Stelldichein beim Papst

Sala Regia. Foto: US-Außenministerium/Gemeinfrei

Karlspreisverleihung 2016: Franziskus beschwört Gespenster und pflückt Redeblumen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das hoffungslos uneinige Europa sucht Zuflucht ausgerechnet beim Papst: Der hielt jetzt in seinem Prachtbau in Rom vor okzidentalen Abgesandten die Dankesrede für den Internationalen Karlspreis, den das für die Verleihung zuständige Aachener Direktorium ihm unbedingt zuerkennen wollte - "eine der wichtigsten europäischen Auszeichnungen", wie es im Vorfeld hieß. Franziskus ist der zweite Pontifex, der die begehrte Trophäe gewinnt, der erste war Karol Wojtyla.

Am Freitag nun hockte Europa in schöner Manier mit einer geballten Führungsriege in der Sala Regia, einem besonders prächtigen Saal des Apostolischen Palastes, und ließ sich artig die Leviten lesen. Das klingt dann so:

Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten? Was ist mit dir los, Europa, du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten?

In der offiziellen Aachener Begründung für den Preisträger war die Rede von Franziskus als von einem Mann "vom anderen Ende der Welt", der - so im Wortlaut - "Millionen Europäern Orientierung dafür gibt, was die Europäische Union im Innersten zusammenhält". Nun, was hält denn die EU im Innersten zusammen?

Gespenster und Redeblumen

Offenbar sind es hohle Attitüden. "Solidarität der Tat", das klingt nach Schumann. Der Heilige Vater beschwört in seiner Dankesrede aber gern die Gründerväter ("Herolde des Friedens und Propheten der Zukunft"), hervor kommt auch Konrad Adenauer, offenbar ein bewundertes CDU-Gespenst im Vatikan. Dann: "Kultur des Dialogs". Das hat man irgendwie auch schon mal gehört. Danach ein wohlklingendes Ideal, das liebt der Pontifex, er nennt es hier passend einen "neuen europäischen Humanismus". Das klingt auch sehr gut, bloß, fragt man sich, wo ist der alte Humanismus abgeblieben?

Was folgt, ist eine wundersame Vermehrung von Arbeitsplätzen, Wohnraum und Aussichten für die Jugend. Sicher, die Zeche zahlen wohl die andren (das blieb ungesagt), aber es gibt noch etwas Schönes für Angela Merkel, nämlich eine höchst wundersame Umtitulierung Europas von der "Großmutter" zur "Mutter", und das kam so: In seiner Rede vor dem Europaparlament im November 2014 hatte der Pontifex Europa mit einer ausgezehrten Frau verglichen - unfähig, Neues hervorzubringen. Er sprach unter anderem von "einer Großmutter", die "nicht mehr fruchtbar und dynamisch" sei.

Papst bekam Anruf von Merkel

Das rief die deutsche Kanzlerin auf den Plan. Kurz nach seinem Auftritt vor dem EU-Parlament in jenem Herbst klingelte im Vatikan das Telefon, am Apparat eine "sehr erboste" Angela Merkel - so Franziskus im Interview mit der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" -, die von einem derart abgehalfterten Europa rein gar nichts wusste.

Und vor allem auch nichts wissen wollte. Man einigte sich auf einen Kompromiss, nämlich dass "Europa starke und tiefe Wurzeln" habe, die Rede war außerdem von "unerwartete(n) Ressourcen" der Großmutter, sprich: Europas.

Wundersame Wandlung: Von Oma zur Mama

Nun die überraschende Kehrtwende: Europa darf wieder Mutter sein! Der Papst rückt ab von der verdorrten Großmutter, jetzt erkennt er ein Europa, "das zu einer Mutter wird, die Prozesse hervorbringt", sieht sich selbst gar:

… als Sohn, der in der Mutter Europa seine Lebens- und Glaubenswurzeln hat …

Merkel war zuvor von Franziskus zu einer Privataudienz empfangen worden: Alles in Butter!

Nachschlag: Anlässlich dieser Karlspreis-Rede von Franziskus würdigt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker umgehend die Solidarität und Nächstenliebe, die der Papst persönlich vorlebe, und es kommt noch artiger: Wenn - so wie geschehen - Franziskus nach seiner Reise auf die Insel Lesbos zwölf Flüchtlinge im Vatikan aufnehme, dann mache er Europa "frischen und neuen Mut".