Strenge Haftungsbedingungen für die Gentechnik

Renate Künast setzt das umstrittene Gentechnikgesetz gegen Kritik aus SPD und Wissenschaft durch

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Nach langem Tauziehen um das neue Gentechnik-Gesetz setzt sich Verbrauchschutzministerin Renate Künast (http://www.verbraucherministerium.de/) mit ihren Vorstellungen durch. Im Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern räumten die SPD-geführten Länder offensichtlich Zweifel in den eigenen Reihen aus. Zur Freude der Umweltverbände und zum Ärger der Biotech-Industrie wird damit mit hoher Wahrscheinlichkeit eines der strengsten Gentech-Gesetze innerhalb der Europäischen Union erlassen.

"Das Gentechnikgesetz fügt sich ein in eine Reihe von Regelungen, die wir treffen, um die Existenz von gentechnikfreier Landwirtschaft und gentechnikfreien Lebensmitteln zu sichern", erklärte die Ministerin am letzten Donnerstag. "Nachdem die EU-Kommission das de facto-Moratorium für das Inverkehrbringen von GVO in der EU aufgehoben hat, brauchen wir dringend Regelungen, um die gentechnikfreie Landwirtschaft vor wesentlichen Beeinträchtigungen durch Auskreuzungen, Beimischungen und sonstige Einträge von GVO zu schützen. Genau dies leistet das neue Gentechnikgesetz."

Tatsächlich hatte Künast noch Ende September keinen Grund zum Jubeln (Gentechnik-Gesetz: Bitte warten, bitte warten...). Der Vermittlungsausschuss hatte die Beratung des Gentechnik-Gesetzes nämlich überraschend von der Tagesordnung genommen. Grund dafür war ausgerechnet der eigene Koalitionspartner SPD. Genauer gesagt wollten das rot/rot regierte Mecklenburg-Vorpommern und die SPD/FDP-Regierung in Mainz nochmals "reden". Angeblich fürchteten sie Nachteile für die Wissenschaft. Ein Argument, das auch die unionsgeführten Länder wiederholt gegen das geplante Gesetz vorgebracht hatten.

Rückenwind für diese Vorbehalte gab es von namhaften Wissenschaftsorganisationen, die ihren Protest zuvor in einem gemeinsamen Schreiben an den Vermittlungsausschuss ausgedrückt hatten. Dazu hatten sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft sowie der Wissenschaftsrat zusammengeschlossen. Die Wissenschaftsorganisationen befürchteten "fatale Signale für den Wirtschaftsstandort Deutschland", wenn Forscher ins Ausland abwandern oder erst gar nicht mehr in die Bundesrepublik kommen würden. Insbesondere die im Gesetz vorgesehenen strengen Haftungsbestimmungen wurden bemängelt.

Gentech-Gegner konterten und warfen den Wissenschaftlern "Schaumschlägerei" vor. Ins Visier geriet der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Ernst-Ludwig Winnacker. In einem offenen Brief forderten Umwelt-, Verbraucher- und Bauernverbände mehr Sachlichkeit und Transparenz in der Auseinandersetzung um die Novellierung des Gentechnikgesetzes. Winnacker wurde sein nahes Verhältnis zur Wirtschaft vorgeworfen. Konkret hieß es in einer Pressemitteilung:

Da Winnacker zugleich Mitglied des Aufsichtsrates der Bayer AG, des größten deutschen Agro-Gentechnik-Konzerns, ist, werfen die Unterzeichner (Anm. des Offenen Briefes an Winnacker) die Frage auf, für wen der Wissenschaftsfunktionär spricht. Die enge Verquickung von wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen bezeichnen sie als besorgniserregend. Darüber hinaus fragen die Verbände nach der Haftungsbereitschaft sowohl der Wissenschaft als auch der Wirtschaft im Umgang mit der Risikotechnologie.

Im Vermittlungssausschuss selbst wurden nun die "Fragen der Länder" beantwortet, wie eine Sprecherin des Verbraucherschutzministeriums gegenüber Telepolis betont. Das Ministerium sehe die Forschungstätigkeit durch das Gesetz nicht beeinträchtigt:

Am Gesetzestext wurde nichts geändert. Die gesamtschuldnerische verschuldensunabhängige Haftung bleibt. Es besteht aber für die Länder die Möglichkeit, freiwillige Haftungsfonds zu errichten. Demnächst kommt das Gesetz in den Bundesrat und dann wird man weitersehen. Allerdings gehen wir davon aus, dass es dann mit der Kanzlermehrheit beschlossen wird.

Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern hatten sich zuvor im Vermittlungsausschuss über rechtliche Bedingungen für freiwillige Haftungsfonds erkundigt. In diesen könnten Hersteller gentechnisch veränderter Pflanzen einzahlen, um mögliche Schäden auf Feldern, die gentech-frei bewirtschaftet werden, zu begleichen. Denn wie die Regelung jetzt vorsieht, müssten alle Gentech-Bauern im Umkreise haften, wenn etwa GV-Mais Felder benachbarte Produkte durch Pollenflug verunreinigen und kein Verursacher identifiziert werden kann. Dagegen hatten sogar einige Bauern Bedenken angemeldet. Ihrer Meinung nach sollten die Hersteller die Haftung übernehmen. Aus SPD-Sicht, so berichtet die Nachrichtenagentur dpa, könnten aber die Bauern Druck auf die GV-Hersteller ausüben, indem sie die Ware ohne einen Haftungsfonds nicht abnehmen.

Die Änderungsvorschläge der Union wurden im Vermittlungsausschuss erwartungsgemäß nicht akzeptiert. Die Unionsländer hatten der Bundesregierung vorgeworfen, sie gebe der Gentechnik keine Chance. Und auch die Biotech-Industrie konnte sich offensichtlich nicht durchsetzen. In den betroffenen Wirtschaftszweigen ist die Verärgerung über Künast groß. Wie die Wirtschaftswoche berichtet, war es Anfang Oktober gar zum Eklat gekommen. Danach wäre der Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Jürgen Hambrecht, zusammen mit zwei Vorständen aus der Pflanzenschutzindustrie zu Gesprächen ins Ministerium gekommen. Er hätte die Zusage des Kanzleramtes, Künast auf eine pragmatische Haltung zu verpflichten, bereits im Gepäck gehabt. Doch die Unterhändler sahen sich nicht nur der Ministerin gegenüber, sondern auch einer "Reihe von Juristen, die jede ihrer Positionen in der Luft zerrissen" hätten, berichtet die WIWO.

Die jüngsten Entwicklungen kommentierten die Vertreter der Biotech-Industrie naturgemäß kritisch. "Die Wirtschaft" sei "tief enttäuscht, dass der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag keinen Kompromiss zur Novelle des Gentechnikgesetzes erzielt hat", heißt es in einer Mitteilung. Prof. Peter Stadler, Vorsitzender der Deutschen Industrievereinigung

Biotechnologie (DIB):

Innovationen werden durch die Bundesregierung per Gesetz blockiert. Dies steht im Widerspruch zur Aussage des Bundeskanzlers, der die Deutschen zu mehr Offenheit im Umgang mit der Gentechnik auffordert. Deutschland läuft Gefahr, in der Pflanzenbiotechnologie in ein langjähriges Koma zu fallen.

Für Gentech-Gegner indes dürfte diese Woche eine gute gewesen sein. Nicht nur, dass es nun de facto grünes Licht für ein sehr strenges Gentech-Gesetz gibt, auch an anderer Front konnten "Erfolge" verbucht werden. So errang Greenpeace am Donnerstag im Rechtsstreit mit dem Milchkonzern Müller einen Sieg vor dem Oberlandesgericht Köln. Das Gericht entschied nun in zweiter Instanz, dass Müllermilch von Greenpeace als Gen-Milch bezeichnet werden dürfte, da ein "von Gentechnik betroffenes Produkt vorliege". Greenpeace kann nun seine Kampagne gegen Milchprodukte, für die genmanipuliertes Tierfutter eingesetzt wurden, ungebremst fortsetzen (Keine Chance für "Gen-Milch"). Der Versuch der Unternehmensgruppe Theo Müller GmbH & Co. KG, vor dem Richterspruch die einstweilige Verfügung zurückzuziehen, blieb wirkungslos. Die Umweltorganisation sieht mit dem Spruch weitreichende Absicherung für weitere Aktionen gegeben:

Das Urteil des Oberlandesgerichtes beruft sich auf die im Grundgesetz verbürgte freie Meinungsäußerung und ist ein Präzedenzfall für die Rechte von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen. Diese dürfen Verbraucher aufrufen, Produkte aus unökologischer oder risikoreicher Herstellung nicht zu kaufen - 'selbst wenn dadurch private oder wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden'.