Spiegel-Kabinett der Geheimdienste

Seite 2: Ein australischer US-Verbindungsoffizier?

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Peter R. Lizl soll jener US-Verbindungsoffizier gewesen sein, der den deutschen Sicherheitsbehörden mitgeteilt habe, zwei FBI-Beamte seien Zeuge des Anschlages auf der Theresienwiese geworden. Lizl ist australischer Staatsbürger und lebt in Deutschland, 65 Jahre alt, seit kurzem im Ruhestand. Er war Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes Military Intelligence (MI) in Heidelberg - ein Dienst "wie der MAD", so der Zeuge gegenüber dem Ausschuss. Seine Aufgabe sei es gewesen, Kontakte mit den deutschen Behörden zu pflegen. Auch mit Dienststellen des Staatsschutzes und des Verfassungsschutzes.

In der Tat ein Verbindungsbeamter - ob er aber jener Beamte war, der gemeint ist, ist nach seiner Vernehmung mehr als fraglich. Lizl berichtete von geheimen Strukturen der US-Sicherheitskräfte auch in Deutschland, von denen Nicht-US-Bürger per se ausgeschlossen seien. Er jedenfalls habe deutschen Sicherheitsstellen nichts von FBI-Agenten in Heilbronn erzählt. Für bestimmte Operationen, die nicht offiziell dokumentiert werden sollen, gebe es sogenannte "Special Investigation Teams", kurz SIT. Auch das FBI könne an solchen geheimen Operationen teilnehmen. Die FBI-Vertreter kämen dann direkt über die US-Botschaft ins Land ohne Wissen deutscher Behörden. Lizl will aber die Leiter des SIT-Büros in Stuttgart gekannt haben: Tilghman Rogers und sein Stellvertreter Travis Holmes. Er vermute sogar, so der ehemalige US-Militärbedienstete, dass es dieses inoffizielle SIT-Büro heute noch gibt. Lizls Darstellung jedenfalls wirkte nicht unglaublich.

In dem erwähnten Schriftverkehr zwischen BND, MAD und Kanzleramt [[…]] ist der Name des besagten US-Verbindungsoffiziers geschwärzt. Es liegt nun am Ausschuss, das Dokument entschwärzen zu lassen und den tatsächlichen Namen zu erfahren. Die Obleute haben sich auf der Pressekonferenz nach der Sitzung dazu nicht verhalten.

Doch auch Tilghman Rogers und Travis Holmes müssten vernommen werden. Interessanterweise tauchen ihre Namen bei einem weiteren Zeugen auf: Dem früheren deutschen Mitarbeiter der US-Streitkräfte in Hanau Reinhard Rudolf Kiefer, der, wie Lizl, in der Spionageabwehr des Militärgeheimdienstes MI tätig war. Im November 2011 hatte sich Kiefer nach Aufdeckung des NSU bei der Polizei gemeldet und Folgendes mitgeteilt: Er habe am 26. April 2007 ein Gespräch zwischen Rogers und Holmes mit angehört, die sich über eine missglückte MI-Operation vom Vortag in Heilbronn, dem Tag des Kiesewetter-Mordes, unterhalten haben sollen. In Heilbronn sei der gesuchte Terrorist und Geheimdienstinformant Mevlüt Kar observiert worden. Rogers bestritt das gegenüber dem LKA. Auch die Existenz einer Einheit "SIT Stuttgart", wie sie in dem Stern-Artikel steht, bestritt der US-Offizier. Stattdessen gab er an, gegen Kiefer habe es 2006 ein internes Verfahren gegeben, an dem unter anderem sein Kollege Holmes beteiligt gewesen sei. In der Folge sei Kiefer entlassen worden.

Reinhard Rudolf Kiefer war letzten Montag ebenfalls als Zeuge in Stuttgart geladen. Er erschien nicht. Gründe sind keine bekannt. Dem Ausschuss sei es den ganzen Tag nicht gelungen, so der Vorsitzende Drexler gegenüber der Presse, einen Kontakt zu ihm herzustellen. Kiefer ist zur nächsten Sitzung erneut geladen.

Vertreter der Amal-Milizen

Zurück zum 25. April 2007: Wenige Minuten nach dem Anschlag kam Jamil Chehade an der Stelle vorbei. Er sah zwei leblose Körper aus dem Streifenwagen hängen und blieb, wie eine Handvoll anderer Passanten, stehen. Kurz darauf kamen mehrere Streifenwagen. Eine Polizistin schickte alle Zeugen weg, ohne ihre Personalien aufzunehmen. Chehade meldete sich noch am selben Tag selber bei der Polizei als Zeuge. Chehade ist Libanese, wohnt seit Jahren in Heilbronn und war der Vertreter der Amal-Milizen in Deutschland. Als solcher wurde er mindestens bis 2006 von den Sicherheitsbehörden überwacht. Auch am Tattag? Chehade soll laut Stern eine der Personen gewesen sein, wegen denen die US-Sicherheitskräfte an dem Tag in Heilbronn waren.

Ob er mit Vertretern einer Sicherheitsbehörde verabredet gewesen sei, will der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) von Chehade wissen. "An diesem Tag nicht", antwortet der, "vorher schon." Auf Nachfrage von Rita Haller-Haid (SPD) bestätigt er, mehrfach Kontakt zum Verfassungsschutz gehabt zu haben. Wie oft, könne er nicht sagen. Die Frage, ob er V-Mann war, verneint er. Welcher Art sein Verfassungsschutzkontakt war oder noch ist, blieb unklar. Ein Spiegel-Kabinett der Nachrichtendienste.

Die nächste Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses von Baden-Württemberg findet am 23. November statt. Als Zeugen geladen sind unter anderem der frühere Verfassungsschutz-Präsident von BaWü, Helmut Rannacher, sowie die derzeitige LfV-Chefin Beate Bube.