Spin Doctoring im GDL-Arbeitskampf

Seite 2: "Die Medienkampagne hat funktioniert, weil es auch um einen Ost-West-Kulturkonflikt geht"

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Und diese "positive Darstellung" hatte und hat eher Seltenheitswert?

Winfried Wolf: Allerdings. Relativ grundsätzlich sind die Medien in diesem Arbeitskampf dadurch aufgefallen, dass sie eher unobjektiv und gelegentlich sogar richtig verletzend und hetzerisch gegenüber der GDL im Allgemeinen und Weselksy im Besonderen agierten. Und das wirkt ja auch massiv zurück auf die Bevölkerung selbst, womit wir wieder bei Ihrer letzten Frage sind…

Dennoch aber gibt es weiterhin erheblich Zustimmung für diese Truppe. Vor der letzten großen Pressekonferenz etwa mussten die Medienleute 25 Minuten auf den Beginn der Veranstaltung - auf der dann der neue Streik verkündet wurde - warten. Ich war dabei und vertrat mir da im "Forum" des Beamtenbunds die Füße. Da wurde ich Zeuge des kurzen Wortwechsels zwischen einem Journalisten und einer Journalistin, beide mit je zwei schweren Nikon-Kameras behängt. Er zu ihr: "Du bist doch jetzt nicht auch bei der GDL?". Sie: "Nein. Aber schämen würde ich mich nicht, wenn ich bei denen dabei wäre." Und das ist - nun, nicht alles, aber doch wichtig und auch sehr viel wert.

Und diese "Hetze", von der Sie sprachen: Wie wird da agiert?

Also, ich persönlich bin - als Wessi übrigens - davon überzeugt, dass die Medien-Kampagne gegen die GDL und Claus Weselsky insbesondere deshalb so gut "funktioniert" hat und wirksam war, weil es da auch um einen Ost-West-Kulturkonflikt geht.

Sehen Sie: So gut wie alle Kommandohöhen in dieser seit 1990 neu vereinten Republik sind von Wessis besetzt. Die meisten Firmenchefs im Osten sind Wessis. Die meisten führenden Gewerkschaftsleute im Osten sind Wessis. Selbst der erste Ministerpräsident der Linkkspartei in Ostdeutschland ist ein Wessi - und jetzt der von der GDL benannte Schlichter.

Ganz Deutschland ist von den Wessis besetzt … ganz Deutschland? Da gibt es diese kleine Gallier-Gewerkschaft: Unbezwungen, kämpferisch, authentisch. Die Mitglieder dieser Gewerkschaft sind zu einem großen Teil Ossis. Selbst bei der GDL in Bayern sind rund 30 Prozent Ostdeutsche, Menschen, die aufgrund des Kahlschlags bei der ehemaligen DDR-Reichsbahn und der hohen Arbeitslosenquoten im Osten in den Westen gingen und hier Arbeit fanden. Der GDL-Boss redet irgendwie anders. Ja, er sächselt. Wenn bei uns ein Top-Politiker oder Top-Manager oder Top-Gewerkschafter Dialekt spricht, dann wird das ja durchaus akzeptiert - solange es Schwäbisch - Kretschmann - oder Bayerisch - Seehofer - ist. Aber wehe, da sächselt einer - und dann auch noch in der Tagesschau. Aber, hallo, ist das denn die "Aktuelle Kamera"?

Der Dialekt ist bei diesem Kulturkonflikt aber nur die eine Seite. Es geht weiter mit der Grund-, ja, der Körperhaltung. Ein Ossi hat nach den Westvorstellungen devot zu sein. Es geht gerade noch, wenn der Ossi als Charmeur und Moderator auftritt, Rollen, die etwa Gregor Gysi gut verkörpert. Aber diese offensive Haltung von Weselsky, in einem Interview in "Bild" zu sagen: "Grundsätzlich habe ich ein Vorbild - Luther. Seinem Ausspruch 'Hier steh ich und kann nicht anders' fühle ich mich verbunden", das stößt in den zu 98 Prozent westlich dominierten Herrschaftskreisen unangenehm auf. Besonders, wenn das noch mit einer Körperhaltung des aufrechten Gangs - wie das Ernst Bloch vor allem im übertragenen Sinn meinte - unterstrichen wird. Genau dies war auch dem "Bild"-Politik-Chef aufgefallen, sodass der einleitende Satz des Interviews dort lautete: "Durch die Drehtür sehe ich Claus Weselsky (56), hünenhaft, breitbeinig."

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