Steht uns dieses Jahr ein Crash an den Finanzmärkten bevor?
Seite 2: Anstieg der Lebensmittelpreise beeinträchtigt die Schuldenbedienung
- Steht uns dieses Jahr ein Crash an den Finanzmärkten bevor?
- Anstieg der Lebensmittelpreise beeinträchtigt die Schuldenbedienung
- Hohe Vermögenspreise, Gelddrucken der Notenbanken und steigende Inflation
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Schon am 2. Dezember hatte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in ihrem monatlich erscheinenden Bericht über die weltweiten Preisentwicklungen der Lebensmittel, dass die Lebensmittelpreise im November 2021 um 27 Prozent teurer waren als im November 2020.
Verglichen mit den durchschnittlichen Lebensmittelpreisen der sechs Jahre 2015 bis 2020 (Indexstand 95,3) waren die Lebensmittel im November 2021 (Indexstand 134,4) um 41 Prozent teurer als in den sechs Jahren zuvor.
41 Prozent ist viel Geld für die ärmeren Schichten der Bevölkerung, vorwiegend in den Entwicklungsländern, aber auch für die Unterschichten in den Industrieländern. Wie soll der sozial benachteiligte Teil der Bevölkerung, der mit stark steigenden Lebensmittelpreisen konfrontiert ist, die im Rahmen Lockdown-Politik seit 2020 dramatisch gestiegenen Schulden jemals zurückzahlen?
Zunehmende Unterernährung behindert Schuldendienst
Im Oktober 2021 erschien der Welthunger-Index 2021. Demnach stieg 2020 nach Jahrzehnten des Rückgangs erstmals wieder die weltweite Verbreitung von Unterernährung stark an, und zwar von etwa acht Prozent der Weltbevölkerung 2019 bzw. 640 Millionen Menschen auf ungefähr zehn Prozent oder 800 Millionen Menschen 2020, also ein Anstieg um etwa ein Fünftel oder fast 160 Millionen Menschen.
Bis November 2021 sind die Preise für Grundnahrungsmittel gegenüber dem Durchschnittspreis 2020 um 37 Prozent gestiegen. Das verheißt auch für 2021 nichts Gutes, auch 2021 dürfte die Unterernährung weiter zugenommen haben.
Möglicherweise drohen daher 2022 durch Hunger bedingte Unruhen wie 2007 während der Tortilla-Krise in Mexiko oder Aufstände wie der Arabische Frühling ab 2010, der durch Zorn über stark gestiegene Grundnahrungsmittelpreise mitausgelöst wurde.
Aufstände und Unruhen oder gar Revolutionen machen die Bedienung von Schulden meist unmöglich, führen normalerweise zur Kapitalflucht bzw. größeren Geldbewegungen und können daher gravierende Rückwirkungen auf die Weltkapitalmärkte haben.
Durch diese vier Faktoren könnte 2022 einiges Ungemach für die Weltschuldenmärkte und damit auch für die Weltbörsen ausgelöst werden. Aber es kommen einige weitere bedenkliche Entwicklungen hinzu:
China
Die chinesische Wirtschaft scheint in jüngerer Zeit nicht mehr so rundzulaufen wie in den letzten Jahrzehnten, in der sie ständig eine Welt-Konjunkturlokomotive war.
Das chinesische Wachstum wurde in den letzten Jahrzehnten stark durch Schulden finanziert, sodass die chinesischen Schulden (ohne Finanzbranche) derzeit etwa 283 Prozent der chinesischen Wirtschaftskraft ausmachen und damit über dem weltweiten Durchschnitt von 256 Prozent liegen.
Der chinesische Immobilienmarkt wirkt nicht nur extrem aufgebläht, sondern auch stark überhitzt. Experten rechnen daher mit einem Nachlassen des chinesischen Wirtschaftswachstums oder gar mit einem Crash am chinesischen Immobilienmarkt – Stichwort Evergrande.
Beispielsweise sagte der Ökonom Dirk Müller bereits 2018 die "größte Wirtschaftskrise aller Zeiten"1 voraus, die maßgeblich durch die chinesischen Fehlentwicklungen verursacht würde.
Auch wenn sich China nicht als Krisenherd herausstellt – womit ich persönlich rechne – dürften von China künftig keine so starken Wachstumsimpulse mehr für die Weltwirtschaft ausgehen wie in den letzten Jahrzehnten.
Türkei
Am 30. Dezember betrug der Wechselkurs der türkischen Lira zum US-Dollar über 13 Lira pro US-Dollar. Mitte September hatte der Kurs noch bei ungefähr 8,50 US-Dollar gelegen. Heute bekommt man also gut 50 Prozent mehr Lira pro US-Dollar als vor zwei Monaten.
Vor fünf Jahren, im November 2016 stand die Lira bei rund 3,5 US-Dollar. Heute bekommt man also fast viermal so viele Lira pro Dollar wie vor fünf Jahren. Anders ausgedrückt: Die Lira hat sich in den letzten fünf Jahren im Wert beinahe geviertelt.
Türkische Kreditnehmer haben Schulden in ausländischer Währung in Höhe von über 570 Milliarden US-Dollar. Ende September 2021 waren etwa 80 Milliarden davon binnen zwölf Monaten zurückzuzahlen.2
Das dürfte für manche Schuldner schwierig werden. Das Wall Street Journal sprach daher am 21. Dezember davon, dass das "stark dollarisierte türkische Finanzsystem auf eine Bankenkrise zusteuern könnte".
Eine Bankenkrise in der Türkei könnte leicht europäische Gläubiger mit nach unten ziehen, eine türkische Anleihekrise könnte leicht auf andere Entwicklungsländer und andere Schuldner mit schwacher Bonität überschwappen und so möglicherweise eine internationale Finanzkrise lostreten.
Zur Erinnerung: Lehman hatte 2007 Schulden in Höhe von 613 Milliarden US-Dollar, die nicht mehr zurückzahlbar waren. Das löste damals die Finanzkrise 2008 aus. Kurz: Die Türkei könnte der Dominostein sein, der eine Kettenreaktion im Weltfinanzsystem nach unten auslöst.