Strategie: Schönreden und Banalisieren

Neue Enthüllungen über die Kölner Silvesternacht

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Die Silvesternacht von Köln, in der es zu massenhaften Angriffen auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof gekommen war, bringt NRW-Innenminister Ralf Jäger (55, SPD) in immer größere Erklärungsnot. Neuesten Nachrichten zufolge versuchte die ihm unterstellte Landespolizei am Neujahrstag, drängende Hinweise aus Köln einfach verschwinden zu lassen, darunter eine Vergewaltigungsmeldung. Das Innenministerium weist die Vorwürfe zurück.

Bahnhofsplatz in Köln. Bild: Raimond Spekking/CC-BY-SA-4.0

Köln, der erste Januartag 2016, es ist 13.21 Uhr. Im Düsseldorfer Innenministerium und seinen angeschlossenen Behörden geht eine "WE-Meldung" aus Köln ein. WE steht für "Wichtiges Ereignis". Die Mitteilung ist hochbrisant, im Betreff heißt es: "Vergewaltigung, Beleidigung auf sexueller Basis, Diebstahlsdelikte, Raubdelikte begangen durch größere ausländische Personengruppe". Dann folgen erschreckende Details:

Im Rahmen der Silvesterfeierlichkeiten kam es auf dem Bahnhofsvorplatz in der Innenstadt zu (…) Übergriffen zum Nachteil von jungen Frauen, begangen durch eine 40- bis 50-köpfige Personengruppe. Die Frauen wurden hierbei von der Personengruppe umzingelt, oberhalb der Bekleidung begrapscht, bestohlen und Schmuck wurde entrissen. In einem Fall wurden einem 19-jährigen deutschen Opfer Finger in die Körperöffnungen eingeführt. Die Tätergruppe wurde einheitlich von den Opfern als Nordafrikaner im Alter zwischen 17 und 28 Jahren beschrieben. Die Ermittlungen dauern an. Von weiteren Anzeigenerstattungen im Laufe des Tages ist auszugehen. Es wird nachberichtet.

WE-Meldung

Strategie: Vertuschung?

Das war möglicherweise zu viel für überforderte Landesbeamte. Wie der Kölner "Express" berichtet, rief ein Beamter der Landesleitstelle - sie ist Teil des Minister Jäger unterstellten Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD NRW) - nach Erhalt der Meldung bei den Kölnern mit der unglaublichen Bitte an, die Meldung zu "stornieren" bzw. den Begriff "Vergewaltigung" zu streichen.

Das Kölner Blatt beruft sich bei dieser Behauptung auf interne Polizeivermerke und E-Mails: Es habe geheißen, hinter der Bitte um Löschung der Mitteilung stehe "ein Wunsch aus dem Ministerium".

Ein Sprecher Jägers räumte lediglich "Abstimmungsgespräche" zwischen dem Landeskriminalamt und Köln ein, Gegenstand der Telefonate seien unter anderem die "Sachverhaltsdarstellung, die deliktische Einordnung der Straftatbestände, der Kräfteansatz der K-Wache und die polizeilichen Maßnahmen" gewesen. Jedoch habe das Ministerium am 1. Januar "keinen Auftrag zur Stornierung der WE-Meldung" erteilt. Eine begreifliche Stellungnahme, denn in der Tat - eine Anweisung aus NRW, möglicherweise noch dazu direkt aus der Landesregierung, zwecks Deckelung und Vertuschung brisanter Straftatbestände? Da könnte es für Ralf Jäger eng werden.

Kölner "Neujahr" - ein Start in Angst

Der "Express" legt aber noch nach: Bei einer Sondersitzung des Landtags Mitte Januar zu den Kölner Vorfällen habe Jäger die Passage gezielt ausgelassen, in der es um die harten Wahrheiten ging.

Zu diesen Wahrheiten gehören beunruhigende Beobachtungen wie die des jungen Syrers Basel Esa. Esa, ein Augenzeuge der Vorgänge auf dem Kölner Bahnhofsplatz, nennt die Übergriffe in der Silvesternacht "ekelerregend". Der 23-Jährige schildert im "Zeit"-Interview, wie betrunkene Männer sich einen Spaß daraus machten, "jungen Frauen an den Hintern zu fassen oder ihren Slip herunterzuziehen". Schreiende und weinende Mädchen seien umzingelt gewesen, als wären sie "die Beute einer Jagd". Die Polizei sei angesichts der alkoholisierten Menschenmassen schlicht überfordert gewesen. Das Kölner "Neujahr" wurde für viele Frauen ein Auftakt mit Angst und Schrecken.

Donnerstag dieser Woche beschäftigt sich der Innenausschuss des Landtags mit dem aktuellen Sachstand. Die Kölner "Ermittlungsgruppe Neujahr" hat bis Ende März 1.527 Straftaten mit 1.218 Opfern erfasst, etwa die Hälfte von ihnen wurde Opfer von Sexualdelikten, in 185 Fällen wurde gleichzeitig mit der Sexualstraftat auch ein Diebstahl angezeigt. Die bisher bekannten Details bestätigen die Annahme, dass es sich bei den Tätern überwiegend um ausländische Männer - zu zwei Dritteln aus Marokko oder Algerien - handelt. Viele der derzeit 153 Tatverdächtigen sind demnach Asylbewerber und Migranten mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus.