Stromkrise in Kalifornien
Ist das Internet oder die digitale Ökonomie Schuld?
Die Diskussion ist schon alt, war aber bislang ziemlich einseitig, bis Peter Huber und Mark Mills in Forbes im Mai 1999 den Artikel Dig more coal - the PCs are coming veröffentlichten, in dem sie behaupten, dass das Internet keineswegs zu einer Reduzierung des Energieverbrauchs führe. Das Internet sei viel mehr äußerst energieverbrauchend: Für jedes Buch, so die provokative These, das über das Internet ausgeliefert wird, müsse ein Pfund Kohle verbrannt werden. Mit der Energieversorgungskrise in Kalifornien taucht die Diskussion jetzt wieder auf. Erstaunlich ist nur, dass offenbar wild mit Zahlen herumgeworfen wird.
Huber und Mills wollten den Mythos zerstören, dass die Internetökonomie sauber und energiefreundlich ist. Aufgrund von Berechnungen, die von vielen kritisiert wurden, etwa wenn sie den Stromverbrauch eines PC mit allen peripheren Geräten, einschließlich Router und Server, auf 1000 Watt ansetzten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass bereits 8 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in den USA auf das Internet und gar 13 Prozent auf die gesamte digitale Ökonomie zurückführbar seien. In den nächsten Jahrzehnten würde das Internet direkt und indirekt möglicherweise für bis zu 30 oder 50 Prozent des Stromverbrauchs verantwortlich sein. Und das schrieben sich noch in der Zeit, als der ECommerce gerade explodierte und der Internetboom noch recht ungebrochen herrschte.
Auffällig jedoch ist, dass weder Huber und Mills noch die Gegner ihrer Behauptungen wirklich schlüssige Zahlen vorlegen konnten (Mills, sehr erhellend: "Die Gesamtsumme liegt irgendwo zwischen 5 und 6 Prozent. Unsere Zahl ist eine Schätzung. Niemand weiß das wirklich. Wir wissen, dass es nicht 0 sein kann."). Wild wurde diskutiert, also dass ein PC höchstens 50 bis 200 Watt und das Netzwerk noch einmal maximal 15 Watt verbrauche. Besonders hervorgehoben wurde freilich auch, dass die beiden eng mit der Kohleindustrie verbunden sind (schon allein an diesem Titel zu sehen: The Internet Begins with Coal). Dort freute man sich natürlich über die künftigen Einnahmequellen. Die Gegner führten vornehmlich an, dass die Zahle zum Verbrauch übertrieben und dass sich in den letzten Jahren kein übermäßiges Wachstum beim Stromverbrauch habe feststellen lassen. Ende der 90er Jahre, in der Zeit des Internetbooms, habe das Wachstum in den USA gerade einmal 2 Prozent betragen. Und das kann tatsächlich kaum eine Krise wie diejenige auslösen, die derzeit in Kalifornien herrscht.
Natürlich war niemand so dumm und hat gesagt, dass die Internetökonomie alleine für den Zusammenbruch der Stromversorgung in Kalifornien verantwortlich sei, aber eine Behauptung geht dahin, dass sie gerade in Kalifornien mit dazu beigetragen haben könne. Hauptursache ist die missglückte Deregulation des Strommarktes, über deren Hintergründe schon berichtet wurde (Das Rumänien des 21. Jahrhunderts?). Aber Kalifornien ist auch eines der Länder, in dem an "hot spots" wie dem Silicon Valley Computerindustrie und Internet am stärksten geboomt haben.
Manche behaupten, Datenzentren und Serverfarmen seien die am schnellsten wachsenden Marktsegmente in der Energiewirtschaft gewesen. William Smith von EPRI meint, dass Datenzentren, die mit 60 Megawatt soviel wie eine Stahlfabrik verbrauchen würden, innerhalb von zwei Monaten eröffnet werden und Energie benötigen, während der Strombedarf einer Fabrik schon Jahre voraus bekannt sei. Da sind also Unwägbarkeiten im schnellen Wechsel des Strombedarfs enthalten. Im Unterschied zum übrigen Land sei im Silicon Valley der Stromverbrauch im letzten Jahr um 12 Prozent angestiegen, behauptet John Roukeme, ein Sprecher von Silicon Valley Power. "Ein einziges Datenzentrum - und wir haben viele hier - kann leicht soviel Strom wie die größte Fabrik verbrauchen, die wir beliefern."
Angeblich, so CNN, seien Datenzentren von der Stromknappheit bislang nicht betroffen gewesen, während in manchen Regionen kurzfristig immer mal wieder die Stromlieferung unterbrochen wird. Der Grund liege darin, dass die Datenzentren Verträge mit feststehenden Geldbeträgen zur Sicherheit abschließen, die auch gezahlt werden, wenn tatsächlich weniger Strom benötigt wurde.
Kalifornien insgesamt verbraucht mehr als 260000 Gigawattstunden jährlich, mehr als ganz Italien. Daher spüre man hier, so Smith, die Krise auch zuerst. Aber, so warnt er, sichere Häfen gebe es nicht. Besonders Regionen, die stark vernetzt sind, die viele Datenzentren aufweisen und in denen die Bevölkerung wächst seien gefährdet. Allerdings gibt er zu, dass die Situation in Kalifornien nicht unbedingt mit der in anderen Staaten vergleichbar ist. Kaliforniens relativ mildes Klima sorgte, bis zum Wachstum der Internetbranche, für eine gleichbleibende Stromversorgung, da energieverbrauchende Klimaanlagen oder Heizungen wie in anderen Ländern nicht für Peaks sorgten.
Möglicherweise also bringt die Krise in Kalifornien nur an den Tag, dass das Internet diese zwar nicht verschuldet hat, aber keineswegs so energie-unschuldig ist, wie man immer geglaubt oder auch gehofft hat. Vielleicht gesellt sich also zum papierlosen Büro bald der Mythos vom energiesparenden Internet, einfließen müssten natürlich auch die Energiekosten, die bei der Herstellung der Geräte und schließlich bei der Entsorgung entstehen (Die Informationsgesellschaft vergeudet große Energiemengen). Auch in Holland ist dieses Jahr deutlich geworden, wie energiefressend Unternehmen aus dem Internetbereich sein können. In Amsterdam werden daher einige neue Elektrizitätswerke gebaut, um die Serverfarmen oder Bürogebäude wie das von Ciscos europäischem Hauptquartier mit dem lebensnotwendigen Saft zu versorgen (ECommerce = Energy-Commerce?).