindern. Dem Richter am Obersten Gerichtshof hat es gar nicht gefallen, dass ausgerechnet Cristóbal Montoro seine absurden Vorwürfe dementierte. Der angeblichen "Veruntreuung" von Steuergeldern, die Llarena zudem "Korruption" nennt, hat es nach Angaben von Montoro nicht gegeben. Er hat damit den Auslieferungen von Exilanten wie Comín oder Puigdemont praktisch unmöglich gemacht.

Schaut man sich das Vorgehen von Montoro allerdings nun im Rahmen des Deals mit der PNV über den spanischen Haushalt an, ist es wahrscheinlich, dass die spanische Regierung kein gesteigertes Interesse mehr an den Auslieferungen hat. Sie dürfte deshalb damit begonnen haben, die eigenen Erfindungen zurückzunehmen, die dafür einst über ihren Richter aufgebaut wurden.

Wie wird sich die CUP verhalten?

Würde sich die CUP erneut im ersten Wahlgang enthalten, böte sie dem Richter eine Möglichkeit, doch noch Neuwahlen erzwingen. Zwar läuft die Frist zur Regierungsbildung erst am 22. Mai ab, doch die eigentliche Frist ist der kommende Mittwoch. Denn dann wird Belgien mit allergrößter Wahrscheinlichkeit den absurden Anschuldigungen von Llarena eine Abfuhr erteilen und den Europäischen Haftbefehl gegen den früheren Minister der Republikanischen Linken (ERC) wegen angeblicher Rebellion und Veruntreuung zurückweisen. Denn nichts davon kann Llarena beweisen.

Er hätte allerdings auch noch eine zweite Möglichkeit, die Regierungsbildung zu torpedieren. Er könnte schlicht seinen Haftbefehl gegen Comín schnell vor der Entscheidung wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückziehen, um nicht bloßgestellt zu werden. Genau das hatte er im vergangenen Dezember schon einmal gemacht. Dann könnte sich der ehemalige Minister Comín wieder frei in Europa bewegen. Die Auflage, bis zum Urteil Belgien nicht zu verlassen, würde fallen. Damit fiele aber auch die Möglichkeit, seine Stimme zu delegieren. Wie Telepolis aufgezeigt hat, ergäbe sich dann bei einer Enthaltung der CUP eine Pattsituation mit den Unionisten.

Dann wären Neuwahlen kaum noch zu verhindern. Somit sollte sich die CUP einen Ruck geben und jedem Versuch, die Investitur von Torra zu verhindern, eine Abfuhr erteilen. Sie sollte ihre Stimmen im Block der Unabhängigkeitsbewegung mit Puigdemonts JxCat und der ERC für Torra und damit ein klares Signal der Geschlossenheit abgeben. Sonst läuft sie Gefahr, den rechten Ciudadanos, den klaren Gegnern jeder katalanischen, baskischen oder Autonomie in die Hände zu spielen. Diese Partei ist bereit, die spanische Verfassung noch weiter zu verbiegen, als es ohnehin die PP-Politiker schon tun. Sie will deshalb nun auch die Zwangsverwaltung über den Paragraphen 155 aufrechterhalten, auch wenn nun eine Regierung gebildet wird.

Rajóy sucht die Ciudadanos zu besänftigen

Es ist fast Realsatire, dass Vertreter von Rajoys PP den Parteiführern der Ciudadanos (Bürger) erklären, dass sie in einem im Senat verabschiedeten Beschluss auch für den folgenden Passus gestimmt haben: "Der 155 bleibt so lange in Kraft, bis eine Regierung nach den Wahlen eingesetzt ist." Das hielt auch Regierungssprecher Íñigo Méndez de Vigo dem Ciudadanos-Chef Albert Rivera am Freitag entgegen.

Rivera, der sich auch in Spanien immer stärker als "kleiner Falangist" einen Namen macht, hat schon angekündigt, gegen die Wahl von Torra zum Präsidenten vor das Verfassungsgericht ziehen zu wollen. Und da er angedroht hat, mit Rajoy und seiner Regierung zu brechen, hat nun auch Rajoys PP plötzlich die Stimmabgabe der Exilierten Puigdemont und Comín in einem Eilverfahren angefochten.

Vermutlich dient das dazu, die Ciudadanos zu beruhigen. Eine Annahme der Beschwerde führt, wie im Fall der Beschwerde der Ciudadanos, nicht zur Aussetzung der Reform. Dazu hätte die Regierung Rajoy eine Beschwerde einreichen müssen. Deshalb ist unwahrscheinlich, dass das Verfassungsgericht jetzt plötzlich vorsorgliche Maßnahmen beschließt, womit der Deal mit der PNV obsolet würde.

Puigdemont wird aus dem Exil hinter Torra stehen und die Strippen weiter ziehen. Mit Torra wird nur ein Vertreter in Katalonien gewählt, der für ihn stellvertretend die Regierungsgeschäfte führt. Eine Auflage für die Ernennung war, dass Torra das Präsidentenbüro Puigdemonts im Regierungspalast nicht bezieht. Damit soll klargemacht werden, dass Puigdemont der "legitime Präsident" ist, der willkürlich über den 155 abgesetzt worden ist.

Ob das nach Recht und Gesetz war und mit der spanischen Verfassung konform geht, ist nämlich auch zweifelhaft. Sogar das von der PP dominierte Verfassungsgericht hat zwei Klagen gegen die Anwendung des 155 angenommen. Allerdings haben die Richter, anders als im Fall der Beschwerden der Regierung, keine vorläufige Maßnahmen verhängt, um die Rechte der Wähler, des Parlaments und Puigdemonts zu wahren.

Von der Rebellion zum Aufruhr

Dass Richter Llarena aus Deutschland, Belgien, Großbritannien oder der Schweiz tatsächlich einen der Exilanten ausgeliefert bekommt, glaubt der Jurist wohl selbst nicht mehr. Er geht längst davon aus, dass seine Europäischen Haftbefehle und sein internationaler Haftbefehl gegen die ERC-Generalsekretärin Marta Rovira in der Schweiz abgelehnt werden. Er klammert sich inzwischen an einen glühenden Nagel und bietet den deutschen Richtern jetzt plötzlich an, Puigdemont doch bitte wegen angeblichem "Aufruhr" auszuliefern, also seine Rebellionsvorwürfe als "Aufruhr" zu interpretieren. Er fabuliert also weiter eine "gewaltsame öffentliche Erhebung herbei". Dazu haben die deutschen Richter längst erklärt, dass der Vorwurf von "vorneherein unzulässig".

Die Aussichten, mit seinen absurden Anschuldigungen dort durchzukommen, sind ohnehin mehr als miserabel. Vielmehr muss Llarena befürchten, dass er in Straßburg noch für sein Vorgehen gerügt wird. Das kann Spanien allerdings durch Verzögerungen noch lange hinausziehen, da stets erst der Rechtsweg im Land ausgeschöpft werden muss, egal wie hanebüchen und undemokratisch das Vorgehen in einem Mitgliedsstaat ist.