Stille-Post-Journalismus und Medusenhaupt-Effekt

Die Berichterstattung um ein angeblich vom Blogger Perez Hilton veröffentlichtes kinderpornografisches Foto zeigt, wie problematisch digitale Besitzverbote sind

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Miley Cyrus ist ein Produkt der Unterhaltungsindustrie - eine Siebzehnjährige, mit der viel Geld verdient wird. "Perez Hilton" ist ein schwuler Blogger, der mit bürgerlichem Namen Mario Lavandeira heißt und sich mit den Produkten dieser Unterhaltungsindustrie beschäftigt: den Prominenten. Nicht unbedingt immer in deren Sinne - aber oft unterhaltsam. Dazu verfremdet er häufig Fotos auf eine Weise, wie man sie aus der Kunst der 1920er und 1930er oder aus den Punk-Fanzines der 1970er kennt.

In der letzten Woche twitterte Hilton einen Link auf ein Foto von Miley Cyrus, das ein anderes Medium von einer Fotoagentur erworben und ins Web eingestellt hatte. Auf dem Foto steigt die Sängerin in einem sehr kurzen Rock aus einem Auto aus. Der Link war offenbar als Kommentar dazu gemeint, wie "alternde" Teenagerstars sich im US-Unterhaltungsbetrieb Aufmerksamkeit sichern und spielte auf die Tatsache an, dass Miley Cyrus - ganz ähnlich wie Britney Spears im letzten Jahrzehnt - nach einer Phase der Vermarktung von "Unschuld" auf den gezielten Einsatz von Sexualität als Verkaufsargument setzt. Die Bild-Zeitung titelte deshalb beispielsweise über eine ihrer Shows: "Geile Miley ludert weiter" (eine Überschrift, die man, nebenbei bemerkt, bald nicht mehr zitieren darf, wenn es nach dem Willen des Springer-Konzerns geht). Später konnte Britney Spears nämlich nur mehr dadurch Aufmerksamkeit erregen, dass sie sich beim Aussteigen aus einem Auto "zufällig" mit hochgeschobenem Kleid und ohne Höschen ablichten ließ.

Miley Cyrus. Foto: US Army.

Das Internetmagazin Salon nahm Hiltons Tweet zum Anlass, einen Artikel darüber zu bringen, wie rechtsstaatlich problematisch die amerikanischen Anti-Kinderpornografie-Gesetze sind. Dabei ließ es einen Anwalt zu Wort kommen, der erklärte, dass es - einerlei ob Miley Cyrus auf diesem Foto unter ihrem Minirock ein Höschen trägt oder nicht - nur eines ambitionierten Staatsanwaltes bedürfe, um jemanden für einen Link auf dieses Foto anzuklagen und nicht nur für potenziell 15 Jahre ins Gefängnis, sondern auch lebenslang in eine Sexualstraftäterdatei zu bringen. Selbst, so der Jurist, wenn solch ein Foto nur via Bildbereitung hergestellt wurde, drohe dem "Verbreiter" die gleiche Strafe. Salon schloss den Artikel mit dem Hinweis darauf, dass dies im vorliegenden Fall wahrscheinlich alleine deshalb nicht passieren werde, weil der Tweet von einer landesweit bekannten Figur stammt, dass man aber nicht vergessen dürfe, dass aufgrund dieses Gesetzes schon Teenager wegen selbst gemachter "Sexting"-Fotos angeklagt und Eltern beschuldigt wurden, weil sie Erinnerungsstücke an ihre Kinder in der Badewanne angefertigt hatten.

Die Meldung machte schnell die Runde und mutierte dabei in bemerkenswerter Weise: Aus dem Agenturfoto, auf das Hilton via Tweet verlinkt hatte, wurde eines, dass er in seinem Blog veröffentlichte und aus dem interpretationsfähigen "Upskirt Shot" machte man eine Photoshop-Montage, in der Hilton Cyrus ein fremdes nacktes Genital unterjubelte. Nachdem das Foto von der verlinkten Website entfernt wurde, hieß es, Hilton habe es gelöscht. Am Ende der journalistischen Stille-Post-Kette, in der Bild-Zeitung, machte man schließlich aus der Forderung von Kommentatoren, das FBI solle den Fall untersuchen, eine bereits begonnene Ermittlung.

Möglich war diese bemerkenswerte Mutation ins Unwahre vor allem deshalb, weil sich kaum jemand traute, sich auf die Suche nach dem ominösen Bild zu machen und selbst zu beurteilen, um was es sich handelt - was kein Wunder ist, wenn es Gerichte gibt, die bereits das bloße Betrachten von Bildern für strafbar erklären.

Perez Hilton. Foto: Public Domain.

Eine Ausnahme war Joy Behar, die den 32-jährigen "Gossip Gangster" in ihrer Show zwar mit den Falschmeldungen konfrontierte, ihm aber auch Gelegenheit zur Richtigstellung gab. Hilton betonte dabei nicht nur, dass er das Foto nicht manipulierte und lediglich einen Link darauf setzte. Er meinte auch, dass sich Miley Cyrus, die in fünf Monaten 18 Jahre alt wird, durchaus bewusst gewesen sein muss, dass bei einem öffentlichen Videodreh Fotografen anwesend waren, denen es nicht entgeht, wenn sie "in wenig damenhafter Weise" aus einem Auto aussteigt.

Zudem, so die Camp-Version von Louella Parsons, sehe man auf dem Foto keine Geschlechtsteile und er könne auch nichts dafür, "wenn Amerika eine sehr schmutzige Fantasie hat." Auf anderen Bildern aus dieser Reihe sehe man im Übrigen, dass Cyrus ein Höschen trägt. Der Vorwurf, dass es sich bei dem Bild von Miley Cyrus um Kinderpornografie handeln würde, ist nach Ansicht des Bloggers "eine Beleidigung von Kindern".

Miley Cyrus sieht die Sache offenbar vor allem aus einem geschäftlichen Blickwinkel: In der Radioshow von Ryan Seacrest meinte sie, Hilton sei ein "Idiot" und begründete dies damit, dass es "nicht lustig [ist], dass solche Dinge, die so negativ sind, kurz vor meinem Album veröffentlicht werden." Allerdings - und das dürfte auch Cyrus klar sein - hat der Skandal das Interesse an dem "Musikwerk" eher angefacht als gedämpft.