Straftaten mit NSU-Bezug: Fanclub oder Reste eines Netzwerks?
Die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrund" faszinieren die rechte Szene bis heute – auch wenn manche dort leugnen, dass es ihn in dieser Form gab. Das Kürzel wird gerne verwendet, um die Schockwirkung von Drohungen und Anschlägen zu unterstreichen.
Mit zehn Morden und drei Sprengstoffanschlägen mit insgesamt Dutzenden Verletzten, die dem "Nationalsozialistischen Untergrund" klar zugeordnet werden konnten, war der NSU für große Teile der neofaschistischen Szene so etwas wie der Porsche unter ihren bewaffneten Gruppen.
Obwohl es auch Versuche von Ultrarechten gab, ihn als Fake vor allem ausländischer Geheimdienste und mafioser Strukturen darzustellen, werden es andere nicht müde, sich zustimmend auf ihn zu beziehen und das Kürzel NSU einzusetzen, um Drohungen zu unterstreichen – wie im Fall der "NSU 2.0"-Schreiben.
Allein in den letzten beiden Jahren haben die Behörden bundesweit 147 rechts motivierte Straftaten mit Bezug auf das rechtsterroristische Netzwerk NSU registriert. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner (Die Linke) hervor.
Anlass für die Anfrage war ein Brandanschlag auf das Büro der Bundesfamilienministerin Lisa Paus In der Nacht zum 17. August 2022, nach dem Ermittler in unmittelbarer Nähe zum Tatort den Schriftzug "NSU" auf einer Baustellenabsicherung gefunden hatten.
13 Fälle angeblich "nicht zuzuordnen"
Insgesamt wurden laut Antwort der Bundesregierung aber nicht nur Straftaten erfasst, bei denen sich die Verantwortlichen positiv auf den NSU bezogen – die Rede ist von "228 Fällen aus allen Phänomenbereichen der Politisch motivierten Kriminalität", in denen sich Personen in irgendeiner Form "auf den 'NSU' bezogen". Darunter 67 Fälle, die dem Phänomenbereich "PMK-links" zugeordnet wurden und 13, die unter "PMK-nicht zuzuordnen" aufgelistet wurden.
Allerdings entfielen in diesem Zusammenhang Verstöße gegen das Waffengesetz und schwere Brandstiftung ausschließlich auf den Phänomenbereich "PMK-rechts", während Sachbeschädigungen mit NSU-Bezug zum Teil auch Linken zugeordnet wurden.
Um die Jahrtausendwende soll das mutmaßliche NSU-Kerntrio aus Jena die terroristische Vereinigung gegründet haben, die ab dem Jahr 2000 Kleingewerbetreibende mit Migrationshintergrund ermordete und erst Ende 2011 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde – viereinhalb Jahre nach dem versuchten Doppelmord an zwei Polizeibeamten in Heilbronn, den Michèle Kiesewetter im April 2007 nicht überlebte.
Radikalisierung unter den Augen des Verfassungsschutzes
Mehr als 13 Jahre lang hatten die drei "Bombenbastler" Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unbehelligt im Untergrund gelebt, seit sie Anfang 1998 untergetaucht waren. Zuvor hatten sie sich jahrelang im "Thüringer Heimatschutz" (THS) radikalisiert.
Pikanterweise wurde diese Gruppierung damals von einem V-Mann des Landesamts für Verfassungsschutz angeführt, der allerdings noch Jahre später vor Gericht als überzeugter Neonazi mit taktischem Verhältnis zu den Behörden auftrat. Er war nicht der einzige seiner Art – etwa jeder vierte THS-Aktivist soll nach Berechnungen der Untersuchungsausschüsse von Bund und Ländern V-Person deutscher Sicherheitsbehörden gewesen sein.
Nach der Aufdeckung der Gruppe im November 2011 wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz vorsätzlich Akten über V-Personen aus der Thüringer Neonaziszene vernichtet.
Obwohl die Bundesanwaltschaft lange Zeit nur von drei Vollmitgliedern des NSU ausgehen wollte, stellte sie die Ermittlungen gegen fünf Verdächtige aus dem Umfeld der Gruppe erst in diesem Jahr ein – vier Jahre nach Ende des Münchner NSU-Prozesses, in dem Beate Zschäpe als einzige der fünf Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Die vier mitangeklagten Männer galten nur als Unterstützer des NSU und sind bereits wieder auf freiem Fuß. Mundlos und Böhnhardt waren nach ihrem mutmaßlichen Selbstmord als ausführende Haupttäter identifiziert worden.
"Führerloser Widerstand"
Nebenklagevertreter im NSU-Prozess gingen von einem wesentlich größeren Netzwerk aus und zweifelten am Aufklärungswillen der Bundesanwaltschaft, die sich gegen einen Großteil der Beweisanträge stellte und Zeugen aus der rechten Szene sowie den Geheimdiensten zu viele offensichtliche Schutzbehauptungen durchgehen ließ.
Die inzwischen verstorbene Nebenklageanwältin Angelika Lex ging beim NSU-Prozessauftakt 2013 davon aus, dass "nicht fünf, sondern 50 oder noch besser 500 Personen" auf die Anklagebank gehörten, die "alle mitverantwortlich" seien.
Vor diesem Hintergrund stellt sich heute bei Straftaten mit NSU-Bezug immer die Frage, ob es sich bei den Tätern um Fans und Trittbrettfahrer handelt – oder ob es reale personelle Bezüge zum ursprünglichen Netzwerk gibt. Die Strategie des "führerlosen Widerstands" kann in manchen Fällen die Unterscheidung erschweren.