Strafverschärfung für Gewalt gegen Polizisten: nächster Versuch

Seite 3: Verschiebungen: Die "zwangsläufig" wehrhafte Staatsmacht

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Bekanntermaßen bestimmt die Bewertung einer Situation das Handeln von Menschen. Wird eine Situation für real erachtet, so erweist sich das immer in seinen Folgen als real. Wenn Polizisten sich in derart entgrenzter Weise als Opfer von Gewalt erleben, hat das Folgen für die Mentalitäten im Polizeiberuf, weil sich Werthaltungen, Einstellungsmuster und Selbstkonzepte in einer eskalationsfördernden Weise verschieben.

Gut sichtbar sind die Folgen in den Kräfteansätzen der Polizei und einer enormen Aufrüstung mit Waffen und Gerät, was sich immer deutlicher in Bildern einer "zwangsläufig" wehrhaften Staatsmacht ausdrückt. In der Anwendungspraxis zeigt sich das beispielhaft beim Pfefferspray, das neuerdings aus Literflaschen oder gar in noch größeren Gebinden zum Einsatz kommt, wobei immer häufiger selbst vollkommen unbeteiligte Bürger und nicht selten Polizisten selbst Opfer derart undifferenzierter Zwangsanwendungen werden.

Das wirft Fragen der Abgrenzung zulässiger Gewaltausübung zum Übermaß auf. Im unscharfen Grenzbereich von "noch richtig" zu "schon falsch" und in der Sache oftmals diffuser Geschehensverläufe mit entsprechend unklaren Beweislagen stößt eine formal juristische und isoliert an Fragen der Legalität orientierte Aufarbeitung erfahrungsgemäß schnell an Grenzen. Auch die viel zitierte Mauer des Schweigens in der Polizei oder eine Verdunkelung der Sache in Kontexten von Korpsgeist spielen hier eine Rolle.

Übermäßige Polizeigewalt ist insoweit keine Frage von Fallzahlen einer Strafjustiz. Sie bemisst sich vielmehr an der Art und Weise des polizeilichen Aufgabenvollzugs und den so kenntlich werdenden Orientierungen von Polizisten. Ob Polizisten im Alltag, im Demonstrationsgeschehen oder aus Anlass von Fußballspielen nun richtig oder falsch gehandelt haben, ist doch vor allem eine Frage von Legitimität und Akzeptanz polizeilicher Aktionen - und das gerade auch auf Seiten eines Gegenübers, das von der Polizei im Ergebnis ausufernder Gefahrenprognosen und mentaler Aufrüstung schnell als "Gefährder" wahrgenommen und vielfach ungerechtfertigt als "potenzieller Störer" eingestuft wird.

Die Auswüchse des New Public Managements tun ihr Übriges und haben gerade auch die Polizei voll erfasst. Fleißig generiert sie auf der Folie ausufernder Gefahrenprognosen immer neue Kennzahlen. Das sind oftmals nicht nur semantische Leerverkäufe in dem Bemühen, einen Beleg ihrer Leistungsfähigkeit abzuliefern.

Die Fehlerkultur der Polizei auf den Prüfstand stellen

Hier wird ein Aufgabenverständnis von Polizisten geprägt, das Bürger zuerst als Gegenstand polizeilicher Aktionen und gerade nicht als Träger von Ansprüchen wahrnimmt. Im Erfüllen von Kennzahlen werden dann massenhaft Ahndungs- und Überwachungsmaßnahmen angehäuft (etwa im sogenannten "Blitzermarathon"), die mit einer vorgeblichen Zielsetzung (etwa "Senkung schwerwiegender Verkehrsunfälle") bei genauerem Hinsehen kaum noch in Verbindung stehen. Überwachung gerät so zum Selbstzweck eines Managements, das vor allem die Darstellung einer vermeintlich guten Performace der Organisation im Schilde führt.

Es gelingt hingegen nicht, die Fehlerkultur der Polizei auf den Prüfstand zu stellen. Nicht selten begegnet uns im Alltag ein selbstgefällig erscheinender Habitus von Polizisten, die Widerspruch schnell als Autoritätsverlust erleben und allenthalben über einen Mangel an "Respekt vor der Uniform" klagen. Es fehlt an einer kritischen Positionsbestimmung im Berufsverständnis einer Bürgerpolizei, in der Polizistinnen und Polizisten ihre Uniform als Berufskleidung und gerade nicht als Devotionalie einer wie auf immer verstandenen Obrigkeit begreifen.

In gleicher Weise steckt der Fehler in den immer neuen Forderungen nach Strafverschärfung, mehr Befugnissen, mehr Ausstattung und effektiverer Bewaffnung. Die zunehmende Tendenz der Polizei, sich an Worst-Case-Szenarien zu orientieren, steht einer friedlichen Aufgabenbewältigung nicht erst neuerdings im Wege2.

Bürger sind nicht zuerst Adressaten polizeilicher Maßnahmen, sondern Träger von Ansprüchen gegenüber Polizisten in deren Funktion als Staatsdiener - und das beginnt mit dem Anspruch auf polizeifreie Räume in einer auf freiheitlichen Prinzipien gründenden Grundordnung. Eine Bürgerpolizei agiert offen und transparent. Sie hat ihre Befugnis zur Ausübung von Gewalt im Sinne der friedensstiftenden Funktion des staatlichen Gewaltmonopols immer als Ultima Ratio zu begreifen und gerade nicht als jeweils nächstes Mittel eines von Kennzahlen gesteuerten Aufgabenvollzugs.

In dieser Hinsicht gilt es, die Fehlerkultur der Polizei auf den Prüfstand zu stellen. Das hätte gerade auch Einfluss auf Situationen in denen Polizisten selbst Opfer von Gewalt werden. Eine weitere Strafverschärfung verharrt hingegen nur in gewohnter Symbolik. Dass gerade der niedersächsische Innenminister sich der Forderung nach Strafverschärfung anschließt ist besonders bedauerlich.

Die Entwicklung der Fehlerkultur der Polizei im Innenverhältnis ist fraglos eine ungleich schwierigere Aufgabe, die die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen im Sinne ihrer explizit erklärten politischen Zielsetzung, die Bürgerrechte auch in Fragen der Entwicklung der Polizei und des Polizeirechts nachhaltig zu stärken, denn nun endlich einmal angehen müsste.

Konkrete Schritte, etwa in der von ihr beabsichtigten individuelle Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten, sind hier bislang ausgeblieben. Forderungen nach Strafverschärfung sind dagegen schnell und leicht erhoben.

Hinweis der Redaktion: Der Autor ist als Polizeibeamter tätig.