Stirbt die deutsche Ostseefischerei 2024 endgültig aus?

Kabeljau, etwa 70 Prozent rot gefärbt

Die deutsche Küstenfischerei an der Ostsee kämpft ums Überleben. Immer weniger Fischer können von den stark reduzierten Fangquoten leben.

In der westlichen Ostsee darf ab nächstem Jahr weniger Dorsch als Beifang gefischt werden. Die erlaubten Fangmengen für Hering in der zentralen Ostsee sollen jedoch bestehen bleiben. Beim Dorsch in der östlichen Ostsee waren die Fangmengen um rund 28 Prozent – von 595 auf 430 Tonnen reduziert. In der westlichen Ostsee soll sich die Beifangmenge von 340 auf 266 Tonnen für Dorsch (um 22 Prozent) reduzieren.

Beim Hering hingegen, für den seit mehreren Jahren ein Schleppnetzfangverbot gilt, sollen die Fangmengen bei 788 Tonnen unverändert bestehen bleiben, entschied der EU-Rat "Landwirtschaft und Fischerei". Bei der Sprotte sinkt die Fangmenge um rund dreißig Prozent auf 139.500 Tonnen. Für die Scholle beschloss der Rat, die Fangmenge vom Vorjahr von 11.313 Tonnen beizubehalten.

In den Verhandlungen habe man hart um die Zukunft der krisengeschüttelten Küstenfischer gekämpft und erreicht, dass ihre wirtschaftliche Grundlage erhalten bleibt, erklärt Cem Özdemir in einer Pressemitteilung vom 22. Oktober.

So setzte sich Deutschland erfolgreich dafür ein, dass die kleine Küstenfischerei beim westlichen Hering mit passiven Fanggeräten wie Stellnetzen und Reusen weiterhin in begrenztem Umfang erlaubt sei.

Diese Ausnahme für die kleine Küstenfischerei des westlichen Herings habe keine negativen Auswirkungen auf die Bestandserholung, betont der Bundeslandwirtschaftsminister. Auch der Lachs darf in der Freizeitfischerei wie im bisherigen Umfang befischt werden.

Nur in echten Schutzgebieten können sich Bestände erholen

Dieser Schritt reiche nicht aus, um die Erholung der Art zu sichern, kritisiert Greenpeace-Meeresexpertin Daniela von Schaper die Entscheidung des EU-Rates. Die Bestände seien so stark eingebrochen, dass sie sich trotz bereits gesenkter Fangquoten nicht regenerieren konnten.

In der zentralen Ostsee etwa werde sich die Fangmenge von Hering auf 83.881 Tonnen verdoppeln. Darin zeige sich, dass die EU-Minister die Biodiversitätskrise immer noch verkennen, erklärt die Greenpeace-Campaignerin. Wie eine aktuelle Studie zeigt, wurden die Bestände jahrelang im Durchschnitt um rund 30 Prozent überschätzt.

Angesichts dieser Fehlurteile müsse sich Agrarminister Özdemir dafür einsetzen, dass die Fangmengen strikt nach dem Vorsorgeprinzip festgelegt und Schutzgebiete endlich vollständig von der Fischerei befreit werden, fordert Greenpeace. Nur so kann ein Kollaps des empfindlichen Nahrungsnetzes verhindert werden. Die Ostsee drohe zu einem Friedhof für einst reiche Fischbestände zu verkommen, wenn der EU-Rat nicht bald handelt.

Erholung der Sprotten wird für kurzfristige hohe Erträge geopfert

Vor rund 30 Jahren waren noch Fangmengen von 50.000 Tonnen möglich. Mit der Erwärmung der Ostsee brachen allerdings die Bestände zusammen. In der zentralen Ostsee dürfe der Futterfisch Sprotte trotz Quotensenkung weiterhin viel zu stark befischt werden.

Dies werde den Niedergang des Bestandes nicht stoppen, kritisiert Philipp Kanstinger, Fischereiexperte beim WWF Deutschland. Seit Jahrzehnten steht der Bestand am Rande des Kollapses. Man hätte den guten Nachwuchsjahrgang nutzen sollen, um den Bestand zu regenerieren. Statt einzelne Arten und Bestände getrennt voneinander zu betrachten und zu bewirtschaften, müsse das Ökosystem als Ganzes in den Blick genommen werden.

Schwindender Dorsch: höhere Temperaturen verkürzen Überlebensfenster

Der Bestand des Dorsches in der westlichen Ostsee befinde sich in einem sehr schlechten Zustand, heißt es bereits in einem vor einem Jahr veröffentlichten Bericht der Leitbildkommission zur Zukunft der Ostseefischerei. Anders als beim westlichen Hering werde sich der Dorsch-Bestand wohl nicht kurzfristig erholen. Dafür brauche es viel Zeit, ein vorsichtiges Fischereimanagement mit besseren Kontrollen und vor allem weniger Nährstoffeinträge.

Denn Temperaturveränderungen und Überdüngung verändern das Ökosystem. Gerade der westliche Teil der Ostsee, der von deutschen Fischern hauptsächlich befahren wird, ist stark mit Nährstoffen aus der Landwirtschaft belastet, die das Algenwachstum fördern. Die Algen aber entziehen der Ostsee Sauerstoff.

Und bei höheren Temperaturen verkürzt sich für die Larven des Dorsches das Zeitfenster, in dem die Larven zu einer externen Ernährung übergehen. Nur vereinzelt fänden sich noch starke Jahrgänge, die jedoch effektiv geschützt werden müssen, um zur Erholung und Sicherung des Bestandes beizutragen.

Der Scholle geht es noch relativ gut

Im Gegensatz dazu freut sich der Plattfisch in der westlichen Ostsee über ausreichend gesunden Nachwuchs. Dies könne daran liegen, dass der Dorsch als wichtiger Prädator ausfällt, mutmaßen die Fischereiexperten der Leitbildkommission. Allerdings werden die Plattfische seit einigen Jahren immer dünner, sodass sich die Anzahl der für den menschlichen Verzehr geeigneten Tiere verringert.

Mögliche Ursachen dafür sehen die Autoren in der erheblichen Nahrungskonkurrenz und im eingeschränkten Lebensraum infolge der Erwärmung des Oberflächenwassers sowie Sauerstoffarmut der tieferen Schichten.

Nicht-heimische Arten werden bedeutender

Während einige Arten durch den Klimawandel beeinträchtigt seien, wirke sich dieser auf andere – wärmeadaptierte – Arten wie Sprotte und Hornhecht in der westlichen Ostsee voraussichtlich positiv aus.

Nicht-heimische Arten wie Dicklippige Meeräsche oder Schwarzmundgrundel, die widerstandsfähig gegenüber klimabedingten Veränderungen sind, haben sogar das Potenzial, zukünftig in der Küstenfischerei an Bedeutung zu gewinnen, schreiben die Autoren. Allerdings werden diese nicht ansatzweise den Verlust der früheren Fischereimöglichkeiten ausgleichen können.

Kritik von der anderen Seite: Kürzungen sind nur Symbolpolitik

Angesichts der drastischen Kürzungen in den vergangenen Jahren hält der Rostocker Fischereibiologe Christopher Zimmermann eine weitere Reduzierung der Fangmengen nicht für sinnvoll. Dies habe keinen positiven Effekt mehr, glaubt der Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei. Bislang durften die passive kleine Küstenfischerei mit Kuttern noch gezielt bis zu zwölf Metern Länge Hering fangen.

Ein Verbot würde das Ende der Küstenfischerei zumindest in Mecklenburg-Vorpommern deutlich beschleunigen. Die vorgeschlagenen Verschärfungen würden den Fischbeständen nicht helfen, sondern hätten nur den Effekt, dass der massiv angeschlagenen Küstenfischerei auch die letzten verbliebenen Einkünfte verloren gehen, kritisiert der mecklenburgische Agrarminister Till Backhaus (SPD).

Zielführender seien Maßnahmen, die die Laichhabitate verbessern, Nährstoffeinträge vermindern sowie das Management optimieren.

Kleine Fischer geben auf, verarbeitende Betriebe schließen

In Mecklenburg-Vorpommern gab es Ende 2023 nur noch 154 Haupterwerbsfischer und 134 Betriebe im Nebenerwerb. 2010 waren es noch mehr als 300 Fischer im Haupterwerb. An Land brechen die Verarbeitungsstrukturen allmählich zusammen. So verarbeitet die Euro-Baltic Fischverarbeitungs GmbH mit Standort in Sassnitz auf Rügen seit Mai 2024 keinen Fisch mehr.

Zu Hochzeiten war in der Fabrik jährlich bis zu 50.000 Tonnen frisch gefangener Hering angeliefert worden. Bereits 2022 stellte das Unternehmen als letztes in Deutschland die industrielle Erstverarbeitung frisch gefangenen Herings ein. Als Gründe dafür wurden die aufgrund strenger Fangbeschränkungen eingebrochene Fischerei genannt, aber auch die wegen des Brexits verringerten Fänge von Nordsee-Hering.

Polnische Fischer können vom Fischfang besser leben

Sebastian Kopp fischt seit zwölf Jahren im Stettiner Haff. Anfangs fuhr er weit auf die Ostsee hinaus, um Heringe zu fangen. Die jährliche Fangmenge von 30 Tonnen deckte jahrelang alle Kosten. Doch dann fing er immer weniger. Mit einer Quote von nur 400 Kilogramm Hering musste er den Kutter schließlich verkaufen.

Anders ergeht es dem polnischen Fischer Andrzej Patryjas, der direkt hinter der deutsch-polnischen Grenze auf der Insel Karsibór fischt und zehn Angestellte beschäftigt.

Obwohl die gleichen Auflagen wie in Deutschland gelten, lohnt sich für ihn die Fischerei – noch. In Deutschland sei der Fisch zu billig, glaubt er. In Polen würden die Händler teils das Doppelte für Fisch bezahlen. Aber auch er fängt immer weniger Fische: Waren es früher oft 70 bis 80 Tonnen pro Jahr, sind es nur noch etwa 20 Tonnen.

Fischer als "Förster der Meere"?

Viele der noch aktiven Fischer an der deutschen Ostsee eröffneten Hofläden mit Gastronomie und versuchen den Fisch selbst zu vermarkten, um über die Runden zu kommen. Wie können die Fischerhäfen mit Kuttern und Fanggeschirr bewahrt werden und Fischer trotz allem eine Zukunft haben?

In dem Programm Sea-Ranger werden derzeit elf Fischer in Sassnitz ausgebildet, die entlang der Küste Geisternetze beseitigen, Seegraswiesen aufforsten und Wasserproben für die Forschung sammeln. Während sie diese Aufgaben erledigen, können sich die Fischbestände erholen.

Welcher Fisch ist noch zu empfehlen?

Auf Fischarten, die vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet sind, sollte man verzichten: wie viele Rochen-Arten, Aal oder der auf der Speisekarte als Schillerlocke verkaufte Dornhai. Tabu sind alle Hai-Arten sowie der Granatbarsch, weil diese sich nur langsam fortpflanzen und wenige Nachkommen bekommen.

Verzichten sollte man auch auf Arten, die mit Grundschleppnetzen gefangen werden – wie der Wittling – weil diese den Ozeanboden regelrecht umpflügen und ganze Lebensräume am Meeresgrund zerstören. Zurückhaltung ist auch geboten bei Hering oder Dorsch (Kabeljau), wenn sie aus überfischten Regionen in der Nord- und Ostsee stammen.

Auch die Nordseegarnele, die gerne auf Brötchen, in Salat oder Suppe an der Nordseeküste gegessen wird, ist laut WWF nicht bedenkenlos zu empfehlen. Denn bei der engmaschigen Krabbenfischerei landen auch viele kleinere Fische wie Rochen und kleine Haie als Beifang im Netz.

Kaum Auswirkungen auf die marine Umwelt habe die Zucht von Karpfen, Pangasius, Tilapia sowie Afrikanischem bzw. Europäischer Wels in geschlossenen Anlagen. Für sie gibt der WWF Fischratgeber grünes Licht.