Statt "Sex & Drugs & Rock’n’Roll" nun "Private Equity & Hedgefonds & Brands’n’Sponsoring"

Seite 2: "Weltherrschaft im Konzertgeschäft"

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Wie machen Veranstaltungskonzerne heutzutage ihr Geld?

Berthold Seliger: Live Nation und CTS Eventim haben ein ähnliches Geschäftsmodell, beide Konzerne betreiben ja eigene Ticketingfirmen, bei Live Nation ist das der weltgrößte Tickethändler, Ticketmaster. Wenn man die Unternehmensbilanzen genauer betrachtet, stellt man fest: Das Veranstalten von Konzerten macht riesige Verluste (im Fall von Live Nation) oder nur geringe Gewinne (bei CTS Eventim), während der Löwenanteil mit dem Ticketing und neuerdings außerdem noch mit Sponsoring verdient wird.

Live Nation weist im Konzertbereich Verluste im fast dreistelligen Millionenbereich aus (in 2017 sind es 93,59 Millionen US-$), während im Ticketing in aller Regel Gewinne in der Größenordnung von etwa 200 Millionen US-$ erzielt werden. Und dazu kommen Riesengewinne im Unternehmensbereich "Sponsoring & Advertising": Bei nur 445 Millionen Dollar Umsatz erzielte diese Sparte 2017 für Live Nation Gewinne in Höhe von etwa 252 Millionen Dollar. Eine Bruttogewinn-Marge von 56,50 Prozent, das ist einigermaßen sensationell.

Ähnlich sind die Zahlen bei CTS Eventim: Die EBITDA-Marge des Konzertgeschäfts liegt bei diesem Konzern bei knapp über vier Prozent, mit sinkender Tendenz, die Marge im Ticketing dagegen bei über vierzig Prozent, mit steigender Tendenz. Im Klartext: Eigentlich veranstalten die großen Konzerne ihre Konzerte nur noch, um mit Ticketing und Sponsoring Gewinne einzufahren.

Und sie verwenden ihre gewaltigen Gewinne aus dem Ticketing dazu, weiter zu expandieren, weltweit Konzert- und Tourneeveranstalter sowie Konzerthallen aufzukaufen, die wiederum dafür sorgen, dass die Ticketingeinnahmen der Konzerne steigen, womit sie weiter expandieren können und so weiter und so fort. Die Erfindung des Perpetuum mobile - im Konzertgeschäft ist sie gelungen, als sowohl horizontales wie auch vertikales Imperiengeschäft. Es geht um weltweite Imperien, es geht um die Weltherrschaft im Konzertgeschäft.

"Drittgrößter Aktionär von Live Nation ist BlackRock"

Dabei spielt in Ihrem Buch auch die Frage eine Rolle, wem diese Konzerne, aber auch viele Festivals und Konzertveranstalter heute eigentlich gehören.

Berthold Seliger: Genau. Auch hier zeigt sich der Paradigmenwandel im internationalen und nationalen Konzertgeschäft. Früher waren das größtenteils inhabergeführte Personengesellschaften - denken Sie an den legendären US-Promoter Bill Graham oder an die deutschen Veranstalterlegenden Fritz Rau und Karsten Jahnke. Heute erleben wir eine völlig neue Form des Imperiengeschäfts: Nicht mehr die einstigen Gladiatoren, die Konzertimpresarios alter Schule halten das Heft in der Hand. Es ist das internationale Finanzkapital, das das Konzertgeschäft unserer Tage prägt.

Acht der zehn größten Aktionäre von Live Nation sind Private Equity-Gesellschaften und Hedgefonds, also die dubiosen und umstrittenen sogenannten "Finanzdienstleister", die ich lieber als "Kapitalorganisatoren" bezeichnen möchte. Drittgrößter Aktionär von Live Nation ist BlackRock, der größte Kapitalorganisator der westlichen "Wertegemeinschaft", Miteigentümer an über 17.000 Unternehmen, Banken und Kapitalorganisationen weltweit und Großaktionär in 282 der 300 weltgrößten westlichen Kapitaleigenschaften und an allen 30 Dax-Kozernen beteiligt. BlackRock sind aber laut Werner Rügemer auch die "Könige der Steuerflucht und Geheimhaltung"...

Der Eintritt der Kapitalorganisatoren in den Konzertmarkt hat System: Die beiden weltgrößten Künstler-Agenturen, CAA und WME, sind seit einigen Jahren in der Hand einiger der weltgrößten Private-Equity- und Venture-Capital-Beteiligungsunternehmen, und derartige Kapitalorganisatoren haben auch etliche europäische Tourneeveranstalter gekauft oder sind an ihnen beteiligt.

Selbst viele der tollsten europäischen Festivals sind längst in der Hand des Finanzkapitals: Superstruct Entertainment beispielsweise, das Providence Equity gehört, ist in den letzten Jahren auf Beutezug durch die europäische Festivallandschaft gezogen und hat Mehrheitsbeteiligungen unter anderem an renommierten Festivals wie Sziget (Ungarn), Sónar (Spanien), Flow (Finnland) und sogar am großartigen Oya-Festival in Norwegen erworben, das als unabhängiges und ungewöhnlich geschmackssicheres Festival begann. Und in Deutschland sind Festivals wie Melt, Spash und Full Force in der Hand von Private Equity, ebenso wie die Tourfirma "Melt! Booking". Und das Berliner Lollapalooza-Festival gehört sowohl Live Nation als auch einer Private Equity-Firma.

Interessant ist, dass all diese Festivals und Tourneeveranstalter die Tatsache, dass sie längst dem Finanzkapital gehören, schamhaft verschweigen. Kein Wunder, es ist natürlich denkbar uncool, dass vermeintlich hippe Pop- und Rock-Konzerte und Festivals in Wahrheit von Private Equity-Gesellschaften betrieben werden. Was früher mal "Sex & Drugs & Rock’n’Roll" war, ist mittlerweile "Private Equity & Hedgefonds & Brands’n’Sponsoring"...

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