Streit um Hochwasserschutz: Aiwangers Flutpolder-Gate

Hubert Aiwanger und Tanja Schweiger: Welche Rolle spielte das Freie-Wähler-Paar beim Hochwasserschutz? Archivbild: Stefan Brending / Lizenz: Creative Commons CC-BY-SA-3.0 DE

Freie-Wähler-Chef versprach im Wahlkampf 2018, Hochwasser-Rückhalteareale zu verhindern. Betrieb er auch "Spezlwirtschaft"? Eine Rückschau.

Als "schlecht gealtert" wurde am Dienstagabend eine Bierzelt-Rede des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger kommentiert, die der Chef der Freien Wähler und sein Social-Media-Team 2018 ins Netz gestellt hatten: "Mit den Freien Wählern als Regierungspartner in München wird es keinen Flutpolder in Regensburg geben" sagt er in dem Video unter Applaus.

Evakuierung in Regensburg wegen Hochwassergefahr

Im Zuge des neuesten "Jahrhunderthochwassers" hat der Donaupegel in Regensburg Anfang der Woche einen kritischen Wert von mehr als sechs Metern erreicht, der nur langsam sinkt. In der Innenstadt mussten am Montagabend rund 200 Menschen aus dem Bereich Werftstraße evakuiert werden. Die Lage gilt noch immer als angespannt.

Die meisten Erwachsenen in der Stadt können sich an vergleichbare Ereignisse noch gut erinnern – deshalb steht unter anderem hier die Frage im Raum, ob die politisch Verantwortlichen genug getan haben, um die Folgen abzumildern – und falls nicht, wer es wenigstens versucht hat und wer die Quertreiber waren.

Flutkatastrophen und Donau-Pegelstände seit 2002

August 2002: Während einer Hochwasserkatastrophe, ausgelöst durch Starkregen, wird am Zusammenfluss des Regen mit der Donau in Regensburg ein Pegelstand von 6,63 registriert. Normal sind etwa drei Meter. Die erste Hochwasser-Meldestufe liegt bei vier Metern, die höchste bei 5,5 Metern.

Juni 2013: Während einer Hochwasserkatastrophe, ausgelöst durch Starkregen, erreicht die Donau in Regensburg einen Pegelstand von 6,82 Metern – der bis dahin höchste Wert seit 130 Jahren. Unter anderem wird die Werftstraße trotz Spundwänden überschwemmt.

Flutpolder gegen Hochwasser: Das torpedierte Schutzkonzept

Infolge der Katastrophe wird ein Schutzkonzept auf den Weg gebracht, das auch mehrere mögliche Standorte für Flutpolder entlang der Donau vorsieht.

Februar 2016: Im Landratsamt Regensburg unter Landrätin Tanja Schweiger (Freie Wähler) trifft sich ein "Runder Tisch" zum Thema Flutpolder und Hochwasserschutz allgemein. Schweiger ist die Lebenspartnerin von Hubert Aiwanger – und Gegnerin der Flutpolder.

September 2018: Im bayerischen Landtagswahlkampf verspricht Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, in Regierungsverantwortung einen "größenwahnsinnigen Flutpolder in Regensburg" zu verhindern.

Hochwasserschutz mit Kungelei verhindert?

November 2018: In den Koalitionsverhandlungen mit der CSU setzt Aiwanger durch, dass drei der vorgesehenen Flutpolder an der Donau nun nicht mehr gebaut werden. Zweierlei Auffälligkeiten stellt die Augsburger Allgemeine daraufhin fest:

Einer dieser gestrichenen Polder liegt bei Bertoldsheim im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. Dort war bis vor kurzem Roland Weigert Landrat – der Mann, der ab kommendem Montag wohl Aiwangers Staatssekretär im Wirtschaftsministerium ist.

Die beiden anderen gestrichenen Polder – Eltheim und Wörthhof – liegen im Landkreis Regensburg. Dort ist Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger für die Freien Wähler Landrätin. Das riecht nach politischem Gefallen.

Augsburger Allgemeine, 10. November 2018

Der Verdacht der "Spezlwirtschaft" kommt auf, gerät aber schnell wieder weitgehend in Vergessenheit.

Aiwanger verteidigt sich: Hätten Flutpolder hier nichts genützt?

Seit Anfang der Woche steht er situationsbedingt erneut in der Kritik – am Mittwoch verteidigte er sich gegenüber dem Bayerischen Rundfunk mit der Einschätzung, dass mehr Flutpolder in der aktuellen Hochwasserkrise vielleicht gar nicht geholfen hätten. Die Hauptschäden habe es an kleineren Flüssen vor der Donau gegeben, nicht an der Donau selbst, so Aiwanger.

Die Regensburger Werftstraße, deren Bewohner evakuiert werden mussten, liegt allerdings an der Donau selbst. Wie die Stadt mitteilte, war der Untergrund der Straße durch des hohen Grundwasserspiegels immer mehr aufgeweicht. Daher habe "unmittelbare Gefahr" bestanden, "dass die Hochwasserschutzelemente keinen Halt mehr haben, schlagartig versagen und die Werftstraße geflutet wird".

An die Betroffenen wurde appelliert, nach Möglichkeit die nächsten Tage bei Freunden oder Verwandten verbringen. Für diejenigen, die diese Möglichkeit nicht hatten, wurde ein Notquartier in der Sporthalle einer Berufsschule eingerichtet.

Hochwasser-Soforthilfen: Ein Verdienst der Freien Wähler?

Der Fraktionschef der Freien Wähler im Bayerischen Landtag, Florian Streibl, sprach derweil angesichts der Flutpolder-Vorwürfe von "Fake News" und machte als Verdienst seiner Partei geltend, dass es seit ihrer Regierungsbeteiligung insgesamt "einen massiven Aufwuchs der Mittel für Hochwasserschutz" gebe.

Zudem betonte Streibl in einer Pressemitteilung: "Entscheidend für die vielen Opfer der Flutkatastrophe ist jetzt der Blick nach vorn: Das Bayerische Kabinett hat heute eine Hochwasser-Soforthilfe von 100 Millionen Euro beschlossen, die bei Bedarf weiter aufgestockt werden kann."

Welche Rolle spielten Freie Wähler beim Hochwasserschutz?

Umweltschützer erinnern unterdessen daran, dass Aiwanger in der Vergangenheit auch andere Maßnahmen zum natürlichen Hochwasserschutz, wie die Renaturierung von Mooren, die Begrenzung der Flächenversiegelung oder die Einrichtung von Gewässerrandstreifen behindert habe.

Dies betont etwa Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz (LBV), dem Aiwanger wiederum vorgeworfen hatte, den Bau eines 700 Meter langen Staudamms bei Straubing verhindert zu haben.

"Das ist doch nur ein billiges Ablenkungsmanöver von Hubert Aiwanger, nachdem er selbst das Hochwassermanagement und den Klimaschutz in vielen Bereichen behindert hat", sagte Schäffer der taz. "Dieser Staudamm sollte ein riesiges Bauwerk über 700 Meter werden, der über 20 Millionen Euro gekostet hätte – für insgesamt zehn Häuser."