Spanien: Fast die Hälfte der Jugendlichen ohne Job
Spanische Gewerkschaften, Unternehmer und Regierung unterzeichnen Sozialpakt, während die Arbeitslosigkeit immer bedenklichere Höhen erklimmt
Real gibt es nichts zu Feiern in Spanien. Ein Wirtschaftswachstum ist nicht in Sicht, weil die Wirtschaft nach minimalen Wachstumsraten in zwei Quartalen schon wieder stagniert und in die Rezession zurückzufallen droht. Die Sparpläne haben tiefe Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen. Eurostat hatte die Quote für Dezember schon mit 20,2 beziffert, womit Spanien weiter abgeschlagen an der Spitze der EU lag. Während bei den Verfolgern in Lettland und Litauen (jeweils 18,3%) die Quoten wenigstens stagnieren oder sogar wieder fielen, geht es in Spanien ungebremst mit der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten bergauf. Denn die europäischen Statistiker hatten noch nicht eingerechnet, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien auch im Januar weiter drastisch gestiegen ist.
Weitere 130.000 Menschen haben sich in die Schlangen vor den Arbeitsämtern eingereiht, weshalb nun offiziell 4.231.003 Menschen ohne Stelle sind. Und das Wetter kann nicht für den großen Anstieg herhalten. Zwar war der Dezember etwas zu kühl, doch der Januar dürfte eher überdurchschnittlich warm ausgefallen sein. Noch dramatischer zeigt sich die Entwicklung, wenn man zu den beim Arbeitsamt gemeldeten Arbeitslosen noch die hinzuzählt, die dort gar nicht mehr gemeldet sind, weil sie keinerlei Unterstützung zu erwarten haben. Denn auch nach Angaben des Statistikinstituts waren es schon zum Jahresende 4,7 Millionen ohne Job, Spanien nähert sich also mit großen Schritten der magischen Grenze von 5 Millionen an und dem stehen nur noch 18 Millionen Beschäftigte entgegen.
So richtig dramatisch werden die Zahlen, wenn man sich anschaut, dass fast jeder zweite Jugendliche ohne Job (43%) ist. Spanien doppelt damit die Quote des EU-Durchschnitts noch deutlicher als bei der allgemeinen Arbeitslosenquote. Inzwischen traut sich nicht einmal mehr die Wirtschaftsministerin Elena Salgado, die im vergangenen Jahr ständig für 2011 ein Stellenaufbau herbeireden wollte, vom baldigen Jobwunder zu fantasieren. Sie verweist erneut in die Zukunft und meint, dass es angesichts der schwachen Konjunktur vor der zweiten Jahreshälfte zu keinem Arbeitsplatzaufbau kommen wird. Nach Ansicht aller Experten wird die weiter steigende Arbeitslosigkeit dem schuldengeplagten Land die Rückkehr auf einen Wachstumskurs erschweren und auch den Banken und Sparkassen immer neue Kreditausfälle bescheren.
Nach Angaben der Zentralbank seien schon etwa 105 Milliarden Euro an Krediten faul. Die Ausfallrate war schon im November auf gefährliche 5,7% geklettert. Und obwohl die Rate bei Banken (5,8%) längst über der von Sparkassen (5,3%) liegt, wird in Madrid in konsequenter Realitätsverweigerung so getan, als läge das große Problem bei den öffentlich-rechtlichen Instituten, weshalb nun die zweite Sparkassenreform eingeleitet wird. Mit Milliarden sollen einige abgestürzte Institute staatlich saniert werden, um sie danach dann allerdings zu privatisieren.
Beim Sozialpakt gibt es eigentlich nichts zu feiern
Umso schwerer ist die Feierlaune zu verstehen, in der sich am Mittwoch die Sozialpartner gesonnt haben. Vom "kollektiven Erfolg" wurde gesprochen. Die "Teamarbeit" habe sich gelohnt, erklärte Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. "Die großen Nationen kommen durch die Krise und werden stärker, weil sie gestärkt aus der Krise hervorgehen", meinte Zapatero. Spanien, über dessen Absturz immer lauter und offener geredet wird, werde beweisen, dass es zu dieser Gruppe gehört. Mit dem Abkommen werde der "Aufschwung erleichtert".
Und auch die Gewerkschaften sparten nicht mit Lob und sprachen von einem Erfolg. Noch im September hatten sie den Kurs des Sozialdemokraten mit einem Generalstreik bedacht, weil diese eine Arbeitsmarktreform dekretiert hatten, die den Kündigungsschutz praktisch beseitigte (Spanien muss besonders für französische und deutsche Banken sparen). Angeblich sollte damit die Zahl der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse gesteigert werden, doch auch im Januar waren es gerade 9%, sie kann also als ein völliger Rohrkrepierer bezeichnet werden.
Nichts anderes wird für den großen Teil der Bevölkerung auch der feierlich unterzeichnete "Pakt zur Krisenbekämpfung und für das Wachstum" sein. Denn anders als in Frankreich haben nun die beiden großen Gewerkschaften des Landes die Rente mit 67 abgenickt, während die Basken und kleinere spanische Gewerkschaften letzte Woche erneut zum Generalstreik angetreten waren. So haben die Arbeiterunion (UGT) und die Arbeiterkommissionen (CCOO) angesichts der stets hohen Arbeitslosigkeit im Land faktisch eine Rentenkürzung abgenickt. Doch die schmalen Renten werden schon deshalb sinken, weil die Berechnungszeit von 15 auf 25 Jahre ausgeweitet wurde. Noch im Dezember hatten UGT und CCOO die 67 als Rote Linie bezeichnet, die sie nicht überschreiten wollten und erneut mit Generalstreik gedroht. Dass eine Reform, die erst ab 2019 wirkt, nun als "Krisenbekämpfung" verkauft wird, kann schlicht Verdummung genannt werden. Oder gehen Gewerkschaften, Unternehmer und Regierung sogar davon aus, dass die schwere spanische Krise sich ins nächste Jahrzehnt hinzieht?
Am Verhandlungstisch haben die beiden Gewerkschaften nur erkämpft, dass die Menschen weiter mit 65 in Rente gehen können, die 38,5 Jahre einbezahlt haben. Also die typische Besitzstandswahrung. Angesichts solcher Erfolge kann vermutet werden, dass der Vorschlag ernst gemeint war, sogar der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken das Plazet zu geben, wenn das Renteneintrittsalter nicht angehoben wird. Und die Gewerkschaften können kaum als Erfolg verbuchen, wenn nun die Arbeitgeber nicht einmal mehr in die Sozialversicherung einzahlen werden, wenn sie Stellen für Langzeitarbeitslose unter 30 schaffen. Dafür ist es natürlich super für die Unternehmer, dass sie fortan staatlich subventioniert die teure Stammbelegschaft kündigen können und dafür staatlich subventioniert junge Leute mit Zeitverträgen einstellen dürfen, die sie jederzeit und noch billiger wieder rauswerfen können.
Da wundert man sich nicht, wenn die Unternehmer frohlocken, denn sie haben nun praktisch alle ihre Forderungen durchgesetzt. Die hatte der Ministerpräsident Zapatero noch im Juli 2009 als "unannehmbar für eine verantwortliche Regierung" bezeichnet, weil sie einen direkten Angriff auf den Sozialstaat und auf die Arbeitsbeziehungen darstellen würden. Damals machte er die Unternehmer allein für das Scheitern der Sozialpakt-Gespräche verantwortlich. Doch nun hat sich Zapatero, der mit seiner Mannschaft in der Krise vollständig versagt, in ihre rettenden Arme geworfen.
Und ist es etwa ein Erfolg der Gewerkschaften, dass das Sozialgeld nun doch (noch) nicht gestrichen wird? Nein. Denn es wurde von 426 Euro auf 400 Euro gekürzt. Auch an der Tatsache, dass es ohnehin nur 6 Monate bezahlt wird, wenn man zuvor Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte, hat sich nichts geändert. Dass schon jetzt eine halbe Million Menschen keinerlei Unterstützung mehr erhalten, wie die Gewerkschaften noch im Dezember scharf kritisierten, ist ihnen am Verhandlungstisch wohl wieder entfallen.