Streit um amerikanische Chlorhühnchen im Brexit-Großbritannien
Die völlig ungeregelte Massentierhaltung von Hühnern in den USA scheint beispiellos brutal zu sein, Chlor dient dazu, die Folgen wegzuwaschen
Einer der Aufreger während der Auseinandersetzungen um das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA waren neben genveränderten Pflanzen und hormonbeladenem Fleisch die Chlorhühnchen, die in die EU gelangen könnten. Das fanden viele unappetitlich oder fürchteten gesundheitliche Folgen. In den USA werden Hühnchen mit Chlor desinfiziert, was in der EU verboten ist. Wie schon damals bekannt, steht hinter der Chlordesinfektion der Hühner das Problem der Massentierhaltung und der damit verbundenen Hygiene. Allerdings wurde von TTIP-Vertretern den Gegnern eine angeblich irrationale Haltung zugeschrieben, da doch von Chlorhühnchen keine gesundheitlichen Risiken ausgehen.
Verboten ist die Desinfektion mit Chlor auch deswegen - im Übrigen ganz vernünftig -, weil befürchtet wird, dass die Hühnerzüchter in der Massentierhaltung noch weniger auf Hygiene und Aufzuchtbedingungen schauen könnten, weil sie sich auf die nachträgliche Desinfizierung verlassen. Zudem könnte durch das Waschen mit Chlor das Fleisch haltbarer gemacht werden. Chlor verspricht, alles abzuwaschen und sauber zu machen.
Donald Trump hat die Europäer und insbesondere die Deutschen von der Angst vor den importierten Chlorhühnchen befreit, als er die TTIP-Verhandlungen beendete. Das Brexit-Großbritannien begrüßte er, weil er hier über bilaterale Abkommen ein Modell für die EU-Staaten setzen will - und die konservative britische Regierung eine stärkere Anbindung an den amerikanischen Markt dringend benötigt, auch wenn die wirtschaftliche Macht, herausgelöst aus der EU, deutlich kleiner geworden ist.
Jetzt ist in Großbritannien deswegen das Chlorhühnchen angekommen, von dem auch die Briten nicht begeistert sind, das sie aber nach den Vorstellungen der britischen Regierung unter Theresa May schlucken müssen. Die Aufregung ist groß, Briten wollen die Chlorhühnchen des großen Bruders nicht. Der Zwist ist auch in der britischen Regierung ausgebrochen. Liam Fox, der Minister für internationalen Handel, findet das Thema nebensächlich, es würde die Verhandlungen mit den USA nicht beeinträchtigen, weswegen das Einfuhrverbot für Chlorhühnchen fallen solle. Mit dem Brexit verlässt Großbritannien auch das EU-Verbot für die Chlorbehandlung. Umweltminister Michael Gove ist gegen den Import von Chlorhühnchen, man dürfe bei einem Handelsabkommen mit den USA nicht die Tierschutzbestimmungen zerstören oder schwächen. Er spricht sich für ein Verbot aus.
Mail on Sunday rührt nun kräftig die Abwehr gegen die Nahrung aus den USA auf und "enthüllt", warum die amerikanischen "Frankenchickens" in Wirklichkeit mit Chlorin gesäubert werden müssen - was längst bekannt ist. Die Hühnerhaltung in den USA sei nämlich erbärmlich. Die hochgezüchteten Hühner in der extremen Massentierhaltung, die keinen Vorschriften unterliegt, seien schon zu Lebzeiten zu dick, um stehen zu können, und würden bei lebendigem Leib verfaulen. Es gibt auch keine Impfvorschriften.
Whistleblowers unter den Landwirten hätten jetzt den "vollen Horror des Hühnerlebens in den USA" geschildert. Zehntausende Hühner, die von ihrem Gewicht bis zu 4,5 kg zusammengedrückt würden, werden in riesigen Anlagen zusammengepfercht, weil es keinerlei Vorschriften für den Mindestplatz bei der Zucht von Geflügel gibt. Es gibt auch keine Regeln für die Beleuchtung oder die Höchstmenge an Ammoniakemissionen, die durch Kot und Urin entstehen, und damit für Belüftungsvorschriften. Viele sterben, bevor sie erwachsen werden, sie würden von ihren Ausscheidungen bedeckt liegen bleiben und die Anlagen in "Brutstätten für Krankheiten" verwandeln.
Der Landwirt Craig Watts aus North Carolina berichtete, dass die Hühner zu schwer seien, um noch stehen zu können, weil sie nur wegen ihres Brustfleisches gezüchtet werden. Sie würden 95 Prozent der Zeit auf dem Boden sitzen, der bereits mit Kot verdreckt ist. Viele Hühner würden sterben oder durch den Dreck am Boden infiziert werden. Das Fleisch würde verrotten, die infizierten Hühner würden wegen der engen Haltung auch die anderen Hühner infizieren. Watts hat vor drei Jahren die Hühnerzucht aufgegeben - aus Abscheu.
Praktisch alle Hühnermastbetriebe haben Verträge mit großen Konzernen, die sie mit Küken, Futter und Ausrüstung beliefern und sie mit der Bezahlung gegeneinander ausspielen: "Der Landwirt, der am meisten Fleisch mit der geringsten Nahrung produziert, steht an der Spitze. Einem weniger effizienten Landwirt wird Geld abgezogen." Das System geht auch auf Kosten der Hygiene, von artgerechter Tierhaltung gar nicht zu sprechen, um den Profit zu steigern. Dabei würden die Hühnerzüchter nach Angaben eines solchen, auch wenn sie 16 Stunden täglich arbeiten, gerade einmal 9000 oder 30.000 Pfund jährlich verdienen. 70 Prozent der amerikanischen Hühnerzüchter würden unterhalb der Armutsschwelle leben. Für ein Pfund Fleisch gibt es gerade einmal 5 Cents.
Kürzlich erst hat die Humane Society of the United States ein Video veröffentlicht, das undercover bei Pilgrim's Pride, dem zweitgrößten Züchter in den USA, gefilmt wurde. Es zeigt die brutalen Umgangsformen mit Leben, dem noch ohne Zwang Schmerzen zugefügt wird. Auch die grausamen Bedingungen der Massentierhaltung werden deutlich, in der Tiere weniger gepflegt werden als Maschinen, sondern nur gleichgültig behandelter Rohstoff für den Profit sind. Die Konsumenten wollen Fleisch zu möglichst geringen Kosten essen, völlig egal, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten werden, mit denen es produziert wird.