Strafverschärfung für Gewalt gegen Polizisten: nächster Versuch

Seite 2: Nach der Strafverschärfung ist vor der Strafverschärfung

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Nach der Strafverschärfung ist vor der Strafverschärfung, lautet offenbar die Devise und so bleibt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in der Sache weiter am Ball - war sie doch an der Skepsis der Parlamentarier im Deutschen Bundestag zunächst mit ihrem Anliegen gescheitert, den Widerstandsparagrafen gleich gänzlich vom Vorliegen einer Vollstreckungshandlung abzukoppeln.

Die Polizeigewerkschafter fordern einen "§ 115" im Strafgesetzbuch, der ganz unabhängig von einer rechtmäßigen Amtshandlung gleich jede Art von Tätlichkeit gegenüber Menschen im Polizeiberuf in egal welcher Situation unter Strafe stellen soll.

Ein vermutlich unfreiwilliges Bonmot liegt in dem Umstand begründet, dass es sich hier um den ehemaligen Aufruhrparagrafen handelt, der nach Streichung im Strafgesetzbuch für eine Wiederbelebung mit Inhalten nicht einfach nur schlicht frei ist, sondern offenbar auch der Sache nach gefällt - geht es in der Forderung einer Sonderstrafnorm für Polizisten doch vor allem gegen das vermeintlich Aufständische und Aufrührerische in Bürgern, gegen das Hinterfragen von Autoritäten und gegen all die anderen Erschwernisse, wie sie sich im Sinne von Vielfalt in einer pluralen Gesellschaft und im Emanzipationsverständnis aufgeklärter Bürger auch im Aufgabenvollzug der Polizei nun einmal zeigen. Gut wäre, wenn Polizisten damit umgehen könnten, anstatt darüber fortlaufend Klage zu führen.

Der entgrenzte Gewaltbegriff

Dieses Klagen liegt im Gewaltbegriff von Polizisten begründet. Einen schönen Einblick bietet hier eine Studie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel1: Beleidigen, bedrängen und Distanzunterschreitung hatte die Studie den Polizisten in ihren 2014 veröffentlichten Befragungsergebnissen genauso als Kategorien zur Schilderung erlebter Gewalt angeboten wie üble Nachrede, das Miterleben von Gewalt gegenüber Dritten, die Verleumdung oder gar foto- und videografiert zu werden.

Ein derart entgrenzter Gewaltbegriff führt naturgemäß schnell ins Uferlose und geradezu idealtypisch im Sinne symbolischer Kriminalpolitik folgte den Ergebnissen der Studie eine prominente Forderung nach Strafverschärfung. In diesem Fall war es mit Torsten Albig gleich der Ministerpräsident eines Landes, der im Angesicht des Schreckens eine härtere Bestrafung der Täter forderte.

"Dreimal pro Tag werden Polizisten im Norden statisch gesehen Opfer von Gewalttaten", hatte ihm die Studie offenbar die Augen geöffnet - was doch sehr schön zeigt, dass man sich auch mit weit geöffneten Augen durchaus im Blindflug befinden kann, denn die Studie misst gar keine Gewalt, sondern macht vielmehr problematische Einstellungen und einen aus dem Ruder laufenden Gewaltbegriff in den Reihen der Polizei offensichtlich.

Enorme Steigerung der Gewaltopfer im Polizeiberuf

Zum Beleg einer besorgniserregenden Gewaltentwicklung kann mittlerweile auch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) angeführt werden. Sie bildet seit Neustem eine enorme Steigerung der Gewaltopfer im Polizeiberuf ab. Der Taschenspielertrick geht in diesem Fall so: nach einer Änderung der bundeseinheitlichen Erfassungsrichtlinie zur PKS erfasst die Polizei das Merkmal "Opfer" seit dem Jahr 2012 auch für die von ihr höchstselbst zur Anzeige gebrachten Widerstandsdelikte.

Bis dahin erfolgte eine Opfererfassung in der PKS nur bei strafbaren Handlungen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung. Der Widerstand hingegen beruht in seinem Aufkommen auf der subjektiven Wahrnehmung von Polizisten und ist anhand der tatsächlichen Anzeigepraxis ein vergleichsweise häufiges Delikt. Hingegen ganz und gar nicht ist er ein Delikt, das sich gegen höchstpersönliche Rechtsgüter von Menschen im Polizeiberuf richtet.

Im Ergebnis dieser Neuinszenierung übten schon im Jahr der Einführung plötzlich 60.294 der 976.089 (einschl. Versuche) erfassten Opfer aller polizeilich im Bundesgebiet registrierten Straftaten den Polizeiberuf aus. Der avanciert so zum (statistisch) gefährlichsten Beruf überhaupt, was nun offenbar viel besser geeignet ist, Forderungen nach schärferen Gesetzen zu untermauern.

In Sachen Erkenntnisgewinn wäre gar nicht zu kritisieren, dass die Belastungssituation im Polizeiberuf erhoben und dabei auch nach den Erfahrungen mit Gewalt gefragt wird. So wird immerhin offensichtlich, dass Polizistinnen und Polizisten ihren Berufsalltag heute in hohem Maße in selbst konstruierten und weitreichend entgrenzten Kontexten von Gewalt als belastend erleben. Das ist eine enorm wichtige Erkenntnis und sie ist fraglos Anlass genug, damit konstruktiv umzugehen.