Streit um Ma(k)zedonien

Alexis Tsipras und Zoran Zaev nach Unterzeichnung der Vereinbarung. Foto: Влада на Република Македонија from Македонија - Потпишување на договорот за македонско-грчкиот спор [17.06.2018, Преспа] / gemeinfrei

Ein Blick hinter die Kulissen mit Possen, fake News und zerstörten politischen Legenden

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Am Sonntag unterzeichneten die Premierminister Griechenlands und der nun Nord-Mazedonien heißenden Nachbarrepublik, Alexis Tsipras und Zoran Zaev, das Dokument, welches den jahrzehntelangen Namensstreit der beiden Länder beilegen soll.

In beiden Ländern gibt es Widerstand gegen den Kompromiss. Nationalisten beider Seiten sind sich einig in ihrer Ablehnung. Sie bezeichnen den Kompromiss als "Verrat" (siehe dazu: Mak(z)edonien: Wenn der Name zum casus belli wird).

Dabei konzentriert sich die Kritik nicht etwa auf die künftige EU- oder NATO-Mitgliedschaft von Severna Makedonija, wie das Land in der Landessprache heißt. Die geopolitische Bedeutung des Kompromisses wird lediglich von den Kommunisten beider Länder thematisiert.

Apropos Landessprache - dies ist einer der ersten Konfliktpunkte in Griechenland. Ist das nun auch von Griechenland als solche anerkannte "Mazedonische" eine Sprache oder ein Dialekt?, fragen sich die Kritiker in Griechenland. Sind die Bewohner Nord Mazedoniens "Mazedonier"?

Auf diesem Niveau wird die öffentliche Diskussion geführt. Wenn es denn zur Diskussion und nicht zum gegenseitigen Anbrüllen kommt.

Tumulte, Putschaufruf und Parteiausschluss ...

Tumultartige Szenen um Athener Parlament bewiesen, dass es in Hellas momentan keine nüchterne öffentliche Aussprache zum Thema geben kann. Die Nea Dimokratia hatte einen Misstrauensantrag eingebracht und dafür auch die Kritik an der fortgesetzt dem Sparkurs der Kreditgeber unterworfenen, katastrophalen Wirtschaftspolitik zurückgestellt.

Das neue Sparpaket wurde am vergangenen Donnerstag ohne viel Aufhebens vom Parlament verabschiedet. Direkt danach begann die Diskussion über den Misstrauensantrag mit einem Affront.

Der bis dato Abgeordnete der Goldenen Morgenröte, Konstantinos Barbarousis, rief vom Rednerpult aus das Heer zum Putsch gegen den "Landesverrat" auf. Seine Fraktion applaudierte - zunächst. Die Fraktion Goldene Morgenröte zog ab und begab sich auf den vor dem Parlament liegenden Syntagma-Platz.

Dort demonstrierte sie zusammen mit Gleichgesinnten gegen den Kompromiss. Die Demonstration war ganz im Interesse von Goldener Morgenröte und Nea Dimokratia. Der Aufruf zum Putsch ging jedoch allen zu weit - auch der Goldenen Morgenröte.

Diese schloss Barbarousis sofort aus der Partei aus, als die übrigen Parlamentarier zur Strafe den Ausschluss der Partei von der Rednerliste beschlossen hatten und als die Staatsanwaltschaft wegen Hochverrat einen Haftbefehl gegen Barbarousis erließ. Dass dem Ausgestoßenen vorher begeistert applaudiert wurde, stellte für die Fraktion offenbar keinen Widerspruch dar.

Dass wenige Stunden später Georgios Kasapidis von der Nea Dimokratia mit einem ähnlichen Narrativ wie Barbarousis den Kompromiss verurteilte und die Regierung zu Verrätern erklärte, verteidigte dessen Partei als legitime persönliche Meinung. Kassapidis rief jedoch nicht zum Putsch auf.

... Flucht und die Maut-Station als Polizeisperre

Barbarousis suchte derweil sein Heil in der Flucht. Für diese setzte er sein vom Parlament gestelltes Automobil, einen schnellen Volvo, ein. Bei strömenden Regen raste er damit über die Autobahn. Die ihn verfolgenden Polizisten registrierten Geschwindigkeiten von mindestens 180 km/h.

Sie schafften es mit ihren erheblich leistungsschwächeren Streifenwagen nur schwerlich, dem Verfolgten auf den Fersen zu bleiben. Schließlich gelangte Barbarousis zur Brücke Rhio Antirhio, welche den Peloponnes bei Patras mit dem Festland verbindet.

Dort geschah das Unglaubliche. Barbarousis passierte ohne Probleme die Mautstation - Parlamentarierautos haben Mautfreiheit und sind mit einem e-pass-Gerät ausgestattet, welches die Schranke automatisch hebt. Die Polizisten mussten derweil an der Mautstation warten, bis die Schranken für sie geöffnet wurden. So zumindest lautet die offizielle Version.

Nun wird nach ihm in und um sein Heimatdorf in Ätolien-Akarnanien gefahndet. Der Politiker soll sogar seine Mobiltelefone abgeschaltet und die Batterien aus ihnen entnommen haben - berichten Polizeikreise. Zum Putsch ist es in Athen auch bei der Abstimmung über das Misstrauensvotum nicht gekommen.

Allerdings drangen Demonstranten bis in den Parlamentsvorplatz ein und griffen Autos von Parlamentariern an. Bei den Demonstrationen wurde zudem ein Fotoreporter seiner Ausrüstung beraubt, geprügelt und vom Platz gejagt.

Ein zwischenzeitlich gemeldeter Angriff auf das Auto des Erzbischofs von Griechenland durch die Demonstranten erwies sich allerdings als Ente. Das Büro des Bischofs kommentierte die Meldung mit "eine bösartige Falschinformation".

Das "Jein" der Unabhängigen Griechen

Allgemein gilt es als unklug, in unsicheren Zeiten einen gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatz zu riskieren. Dies mag sich der Parteivorsitzende der Unabhängigen Griechen, Panos Kammenos, der amtierende Verteidigungsminister gedacht haben. Er wollte die Regierung nicht stürzen, hat jedoch hoch und heilig geschworen, niemals die Nachbarrepublik als "Mazedonien" anzuerkennen.

Kammenos überlegte und fand, er könne Tsipras im Parlament das Vertrauen aussprechen, gleichzeitig jedoch gegen "Mazedonien" demonstrieren. Schließlich, so Kammenos, würde der Kompromiss in Severna Makedonija, das Kammenos kurz "Skopje" nennt, am Widerstand der Opposition scheitern.

Eitel Sonnenschein bei den Unabhängigen Griechen? Nicht für diejenigen, die sich den Parteistatuten verpflichtet fühlen.

Parlamentsvize Dimitris Kammenos stimmte gegen seine Regierung und wurde sofort von Kammenos aus der Partei geworfen. Ihm folgte freiwillig die Pressesprecherin und - erst seit einer Woche - Chefstrategin für die Europa-, Kommunal- und Parlamentswahlen, Madalena Papadopoulou. Weitere Parteimitglieder, wie der Vorsitzende des Ortsverbands Kastoria, Christos Pavlou treten ebenfalls aus der Partei aus.

Panos Kammenos hat hingegen seinen Ruf als ewiger politischer Wendehals mit einem weiteren Beispiel seiner opportunistischen Ideologie, der einzigen, der er treu zu sein scheint, zementiert.

Wiederauflösung einer neuen Partei

Die Mazedonien-Frage spaltet allerdings auch die Opposition. Kaum hatte sich die Pasok zusammen mit der Demokratischen Linken, To Potami und der Partei Giorgos Papandreou KiDiSo zu einer neuen sozialdemokratischen Kraft vereinigt, besteht nun Disput über die Namensfrage.

Der patriotische Flügel der Pasok ist mit der Nea Dimokratia zumindest hinsichtlich der Ablehnung des Kompromisses auf einer Linie. To Potami, die Demokratische Linke und Papandreou begrüßen das Ende des Namensstreits hingegen als Schritt in die richtige Richtung. Nun wird offen über die Wiederauflösung der neuen Partei diskutiert, bevor diese die Gelegenheit hatte, sich zur Wahl zu stellen.

"Tote" und fake news?

Bei Demonstrationen am Sonntag in der Nähe des Ortes der Vertragsunterzeichnung gab es zahlreiche Verletzte. Zwischenzeitlich wurde sogar über Tote berichtet. Die Berichte erwiesen sich als falsch.

Allerdings erreichten sie in ihrer Verbreitung über soziale Netzwerke so viele Adressaten, dass ihre vollständige Dementierung kaum möglich ist. Derartige Meldungen tragen ihren Teil zur weiteren Polarisierung des Landes bei.

Die Nea Dimokratia und ihr Patriotismus

Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis versucht sich in der Mazedonien-Frage als einzig wahren Patrioten zu präsentieren. Unterstützt wird er dabei von seiner Schwester Dora Bakoyianni und dem früheren Premierminister Antonis Samaras - jenem Samaras, der 1993 Konstantinos Mitsotakis, den Vater Bakoyiannis und Kyriakos Mitsotakis‘ im Disput über die Mazedonien-Frage zu Fall brachte.

Mitsotakis Junior stand seinerzeit als junger Mann an der Seite seines Vaters, dem der Name der Nachbarrepublik egal war. Bakoyianni war Staatssekretärin ihres Vaters.

Es ist für die Nea Dimokratia außerordentlich peinlich, dass Außenminister Nikos Kotzias und später auch Premier Tsipras ein Dokument nach dem anderen aus ihren Akten zogen. Die von Kotzias hinsichtlich ihrer Geheimhaltung frei gestellten Dokumente belegen, dass die heute so "heißblütigen" Patrioten der Nea Dimokratia auf internationaler Ebene durchaus Kompromissbereitschaft zeigten.

Sie gingen in ihren Zugeständnissen an die Nachbarrepublik sogar weiter, als Tsipras es heute tut. Die dadurch verlorene politische Glaubwürdigkeit wiegt umso schwerer, als dass die Nea Dimokratia das Thema selbst als wichtiger als die Wirtschaftspolitik erklärt hat.

Langfristig wird durch die politische Posse um die Mazedonien-Frage nur eine Seite gestärkt, die Extremisten auf beiden Seiten der Grenze.