Spiel mir das Liedchen vom Teletod

Schröder versus Stoiber - Rivalen unter nicht ganz so heißer Studiosonne

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Das erste "Fernsehduell" von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Herausforderer Edmund Stoiber wurde bereits lange zuvor als mediales Großereignis hochgefahren, das die bundesrepublikanische Mediokratie nun vollends dem televisionären Vorbild Amerikas nachschneiden will. Die politische Welt als Wille zum Ereignis und der dramatischen Gladiatorenvorstellung! Zu dieser Herrschaft der Vermittlung gehört es, das Ereignis selbst, das erwartungsgemäß diese maßlosen Erlebnisstandards der Spaßgesellschaft um Längen verfehlte, nun in seiner medienprofessionellen Vor- und Nachbereitung zum Top-Act des bundesrepublikanischen Wahlkamps zu stilisieren.

Was die Duellanten so zu verschießen hatten, war längst und sattsam bekannt. Arbeitsplätze, Steuer(un)gerechtigkeit, Zuwanderung, Flutkatastrophe. Hartz hin, Hartz her. Diese bis zur Beliebigkeit verkümmerten Hieb- und Stichwörter sind so redundant wie kommentierungsunbedürftig. Allein wie die Helden der neuen Politik-Arena es sagen würden, das sollte das tödlich spannende Duell in der so überaus weichgespülten Demokratie sein. Demokratie ist Entertainment ist Arena ist Duell? Im Brennpunkt des Ereignisses steht die minuziös vorbereitete Inszenierung der Kandidaten, die von der öffentlichen Meinung, vulgo: Umfrageergebnissen und Meinungsmachern, verleitet werden sollen, an die magische Ausstrahlungswirkung ihrer Schokoladenseite auf eben jene öffentlich Meinung zu glauben. So verführt der Wähler den Politiker zu seiner medialen Prostitution, macht ihn zum willfährigen Objekt seines Anspruchs auf Politainment. Die träge Wählerdiva will verführt werden und erfreut sich an der masochistischen Bereitschaft ihrer Politik-Freier, sich freiwillig auf das mediale Streckbett zu legen und sich selbst noch wie ungezogene Pennäler Strafsekunden für Zeitüberziehung notieren zu lassen. In der ironischen Rache der Verführten werden schließlich die Duellanten selbst verführt, werden zu Marionetten ihrer eigenen Machtlüsternheit.

Dass weder Schröder noch Stoiber das Duell als alles entscheidenden Waffengang ansahen, ändert nichts an ihrer Bereitschaft, zur Freude aller so zu tun, als ob hier die Demokratie einen tiefen Einblick in ihr Bios gewährte. Dabei waren die uns eingespielten Bilder vor allem deshalb so spannungsarm, weil jede harte Profilierung der Kandidaten Gefahr liefe, hier Prozentpunkte zu verbuchen, die dort verloren gingen. Medienkandidaten sind das formatierte Nichts mit dazu passender Proporz-Krawatte. Selbst der Akt des Schminkens wird wie weiland im Showdown zwischen Nixon und Kennedy 1960 zum politischen, also medialen Glaubensbekenntnis. Always-Optimistic-Medienkanzler Schröder (Vgl. Der Kanzler - ein Medienmachiavelli) gegen den lernfähigen Angreifer Stoiber, dem seine Coachs medienbuddhistisches Lächeln und sprechstolperlose Kurzsätze verordnet hatten - zwei Seiten eines spätdemokratischen Politiktypus mit dem Charme eines animierten Wachsfigurenkabinetts.

Beide kommen aus bescheidenen bis ärmlichen Verhältnissen und wurden zu Musterschülern einer Gesellschaft, die einstudiertes Selbstbewusstsein und ungetrübten Machbarkeitsglauben für herausragende, nicht nur politische Tugenden hält. Das biografische Dauerparadox, das solche überaus wendigen Mediokraten wie Schröder und Stoiber noch bis in die letzte Gesichtsfalte verfolgt: Wie schlage ich auf meinen Gegner ein, ohne dabei Sympathiepunkte zu verlieren? Wie verbinde ich Kampfgeist mit väterlicher Güte, Aggression mit Empathie? Mediokraten sind nur als durch und durch multiple Persönlichkeiten erfolgreich: Familienmensch, Schauspieler, Wadenbeißer, Parteipolitiker, vor allem Staatsmann. Sich so authentisch wie politisch korrekt zu inszenieren und dabei zugleich eine Politik für die öffentliche Meinung und eine heimliche Realpolitik in petto zu haben, das ist die psychopathologische Meisterleistung des wahren Mediokraten.

Dass beide Duellanten immer Recht haben, versteht sich in dieser einvernehmlichen Scheinwelt des angestrengten Dissenses von selbst. Wer sich vom Gegner überzeugen ließe, wäre nicht nur ein politischer Schwächling, sondern schlimmer noch: ein Spielverderber. In diesem kooperativen Streit gibt es keinen Wahrheitsrichter oder Superbeobachter, weil allein der Schein und die nun von den Medien eilfertig nachgereichten Meinungsaggregate die flüchtige Wahrheit sind - bis eben zur nächsten Flutkatastrophe oder dem hundertsten Spendenskandal. Wir erleben vornehmlich den arbiter elegantiarum, den parasitären Mediennachkoster, der für das Publikum über die nicht allzu großen Brüder zu entscheiden hat. Calamity Christiansen und der Rest der Gang auf den Spuren von Old Schröder und Greenhorn Stoiber. Wer ist smarter, operiert ästhetischer im Medium, kaschiert das Paradox von Machbarkeitsrhetorik und Zukunftsungewissheit geschickter?

Schröder mag der geringfügig bessere Rhetor gewesen sein, wenn Rhetorik die Kunst sein sollte, die schöne Färbung des unscharfen Arguments mit dem Tele-Charisma von Sicherheit und Zuversicht zu verbinden. Medienkanzler zu sein, heißt ja nichts anderes, als die telegene Positur nicht durch argumentative Komplexität zu untergraben. Kurzum, es geht um die Kunst des so vermittelten wie mittelmäßigen Mediokraten, glaubwürdig zu sein, ohne einem unbeirrbaren Glauben zu folgen. Stoiber gab in diesem festgelegten Spiel den präzisen, mitunter bürokratieverdächtigen, aktenlesenden Angreifer, dessen größte politische Bank vier Millionen Arbeitslose sind. Vier Jahre enttäuschte Zuversicht sind eine verdammt lange Zeit, deren Melanome sich auch unter televisionärer Bestrahlung nicht einfach verflüchtigen. Herausforderer Stoibers Pistolero-Rolle war dadurch so festgeschrieben, dass sein stetig nachgeladener Revolver mit der Standardpatrone "Viel versprochen, aber nichts erreicht" den Novitätenwert der Zeitung von vorgestern hatte.

Wer hat das "Duell" gewonnen? Das ist trotz und wegen der an das Ereignis angeklebten Nachbetrachtungen schon deshalb nicht zu beantworten, weil es eben kein blutträchtiges Duell, sondern nur dessen spannungsarmes Mediensurrogat war. Allein die Medien spreizen es in ihrer eigenen Politik auf, maßen sich die Interpretationshoheit über das Nichtereignis an, um den Wähler wissen zu lassen, was er denken soll. Insofern vermitteln Fernsehduelle im demokratisch unwürdigen 90-Sekunden-Takt nicht politische Meinungen an ein Publikum, das sie übernimmt oder verwirft, sondern sie werden zu medialen Anlässen von Meinungsmachern, ihre Interpretationsergebnisse dem Publikum einzumassieren. Dank Forsa gibt es aber auch Umfrageergebnisse unter Wählern, die vor allem glauben, das gesehen zu haben, was sie eben sehen wollten. Mediendemokratien sind eben Konstruktionen mit riesigen Projektionsflächen.

Zur öffentlichen Meinung gehört es nach Niklas Luhmann, dass sie um ihre mediale Manipulation weiß. Inszenierte Politiker müssen also damit rechnen, dass der angeblich verführbare Wähler zwischen Schein und Sein, Gegenwart und Zukunftsprognostik zumindest klammheimlich und zufällig, etwa in der Wahlkabine, unterscheidet, wenn er schon nicht wissen soll und kann, wer die bessere Politik macht. Und deshalb lässt sich selbst von Meinungsforschern nicht beantworten, ob Fernseh-Duelle überhaupt einen nennenswerten Effekt auf die Wahlentscheidung haben. 45% der Bürger, mehr denn je zuvor, sind unentschieden, wen sie wählen sollen. Zieht man von der komplementären Gruppe die Stammwähler und Überzeugungstäter ab, wird sofort klar, dass weder Medien noch gar Politiker über Politik aufklären, wenn sie aufklären. Da die Unentschiedenheit der Wähler nie größer war als heute, spricht alles dafür, den Begriff der öffentlichen Meinung einer fundamentalen Revision zu unterziehen. Es gibt jenseits der Medien keine Öffentlichkeit, die eine Meinung hat, sondern nur eine in mehrfacher Hinsicht zerstreute Gesellschaft, die mit schnell veränderlichen Prozentzahlen mehr schlecht als recht bemessen werden kann. Dass eine Flutkatastrophe unmittelbar politische Stimmungen wegspülen kann, obwohl diese Regierung nur das tut, was jede Regierung machen würde, macht deutlich, dass der Wähler Politik so ernsthaft reflektiert, wie es einer Stimmungsdemokratie eben gebührt.

Zu Recht wurde auch die Anwesenheit des im rhetorischen Windkanals getrimmten Guidomobils als völlig überflüssig erkannt, weil es nicht um demokratischen Proporz, Meinungsvielfalt und ähnlich antiquierte Demokratie-Software geht, sondern um das neue Medienduellformat "Mann gegen Mann": "Es kann nur einen geben". Duelle sind existenzielle Entscheidungen, Mediendemokratien dagegen virtuelle Nebelschwaden. Fernsehduelle sollen der so unverbindlich totvermittelten Demokratie ein Existenzzeichen verleihen, das sie für eine kurze Zeit des Scheins authentisch macht, um ein wenig demokratisches Pathos zurückzuerlangen. Funktioniert hat es nicht. Wir haben das Fernsehduell als redundantes Format erlebt, das zum wenigsten die Sicherheit spendete, erfolgreich Zukunftsängste und demokratisches Unbehagen zu lindern. Oder ist diese Behauptung auch nur eine Manipulation in medialen Zeiten, die jeden nach seiner Facon glückselig oder auch nicht werden lassen? Dann also bis zum nächsten Duell, die Wiederauferstehung der beiden Sieger wird garantiert.