Spanische Polizei warnt vor Nazi-Front
Die Polizei befürchtet auch ein Ansteigen faschistischer Übergriffe auf Einwanderer, wie sie seit zwei Wochen im Madrider Stadtteil Villaverde zu beobachten sind
Telepolis hatte vor einem halben Jahr auf die Versuche der extremen Rechten hingewiesen, eine "Nationale Front in Europa" aufzubauen, die unter der Führung der deutschen NPD stehen könnte (Faschisten stricken an "Nationaler Europäischer Front"). Nun warnt auch eine Studie der spanischen Polizei davor, dass die Kontakte verschiedener rechtsradikaler Parteien enger werden. Die aus Kreisen der Polizei und der Regierung gut informierte größte spanische Tageszeitung El Pais berichtete über eine Studie der "Comisaría General de Información" (Generalkommissariat für Information), die sich der entstehenden Nazifront widmet. Besonders werden die Bestrebungen der Falange de las Jons genannt und ein Treffen im November 2004, welches der Anlass für den Telepolis-Artikel war.
Der Bericht bestätigt "dauernde Beziehungen" spanischer Rechtsextremer mit "Kollegen in den europäischen Ländern im direkten Umfeld wie Portugal, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien" Darüber hinaus gäbe es gute Drähte nach Belgien, Griechenland, Polen und Rumänien. Deshalb sei es nun "normal", wenn an deren Aktionen in Spanien Abordnungen anderer Länder teilnehmen würden. Genannt wird die Demonstration der Falange Española gegen den EU-Beitritt der Türkei oder die Demonstration gegen den europäischen Staatsvertrag vor dem Referendum am 20. Februar (Spanien ist eher gleichgültig). Teilgenommen hätten daran Udo Voigt von der NPD, Ciprian Carting, von Nova Drepta in Rumänien; Roberto Fiore, von der Fuorza Nuova in Italien und Dimitrio Zofiropoulos, der griechischen Partei Golden Dawn.
Neben den zerstrittenen Grüppchen der Falange, denen wenig Mobilisierungskraft bescheinigt wird, nennt die Studie vor allem die Democracia Nacional (DN). Es sei die "am Besten organisierte Partei der spanischen extremen Rechten". Die DN ist ein Bündnis aus Teilen des "Círculo Español de Amigos de Europa" (CEDADE) und anderen Kleinstparteien. Der Ex-Führer des unter Franco 1965 gegründeten "Spanischen Kreises der Freunde Europas", Pedro Varela Geiss, ist auch Mitbegründer von DN. Aus seinem Buchladen in Barcelona betreibt er unermüdlich den Kampf gegen die "Auschwitz-Lüge" und die "jüdische Weltherrschaft" und vertreibt faschistische Literatur und Kultgegenstände in der gesamten Welt. Nachdem der Freund des deutschen Neonazis Manfred Roeder in Österreich wegen einer Rede zum hundertsten Geburtstag Hitlers zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, beschloss CEDADE 1993 die Selbstauflösung "zur Reorganisation auf breiter Basis".
Diese Reorganisation ist DN. Sie unterhält nach Angaben der Studie gute Kontakte zur Nationalen Front (FN) in Frankreich, dem in Belgien nun verbotenen Vlaams Blok, der DVU in Deutschland, der britischen BNP und der PNR in Portugal. Noch sind Spaniens Faschisten zerstritten, was ihre Mobilisierungsfähigkeit einschränkt. Es war der NPD-Chef Voigt, der im vergangenen Herbst in Madrid an die Einheit appellierte und als Beispiel dafür das NPD-DVU Abkommen anführte Stolpersteine auf dem Weg ins Vierte Reich.
Noch machen sich die diversen Falanges und die DN Konkurrenz. Der Politikansatz ist aber sehr ähnlich, wie sich auch in den letzten Tagen bei massiven Übergriffen auf Einwanderer im Madrider Stadtteil Villaverde gezeigt hat. Vor einem Ansteigen solcher Aktionen warnt die Studie auch. Alles deutet darauf hin, dass von allen eine Strategie zur Anwendung kommt, die in Deutschland erdacht wurde und seither erfolgreich umgesetzt wird.
Die "Ausländerfrage" als Hebel
Die sogenannte Ausländerfrage wird zum zentralen Inhalt gemacht. Statt der vor kurzem abgeschlossenen Regulierung wird ein "Ausländer raus" gefordert und man macht die Einwanderer für allerlei Missstände verantwortlich. Diese Strategie hatte Michael Kühnen von der "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" (ANS) 1982 ausgearbeitet, um langfristig genug Stärke für die Zulassung der NSDAP zu erreichen: "Jetzt geht es darum, Sachpositionen zu gewinnen, ein Problem zu finden, das tatsächlich die Masse der Bevölkerung als Problem bewegt und das nur von Nationalsozialisten gelöst werden kann. Das wird im wesentlichen die Ausländerfrage sein."
Schlägertrupps gehören ausdrücklich zu der Strategie, die dann zum Zug kommt, wenn sich ein angestauter Unmut durch ein Ereignis Bahn bricht. In der Madrider Hauptstadt war es die Tatsache, dass am 2. Mai ein spanischer Jugendlicher mutmaßlich von einem jungen Einwanderer aus der Dominikanischen Republik bei einem Streit erstochen wurde. Seither ist Villaverde Aufmarschplatz der Rechtsextremen der Hauptstadt und befindet sich in einer Art Ausnahmezustand. Bei "Demonstrationen", zu denen entweder die DN oder die Falange aufgerufen hat, wurden seither immer wieder Einwanderer attackiert und die Scheiben ihrer Geschäfte eingeschlagen.
Mit "außergewöhnlichen" Polizeimaßnahmen wird derzeit versucht, die Situation zu kontrollieren, nachdem es am vergangenen Dienstag erneut zu Überfällen gekommen war, ausgerechnet im Anschluss an eine Demonstration, die sich gegen diese Attacken richten sollte. Erneut hatten etwa 200 mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnete jugendliche Spanier Jagd auf Zuwanderer aus Lateinamerika gemacht. Ein zwölfjähriges Mädchen aus Ecuador wurde verletzt. Erstmals nahm die Polizei dabei auch bekannte und bewaffnete Rechtsradikale fest. Zuvor hatte sie sich stark zurückgehalten, obwohl deren Aufmärsche nicht genehmigt waren.
Besonders an der letzten Demonstration zeigt sich, wie sehr sich der rechte Diskurs in dem Stadtteil breit gemacht hat, der auch von etablierten Parteien gefördert wird (Null Toleranz für Rassismus?) So demonstrierten 5000 Menschen nicht nur gegen die Übergriffe, sondern auch für mehr "Sicherheit". Und für die "Unsicherheit" seien natürlich die Immigranten verantwortlich. So wurden sie aus dem Marsch heraus beschimpft, wenn sie ihn von den Fenstern aus beobachteten und immer wieder wurden rassistische Parolen gerufen. Es verwundert niemanden, dass sich nur wenige der etwa 18 Prozent Nichtspanier des 144.000 Einwohner zählenden Stadtteils auf die Demonstration trauten..
Kenner der Situation erklären, der Gewaltausbruch sei kein spontanes Ereignis, sondern der Ausdruck eines Zerfallsprozesses im Stadtteil, der seit langem zu beobachten sei. Die Zahl der Einwanderer sei in einem Jahr um 35 Prozent gestiegen, weil die Mieten in dem marginalisierten Viertel relativ niedrig sind. Das wirke sich in einem Stadtteil aus, der von der konservativen Regierung der Hauptstadt und der Region vergessen werde. Das Schulsystem und die Krankenversorgung seien am Kollabieren. 70 Prozent der Lehrer hätten ihre Versetzung beantragt. Mit 8100 Euro pro Kopf jährlich findet sich hier das niedrigste Durchschnittseinkommen Madrids. In dieser Situation fänden rechte Rattenfänger den Boden für ihre Propaganda vor.