"Stoppt den Krieg": Israeli, der Eltern bei Hamas-Angriff verlor, verlangt Waffenstillstand

Maoz Inon, daneben seine Eltern Hilha und Yakovi Inon, die bei der Hamas-Attacke getötet wurden. Bild: Screenshot Democracy Now

Die USA und EU weigern sich weiter, von Israel einen Bombenstopp zu fordern. 100.000 protestierten dafür in London. Warum auch Maoz Inon das fordert.

Maoz Inon hat seine beiden Eltern Bilha und Yakovi Inon bei dem Überraschungsangriff der Hamas am 7. Oktober verloren, bei dem über 1.300 Menschen in Israel getötet wurden. Maoz ist ein israelischer Friedensaktivist der Bewegung Standing Together, die ein Ende des Krieges fordert. Seine Eltern lebten in einem Kibbuz, einem landwirtschaftlichen Kollektiv, nördlich der Grenze zum Gazastreifen. Sie waren 78 und 76 Jahre alt.

Das Interview führte Amy Goodman von Democracy Now.

Maoz, unser herzliches Beileid zum Verlust Ihrer Eltern.
Maoz Inon: Vielen Dank, Amy.
Sprechen Sie über ihre Eltern und darüber, was Sie jetzt fordern? Denn so oft hören wir, dass die israelische Regierung die Tötung, diese Massentötung von Israelis, über 1.300 Getötete – und es ist nicht klar, aber zwischen 200 und 250 werden jetzt als Geiseln in Gaza gehalten – als Begründung für eine Bodeninvasion und die Bombardierung von Gaza benutzt.
Maoz Inon: Ich bin überwältigt von dem, was meiner Familie und mir, meiner Gemeinde und meinen Klassenkameraden, Freunden in unserer Gemeinde und den israelischen Gemeinden rund um Gaza passiert ist. Nichts hat mich auf diesen Moment vorbereitet, um mit Ihnen über meine Tragödie zu sprechen.
Ich wünschte, ich würde mit Ihnen über die Initiativen sprechen, die Friedens- und Gemeinschaftsinitiativen, an denen ich in den letzten zwanzig Jahren teilgenommen habe. Und ehrlich gesagt bin ich überwältigt von all dem, was passiert ist.
Meine Eltern waren liebevolle Menschen und ein großartiges Paar, das von ihren Kollegen, ihren Freunden, ihrer Gemeinschaft und natürlich von uns, meinen fünf Geschwistern und den elf Enkelkindern, verehrt und bewundert wurde. Sie wollten niemanden verletzen.
Sie wollten sich mit niemandem streiten. Wir haben eine enge, sehr enge Beziehung – wir nennen es sogar eine familiäre Beziehung – zu den Beduinen im Negev. Ich habe viele Freunde, Kollegen, Partner in Palästina, in Jordanien, in Ägypten. Und was jetzt passiert, ist einfach verheerend. Es ist einfach niederschmetternd.
Und als ich Ihnen und Ihren Gästen zuhörte, musste ich wieder weinen. Ich habe wieder geweint wegen des Begriffs, den alle benutzen, nämlich "das Team der anderen Seite". Es ist eine Art Schuldzuweisung – wer hat angefangen, wer hat die Rakete abgeschossen, wie viele Opfer gibt es auf jeder Seite.
Es ist einfach schockierend. Und wir benutzen dieselben Begriffe, die wir schon seit einem Jahrhundert benutzen, seit einem Jahrhundert des blutigen Kreislaufs zwischen Israelis und Palästinensern.
Mein Schrei besteht darin, diesen Kreislauf zu stoppen, den Kreislauf des Blutvergießens zu stoppen, den Zirkel des Krieges zu stoppen. Und ich weine.
Vor ein paar Tagen wurde ich von der BBC interviewt. Ich sagte, dass ich nicht um meine Eltern weine, sondern um diejenigen, die in diesem Krieg ihr Leben verlieren werden. Aber mein Weinen hat vielen Menschen, Hunderten von Menschen, nicht geholfen.
Ich weine jetzt wieder mit Ihnen. Ich weine mit allen, die zuschauen und zuhören. Wir brauchen Euch, um mit uns zu weinen. Geben Sie niemandem die Schuld.
Ich und meine Familie, wir wollen keine Rache. Wir wollen keine Rache. Wir wollen nur Frieden. Wir streben nach Hoffnung. Wir müssen die Begrifflichkeiten, die wir verwenden, in eine positive Terminologie ändern, für Versöhnung, für gegenseitige Anerkennung, für Partnerschaft und für Frieden.
Ich weine und ich flehe Sie an. Es geht nicht darum, irgendjemandem die Schuld zu geben, sondern darum, den Krieg zu beenden und eine andere Zukunft aufzubauen, den blutigen Kreislauf zu durchbrechen, das Töten zu beenden und eine neue Zukunft mit Hoffnung aufzubauen.

Natürlich bin ich gegen die Besatzung

Ich bin kein Gelehrter. Ich bin kein Wortführer. Ich bin kein Politiker. Ich bin ein normaler Mensch. Ich arbeite sehr hart für meinen Lebensunterhalt. Ich ziehe meine drei wunderbaren Kinder auf. Ich bin mit einer wunderbaren und bemerkenswerten Frau verheiratet.
Ich hätte nie gedacht, dass so etwas jemandem wie mir passieren könnte. Man hört es vielleicht in der Ukraine. Man hört es in Afrika. Man hört es an weit entfernten Orten. Diese Katastrophe hat nun mich erreicht. Ich bin sehr emotional, entschuldigen Sie.
Noch einmal, Beileid an Sie, an Ihre Familie. Für heute ist ein Massenprotest in Washington D.C. geplant, der von Gruppen wie Jewish Voice for Peace angeführt wird. Zwei Dutzend Rabbiner wollen an einem zivilen Ungehorsam teilnehmen. Sie fordern ein Ende der Besatzung. Sehen Sie das auch so?
Maoz Inon: Natürlich, aber wir sind in einem Risiko. Wenn wir jetzt dazu aufrufen, dieses oder jenes zu tun, kehren wir zu der Terminologie zurück – wir verwenden dieselbe Begrifflichkeit, die uns in diese Situation gebracht hat. Lasst uns zum Frieden aufrufen.
Lasst uns zur Hoffnung aufrufen. Lasst uns zu einem vollständigen Waffenstillstand aufrufen. Lasst uns dazu aufrufen, Brücken zu bauen.
Natürlich bin ich gegen die Besatzung. Aber das ist im Moment irrelevant. Es könnte – ich fürchte, es wird viele, viele weitere Opfer geben. Wir alle sollten uns jetzt darauf konzentrieren, den Krieg zu beenden. Das ist eine ganz einfache Botschaft. Und wir müssen sie verkünden. Wir müssen unsere Botschaft zu jedem schreien, der ein Herz hat und zuhören kann.
Ich möchte Sie fragen, Maoz, ob es Menschen gibt, israelische Familien, die vor dem israelischen Militärhauptquartier in Tel Aviv stehen, deren Familien als Geiseln genommen wurden, also Mutter, Vater, Tochter, Sohn. Sie sind dort und sagen dasselbe. Wir sehen sie oft in den Medien, wie sie den Schrecken dessen beschreiben, was ihren Angehörigen zugestoßen ist, aber die Medien gehen nicht darauf ein, was sie fordern. Was fordern Sie jetzt von Premierminister Netanjahu, wenn Sie von der Beendigung des Krieges sprechen?
Maoz Inon:Ich weine und flehe, nicht zu Benjamin Netanjahu, nicht zu Führern der Hamas, nicht zu Präsident Biden. Ich weine für die Menschheit, für die gesamte Menschheit, für die gesamte Menschheit. Ich weine, um den Krieg zu beenden.
Ich weine um einen sofortigen Waffenstillstand. Und ich weine um Hoffnung, Hoffnung, die uns aus diesem blutigen Kreislauf in eine neue und strahlende Zukunft führen wird. Wir müssen Hoffnung aufbauen.
Wir müssen eine Zukunft aufbauen. Und diese Zukunft muss auf Gleichheit, auf Partnerschaft und auf Frieden beruhen. Und das ist es, worum ich flehe. Es geht nicht darum, diese oder jene Person zu beschuldigen. Sie sind nicht mehr wichtig. Wir müssen ein neues System aufbauen.
Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Democracy Now. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.