Stell dir vor es ist Putsch ... und keiner geht hin!

Bericht aus Thailand

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„Panzer rollen durch Bangkoks Straßen“, melden Medien über den Staatsstreich des thailändischen Militärs, EU-Ratspräsident Matti Vanhanen mahnt die Rückkehr zur demokratischen Ordnung an und das Auswärtige Amt mahnt Urlauber dazu, im Hotel zu bleiben. Wer am Morgen des 20. Septembers jedoch durch die Straßen von Bangkok geht, wird die Aufregung in den Medien nicht so recht verstehen. Fernab des Regierungsviertels und der Hauptverkehrsstraßen rollen keine Panzer. Dort läuft das Leben so ab, wie es immer abläuft.

Kein Soldat weit und breit. Zwei Tage nach dem Putsch des thailändischen Militärs waren die einzigen Soldaten, die ich gesehen hatte, im Fernsehen. Keine Straßensperren, keine durch die Straßen donnernden Panzer, keine Militärkontrollen gab es um mein Appartementhaus in Südbangkok. Es war zwar ruhiger als gewöhnlich, aber das lag in erster Linie daran, dass die Militärs per Dekret alle Schulen an diesem Tag geschlossen hatten und die Essensstände nicht von Schülern belagert waren und die enge Gasse nicht von den elterlichen Autos verstopft. Gespenstisch, wie beispielsweise in der Deutschen Welle kolportiert, war die Stimmung nicht wirklich.

Am Tag zwei der Besetzung waren hier immer noch keine Vertreter des Militärs aufgetaucht. Nur im Fernsehen sah man die Panzer auf der Ratchadamnoen Allee stehen, wo sie von Neugierigen bestaunt und die Soldaten von der Bevölkerung mit Essen versorg wurden. Sollte das meine ganze Erinnerung an den Putsch sein? Also los, um den Enkeln später wenigstens sagen zu können, dass man ein bisschen was gesehen hat.

Die Militärs inszenieren sich als volksnah durch die Rose, die den Soldaten von Zivilisten übergeben wurden, und durch die gelben Bänder als dem Königshaus verbunden. Foto: T. Kozlowski

Der Putsch fand bislang vor allem in den Medien statt. Ab 23 Uhr Ortszeit waren die internationalen Fernsehsender wie CNN und die BBC in der Nacht vom 19. zum 20. September nicht mehr erreichbar. Die thailändischen Fernsehsender strahlten unisono Videoclips mit Liedern aus, die teilweise auch auf Englisch dem thailändischen König Bhumipol huldigten. Unterbrochen wurde diese Übertragung von einer Ankündigung des Leutnant-Generals Prapart Sakuntanak. Gegen 10.20 Uhr ging der normale Sendebetrieb weiter. Dieser Blog bietet eine detaillierte Übersicht über die verschiedenen Ankündigungen, inklusive Videoclips.

Die politische Dauerkrise als Auslöser

Während ich mit dem Boot den Chao Phraya hinauftuckere in Richtung des Königspalastes, geht mir die politische Entwicklung des letzten Jahres durch den Kopf und ich versuche, darin eine Entwicklung bis zum 19. September zu erkennen.

Viele Thailänder sehen der weiteren Entwicklung gelassen entgegen, obwohl zum jetzigen Zeitpunkt noch alles offen ist – in ein paar Tagen könnte alles vorbei sein, es könnte aber auch zu Toten kommen wie bei den Protesten während des Schwarzen Mais 1992.

General Sondhi Boonyaratkalin, der als Anführer der Putschisten gilt, gibt als Grund des Putsches die unüberwindbare Spaltung innerhalb der thailändischen Gesellschaft an, für die der thailändische Premierminister Thaksin Shinawatra verantwortlich gemacht wird. Zumindest wenn man jemanden aus der Bangkoker Mittelschicht fragt. Spricht man jedoch einen der unzähligen Taxifahrer in Bangkok auf Thaksin an, hört man wilde Flüche auf alle seine politischen Gegner, die dem Premierminister das Leben so schwer machen würden. Die politische Dauerkrise, in der Thailand ganz offensichtlich seit Anfang des Jahres steckt, entzündet sich immer wieder an der Person von Thaksin und seiner Familie.

Massenkundgebungen gegen Thaksin gibt es in Bangkok schon seit September 2005. Sondhi Limthongkul, ein thailändischer Medienunternehmer und ehemaliger Unterstützer Thaksins, hatte bis zu diesem Zeitpunkt eine wöchentliche Talkshow im thailändischen Fernsehen, die nach kritischen Bemerkungen über Thaksin abgesetzt wurde. Sondhi setzte diese Sendung über seine eigenen Satellitensender, seine Zeitung Pujatkarn (Thai für „Manager“) und öffentliche Kundgebungen fort und griff dort den Premier frontal an, indem er ihm Korruption und Majestätsbeleidigung vorwarf. Die Anzahl der Teilnehmer seiner Kundgebungen ging schnell in die Tausende. Aufzeichnungen dieser Auftritte, die von Sondhis Medienfirma vertrieben wurden, gingen ebenfalls als Video-CDs tausendfach über die Ladentheken.

Thaksin, der seine Karriere bei der Polizei begann, stieg in den 80er und 90er Jahren zu einem der reichsten Personen des Landes auf. Dies verdankt er seinem Medienimperium Shin Corp, zu dem Advanced Info Service (AIS), der größte Mobilfunkanbieter des Landes, gehört. Als er und seine Familie ihre Anteile an Shin Corp am 23. Januar 2006 an die Singapurer Temasek Holding verkauften, wurde dies erst möglich durch eine Gesetzesänderung, die es ausländischen Investoren erlaubt, bis zu 49 Prozent an einem Mobilfunkunternehmen zu halten. Das Gesetz trat ein paar Tage vor dem Verkauf der Aktien in Kraft.

Zu diesem Zeitpunkt war die Spaltung in Thaksin-Anhänger und Thaksin-Gegner schon so tief, dass dieser Verkauf zuvor oft gefordert war, nun jedoch auf extremen Protest stieß – vor allem wegen der Tatsache, dass er für den Verkauf des 73 Milliarden Bath (etwa 1,5 Milliarden Euro) schweren Aktienpakets keine Steuern zahlen musste. In Thailand sind Erlöse aus Aktienverkäufen steuerfrei.

Von da an verging kein Tag ohne ein Bild von Sondhi auf den Titelseiten der thailändischen Presse im gelben Hemd und dem obligatorischen Stirnband mit der Aufschrift „Ku Chaad“ - „Rettet das Land!“ Die gelben Hemden sollten dabei für den König stehen. Da König Bhumipol an einem Montag geboren wurde und gelb im Thai-Buddhismus die Farbe des Montags ist, ist gelb in Thailand die offizielle Königsfarbe. Palastsprecher waren über diese unfreiwillige Einbeziehung des Königs in die Innenpolitik „not amused“.

Zu diesem Zeitpunkt war Sondhi der einzige von Thaksins Kritikern, der die Massen anzog. Die politische Elite traute dem ehemaligen Thaksin-Vertrauten jedoch nicht. Trotzdem gründete eine Reihe von Sozialaktivisten und Akademikern zusammen mit Sondhi am 9. Februar die „People's Alliance for Democracy“ (PAD), eine Art von thailändischer APO.

Die parlamentarische Opposition war seit 2001 nur noch zu knapp einem Drittel im Parlament vertreten und wurde von vielen wegen ihrer eigenen Verstrickungen in Korruptionsaffären in der eigenen Regierungszeit nicht als wirklich wählbare Alternative zu Thakins Thai Rak Thai-Partei (TRT) gesehen.

Gespenstischer Wahlkampf

Bald gingen in Bangkok 100.000 Menschen auf die Straße und Ende Februar stieß noch ein weiterer Prominenter zur PAD hinzu, General a.D. Chamlong Srimuang. Chamlong, ein tief gläubiger Buddhist mit Verbindungen zu der als extrem asketisch und dem thailändischen Staat ablehnend gegenüber stehenden Sekte Santi Asoke, hatte eine führende Rolle in den Protesten 1992 gegen den regierenden General Suchinda Kraprayoon und war seiner eigenen Aussage nach derjenige, der Thaksin in die Politik gebracht hatte. In den frühen 90er Jahren sei es nach Chamlongs Angaben zu einem Gespräch zwischen ihm und Thaksin gekommen, in dessen Verlauf beide eine neue Art von Politiker erträumt hätten, der Politik nicht als Mittel zur Selbstbereicherung sehe, sondern der den Menschen zu helfen versuche und eine Politik auf der Basis von moralischer Integrität mache. Dieses in dieser Zeit aufgestellte Ideal habe Thaksin verraten und er, als der Verantwortliche für Thaksins politische Karriere, müsse sie nun auch beenden, so Chamlong.

Thaksin ließ zur gleichen Zeit ebenfalls Massen für sich zu Kundgebungen aufmarschieren. Eine Suche nach dem Stichwort Thaksin in YouTube oder GoogleVideo fördert eine Menge von Anti- und Pro-Thaksin-Videoclips zu Tage.

Angesichts der anhaltenden Proteste setzte Thaksin am 24. Februar nach nur einem Jahr Amtszeit vorgezogene Parlamentswahlen am 2. April an, um sich so ein neues Mandat zu verschaffen und seine Kritiker auf diese Weise zum Schweigen zu bringen. Doch drei Tage später erklärten die drei noch vorhandenen Oppositionsparteien - die Demokratische Partei, die Thai-Nations-Partei und die Große Volkspartei – sie wollten diese Parlamentswahlen boykottieren. Sie begründeten dies damit, dass zwar Thaksin in einer Krise stecke, nicht aber das Land und sein politisches System. Deshalb seien diese Wahlen nicht rechtens. Stattdessen riefen sie dazu auf, auf dem Wahlzettel „No vote“ anzukreuzen.

Der Wahlkampf selbst war ziemlich gespenstisch, da Wochen lang nur die Wahlplakate einer Partei hingen, von TRT. Erst kurz vor dem Wahltermin tauchte plötzlich Wahlwerbung anderer, völlig unbekannter Parteien auf.

Am Wahltag zerrissen etliche Thaksin-Gegner in der Wahlkabine aus Protest die Wahlzettel. Ein Strafdelikt in Thailand.

TRT kam in den Aprilwahlen auf 61,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die restlichen Stimmen vielen fast vollständig auf „No Vote“. Insgesamt hatten 34,7 Prozent der registrierten Wähler für TRT gestimmt. (http://en.wikipedia.org/wiki/Thailand_legislative_election%2C_April_2006)

Doch die Wahlen waren schon im Vorfeld umstritten und das Ergebnis war trotz des allgemeinen Ergebnisses von 100 Prozent ein Desaster für TRT. In einigen Wahlkreisen hatte der TRT-Kandidat als einziger Kandidat dort zwar den Wahlkreis anteilsmäßig gewonnen, aber nicht die bei nur einem registrierten Kandidaten notwendige Quote von 50 Prozent der Wähler erreicht. In einigen Wahlkreisen musste also neu gewählt werden, denn solange nicht jeder Wahlkreis im Parlament vertreten ist, kann es nicht zusammentreten.

Ebenfalls kritisiert wurde die neue Aufstellung der Wahlkabinen, sodass der Vorgang der Wahl von den Wahlhelfern eingesehen werden konnte. Die Wahlkommission hatte dies dadurch begründet, dass man den in Thailand verbreiteten Stimmenkauf dadurch unterbinden wollte.

Spaltung in unversöhnliche Lager

Thaksin erklärte sich nach dem Ende der Wahl zunächst zum Sieger und rief zur nationalen Einheit auf – schließlich habe man jetzt ja gesehen, dass das Volk ihn als Regierungschef wolle. Die Oppositionsparteien lehnten umgehend ab. Am 4. April gab Thaksin nach einer Audienz bei König Bhumipol überraschend bekannt, dass er das Amt des Premierministers nicht anstreben, aber das Amt kommissarisch so lange führen werde, bis das Parlament einen Nachfolger gewählt habe. Er wolle, so Thaksin im thailändischen Fernsehen, die bevorstehenden Feierlichkeiten zum 60-jährigen Thronjubiläum des Königs nicht gefährden. Anschließend zog er aus dem Regierungssitz aus, um offiziell mit der Familie Urlaub zu machen.

Währenddessen begann eine juristische Schlammschlacht um das Ergebnis der Parlamentswahlen. TRT und die Demokratische Partei beschuldigten sich gegenseitig, die kleineren Parteien bestochen zu haben, an der Parlamentswahl teilzunehmen bzw. die Wahlen zu boykottieren. Im Sommer 2006 drohte deshalb den beiden größten Parteien des Landes ein Verbot wegen Wahlbetrugs.

Zu diesem Zeitpunkt war Thailand jedoch schon in zwei unversöhnliche Lager aufgeteilt. Diskussionen waren zwischen Anhänger der Pro- und Anti-Thaksin-Bewegung nicht mehr möglich. Immer wieder berichteten Taxikunden, dass der Fahrer sie unter wüsten Flüchen aus dem Auto gejagt hatte, weil sie im jeweils anderen Lager waren. Thaksin selbst wurde von wütenden Protestanten mehrmals dazu gezwungen, Einkaufszentren zu verlassen. Einmal machten ihn drei wütende Marktfrauen, die ihn überraschend mit Flüchen überzogen, so sprachlos, dass er die Szene verließ.

Das Vertrauen der Bangkoker in Thaksin war schon so erschüttert, dass große Teile der Einwohner glaubten, ein vereitelter Bombenanschlag auf Thaksin sei gar kein echter Anschlag gewesen, sondern von Thaksin selbst fingiert, um seine Popularität zu steigern. Am 24. August wurde ein verdächtiger Wagen auf der geplanten Route von Thaksins Autokorso von der Polizei angehalten. Die Polizisten entdeckten im Kofferraum eine Bombe, die unter den Augen von Hunderten Zuschauern und den Medien entschärft wurde. Thaksin machte Teile der Armee als die Schuldigen aus.

Diese offene Konfrontation mit der Armee wird von Beobachtern als Thaksins letzter Fehler gewertet. Es zeichneten sich jedoch noch mehr Spannungen ab zwischen dem Premier und der Militärführung, vor allem in der Frage, wie mit den täglichen Anschlägen der Muslim-Separatisten in den drei südlichen Provinzen Yala, Patthani und Narathiwat umgegangen werden sollte.

Sondhi Boonyaratglin, mittlerweile Führer der Junta, ist selbst auch Muslim und wurde auch aus diesem Grund vom ehemaligen Premierminister und jetziger Vorsitzender des Kronrates, Prem Tinsulonanda, als Armeechef im Jahr 2005 durchgesetzt. Sondhis Hauptaufgabe sollten die Unruhen im tiefen Süden Thailands sein. Und da stieß er schnell mit Thaksin zusammen. Während der Premier sich in dieser Frage als Falke gerierte und nur von den „Banditen im Süden“ sprach, wollte der Armeechef auf Verhandlungen setzen, vor allem nachdem einen Tag nach dem vereitelten Anschlag auf Thaksin in 22 Bankfilialen in Yala zeitgleich Sprengsätze hochgingen

Volksfest mit Panzern

Nun bin ich endlich am Demokratiedenkmal angekommen. Und tatsächlich zeigt hier die Armee in der Tat noch Präsenz. Alle paar Meter stehen ein paar vereinzelte Soldaten mit Sturmgewehr an der Seite. Zwischen den vielen Passanten, die wie sonst auch jeden Tag vorbeilaufen, fallen sie zunächst nicht auf. Die Panzer aus dem Fernsehen sind schon abgezogen. Die Stimmung ist auf eine ganz eigenartige Art und Weise entspannt, fast schon wie auf einem Volksfest. Ich komme an einer Nudelküche vorbei, wo ein Soldat eine Portion Reisnudeln isst und mit den Nudelverkäuferinnen lachend Witze macht. Zwischendurch lässt er sich von und mit Passanten fotografieren.

Offensichtlich versucht die Armee, nur so viel Präsenz wie möglich zeigen und so sehr wie möglich alles normal erscheinen zu lassen. Im Moment hat für viele in Thailand der Putsch den gordischen Knoten des politischen Stillstands zerschlagen, der das Land seit fast einem Jahr gelähmt hatte. Am wichtigsten scheint für viele die simple Tatsache zu sein, dass das „Quadratgesicht“ - so Thaksins wenig schmeichelhafter Spitzname – endlich weg ist. Der Preis dafür ist vielen zunächst egal und die Stimmung rund ums Demokratiedenkmal ist fast schon wie auf dem Volksfest – nur eben mit Panzern.

Ein Wagen der Bangkoker Hochbahn BTS Skytrain mit Werbung für die Demokratische Partei. Man sieht die blaue Parteifarbe, das Logo und den Parteivorsitzenden Abhisit Vejjajiva. Foto: T. Kozlowski

Doch nicht alle sind bereit, Thaksins Diktatur des Geldes gegen die Militärherrschaft einzutauschen, beispielsweise Giles Ungphakorn, ein bekannter Politikwissenschaftler der Chulalongkorn Universität in Bangkok. Es werden auch Sit-Ins von weniger als fünf Leuten organisiert, um das verhängte Versammlungsverbot zu umgehen. Auch eine Online-Petition an die Militärregierung, unterschiedliche politische Meinungen zu unterstützen, wurde eingerichtet.

Auf dem Rückweg in den Süden von Bangkok steige ich an der Taksin-Brücke aus, die mit dem Premierminister nichts zu tun hat, sondern mit dem General Taksin, der nach 1767 die burmesischen Besatzer aus dem damaligen Siam vertrieb. An der dortigen Station der Hochbahn steht ein Waggon mit Wahlwerbung von der Demokratischen Partei. Werbung für politische Parteien ist im Moment untersagt, deshalb darf der Wagen, nicht fahren sondern steht für alle sichtbar auf dem Abstellgleis.