Suchmaschinisten im Datenraum

Neue Allianz Lycos-Bertelsmann will europaweiten Suchdienst starten. Arbeitsplätze werden kaum geschaffen. Die Konkurrenz schläft nicht

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Am Montag dem 12.Mai präsentierten Bob Davis, CEO von Lycos, und Christoph Mohn von Bertelsmann in München ihre neuen Pläne, einen europaweiten Suchdienst im WWW zu starten. Bereits seit Herbst letzten Jahres betreibt die Bertelsmann-Tochter Telemedia einen Dienst unter dem Namen "Lycos.de", der die Stichwortsuche in einem Web-Katalog erlaubt und auf der Technologie des amerikanischen Ostküstenunternehmens beruht. Nach der erfolgreich verlaufenen Testphase wollen der Medienmulti und das Internet-Technologieunternehmen einen ähnlichen Dienst in ganz Europa, und zwar in der jeweiligen Landessprache, anbieten.

Neu, oder nur des Kaisers neue Kleider?

Das Angebot soll dem amerikanischen Vorbild zum Verwechseln ähnlich sehen und neben der Suchfunktion eine Reihe spezialisierter Infodienste anbieten. Mit dem umfassenden Angebot eines "Personal Internet Guide" mit Stadtführer, Extra-Suchmöglichkeit nach Bildern und Tönen, nach Menschen, Aktien und mit eingebauter Straßenkarte und bis zu 25 weiteren solchen modisch als "Channels" bezeichneten Infokanälen hofft Lycos, den anderen "Markennamen" im Suchgeschäft wie Yahoo oder Altavista die Stirn bieten zu können und sich vom Rest der 'No Names' weiterhin abzusetzen.

Laut Bob Davis ist die Partnerschaft mit Bertelsmann deshalb so wichtig, weil Bertelsmann über ähnliche, für Europa zuschneidbare Inhalte bereits verfügt und auch über das entsprechende Durchsetzungsvermögen am Medienmarkt, sowohl was es betrifft, Inhalte unter die Leute zu bringen, als auch Anzeigenkundschaft anzulocken.

Bertelsmann wiederum ist vom technischen Know How und der soliden, für amerikanische Internetverhältnisse langfristigen geschäftlichen Planung von Lycos beeindruckt. Im Augenblick sieht es ja mehr als rosig für Lycos aus. Das Unternehmen kann im vergangen Jahr Zuwachsraten von mehr als 500 Prozent bezüglich Anzeigenkundschaft und Reinerlös aufweisen. Auch das deutsche "Übungsprojekt" Lycos.de kann angeblich bereits den Betrieb durch die Einnahmen aus Bannerwerbung finanzieren und weist ebenfalls hohe, wenn auch nicht so drastische Zuwachsraten wie die amerikanische Mutter auf, was wohl an der verminderten deutschen Internet-Dynamik liegt. Immerhin hat Lycos.de dank der Hamburger Agentur Ad On (selbstverstaendlich auch aus dem Hause Bertelsmann), trotz geringerer Zugriffe, angeblich mehr Werbeeinnahmen als das deutsche Yahoo.

Dass die Betreiber von Suchdiensten Gewinne einfahren, ist kein Wunder, denn die Betriebskosten auf der technischen Seite sind alles andere als gigantisch. Zwar wollten sich die "Bertelsmänner" keine Zahlen entlocken lassen, doch allein der Hinweis genügte, dass bei Lycos.de bislang nur drei Leute beschäftigt waren, wovon sich einer um die Technik kümmerte und die beiden anderen um die Außenkommunikation. Auch bei der nun geplanten Erweiterung auf alle europäischen Länder sollen zunächst nur 8-10 Mitarbeiter eingestellt werden, von denen sich wiederum der Großteil der Kommunikation mit dem Anzeigenvertrieb widmen wird.

Siegesgewisses Lächeln auf der Kommandobrücke

Wie von den zahlreichen vorgelegten Charts, deren Kurven ausschließlich steil nach rechts oben wiesen, unterstrichen wurde, lag ein Hauch eines siegesgewissen Lächelns über der Veranstaltung. Denn wie alle, auch Web-Newbies, wissen, braucht jeder Surfer im Internet solche Suchdienste, um gezielt nach Dateien im Web suchen zu können. Die Suchmaschinen, so heißt es, sind das, was der Index in einer Bibliothek ist. Jeder, der intensiver mit dem Web arbeitet, benutzt diese Dinger mehrmals am Tag. So kann Lycos USA eine Zugriffsrate von 6 Mill. Page Views am Tag aufweisen. Und auch Lycos.de liegt mit über 5 Mill. Hits im Monat weit vor allen Inhalteanbietern in Deutschland. Da die Werbevermarktungschancen nach der gängigen Denkweise strikt an die Quantität der Hits gebunden sind, ist so eine Suchmaschine wie ein Geldautomat, bei dem man nur gewinnen kann, ein "einarmiger Bandit" der besonderen Art. Ein effizienter Anzeigenverkauf ist die einzige Zutat, die dann noch fehlt, damit die Maschine gut geölt läuft.

Interessant war dabei, inwiefern die Aussagen der Firmenchefs bestimmte Analysen, wie z.B. Hartmut Winklers Text über "Suchmaschinen als Metamedium", stützen, teilweise 1:1 die selben Erkenntnisse wiedergebend, bloß übersetzt in Business-New-Speak.

Bei Lycos-Bertelsmann ist man sich der zentralen Stellung bewußt, die Suchmaschinen in der inhaltlichen Architektur des Netzes aufweisen. Der neue Fachausdruck im "Business-Speak", den man dafür gefunden hat, heißt "Aggregatoren". Diese nehmen die Mittlerfunktion zwischen Konsument/Surfer und den Inhalten ein. Sie erzeugen selbst keine Inhalte, sondern bieten sie höchstens in bestimmter Form an, selektiert und auf "Kanäle" verteilt. Auch wenn es sich dabei um keine "Push-Kanäle" im engeren Sinn handelt, wird die Einwegrichtung dieser Kanäle schon durch die Wortwahl verdeutlicht. Bestückt werden sie wohl vornehmlich nicht mit Tagebuchtexten privater User und Infozetteln politischer Kleingruppen, sondern mit den "News" aus Sport, Politik und Finanzwelt der großen Agenturen und ergänzendem Lokalinhalt aus dem Bertelsmann-Sortiment.

In einer Grafik, die aus drei konzentrischen Kreisen aufgebaut ist, findet sich Bertelsmann dort wieder, wo der Zugang zu den Netzen bereitgestellt wird - z.B. durch AOL oder neue regionale Provider, in deren Aufbau man noch weiter investieren will -, sowie im zweiten konzentrischen Kreis, in dem die Aggregatoren angesiedelt sind. Das dritte und in der besagten Grafik außenliegende, finanziell undankbare Feld des Internet-Content-Providing will man scheints anderen überlassen.

Das Bild, das dieser Begriff der "Aggregatoren" hervorruft, ist das eines Infokraftwerks, eine Art Umwälzanlage, der mächtige Robots und festverdrahtete Newsfeeds auf der einen Seite beständig Inhalte zuschaufeln, die am anderen Ende als feine Kanäle wieder hinauslaufen und den Usern in der Internet-Suburbia zugestellt werden. Je mehr solcher Aggregatoren es im Netz gibt, umso aufgeräumter wird dessen Landschaft erscheinen, von Spidern leergefressen, von Newsfeeds in Fertigsegmente aufgeteilt, von Surf-Lotsen und Filterprogrammen "nutzerfreundlich" gemacht.

Content nein danke?

Dem einzelnen "Inhalt" begegnet man dabei von Betreiberseite nur noch mit zynischem Lächeln. In dieser Netzgeographie zählt längst nicht mehr die Qualität einer einzelnen Web-Site, sondern ihre Positionierung in der Verweisstruktur des Internet, die wiederum vorrangig von den Besitzstrukturen und strategischen Inhaltsagglomerationen der großen Medienkonzerne abhängig ist. Und damit das ganze funktioniert, braucht man Expertenwissen aus dem gelobten Land der Internet-Technologie. Wie Wolfgang Zicker von Telemedia Bertelsmann ganz ernsthaft meinte, sei es Bertelsmann-Strategie, den Markt in den USA zu beobachten und sich die "Rosinen" herauszupicken.

Das sind wohl schlechte News für deutsche Internet-Garagenwunder, und nicht nur für diese. Offensichtlich ist man voll gewillt, das Internet als ein "Product made in U.S.A" ein für allemal anzuerkennen und will sich die Mühe eigener Entwicklungen erst gar nicht machen. Auch bei den Inhalten will man sich nicht aus dem Fenster lehnen und der Fertigware vertrauen. 10 neue Jobs in Gütersloh machen die Arbeitslosenbilanz von Norbert Blüm sicher nicht fett.

Die lästige Frage, was denn nun wirklich so landestypisch an den noch zu gründenden Lycos_Bertelsmann_Euro_Filialen sei, und ob Suchabfragen mit deutschen Umlauten oder französischen Accents tatsächlich möglich seien, wurde mit einem knappen "ja" beantwortet. Es ist wohl uns Userleins dahingestellt, den Wahrheitsgehalt im persönlichen Web-Labor zu testen.

In den USA wird unterdessen heftig weitergeforscht. Da wohl immer mehr User von der breiten Streuung der Treffer bei Suchabfragen bei Engines, die wie Lycos funktionieren, frustriert sind, will man individuellere Abfragen, und damit eingeschränktere Treffer ermöglichen. Eine Beta-Version des verbesserten Suchalgorithmus kann über die Web-Site von Lycos.com in den USA bereits ausgetestet werden und soll in 30 Tagen offiziell auf den Markt kommen. Ob da wohl wieder, wie bei den Anfängen von Lycos als UNI-Fortschungsprojekt, Machine-Learning Guru Michael "Fuzzy" Mauldin von der Carnegie Mellon University dahintersteckt?

Weitere Suchmaschinisten in *.de

Offensichtlich ist, daß die Suchmaschinen die Sahnehäubchen vom Internet-Werbekaffee abschöpfen. "Beeindruckt" von den Ankündigungen der Lycos-Bertelsmann Pressekonferenz, mit nur 10 Mill.US$ Investition und 8 Mitarbeitern einen europaweiten, profitträchtigen Suchdienst starten zu wollen, haben wir uns ein wenig umgesehen, wie es den anderen "Suchmaschinisten" in Deutschland so ergeht und wie sie strukturiert sind. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit haben wir uns einige der bekanntesten Namen herausgepickt.

FOCUS Netguide ist ein "Bruder" des Lycos-Katalogs aus den USA. Der Index wird in den USA erstellt und nach Deutschland per Band übertragen. Für die deutsche Ausgabe gibt es, nachdem es Beschwerden wegen des "Umlauteproblems" gab, einen Übersetzungsmechanismus und leicht veränderte Suchfunktionen.

Der Netguide bietet neben der puren Suchfunktion auch redaktionell aufbereitete Tips an, und so sind für das gesamte Produkt 3 Schreiber und 1 Redakteur am arbeiten.

Die Wartung und Internet-Anbindung erfolgen über einen ISP in Hamburg, der mit Übertragungskapazitäten zwischen 2 und 10 MegaByte aufwarten kann.

Netguide verzeichnet derzeit im Monat ca. 1 Million Zugriffe pro Monat und zieht damit u.a. Werbekunden wie Reemtsma, IBM, D2 Mannesmann Mobilfunk, Telekom und Microsoft an sich. Der Netguide bestreitet immerhin 1/3 der gesamten Werbeeinnahmen von Focus-Online.

DINO-Online
ist seit März Ž96 und damit schon relativ lange im deutschsprachigen "Suchgeschäft". Betreiber ist die AIS Axon Internet Services GmbH, die für DINO 6 festangestellte Mitarbeiter beschäftigt, die sich zu gleichen Teilen dem Marketing, der Technik, und redaktionellen Aufgaben widmen. 3 Freiberufler sind zusätzlich u.a. mit der Banner-Gestaltung beschäftigt.

Die Leitungskapazität von derzeit 4 Megabyte soll ab der ersten Juniwoche beträchtlich aufgestockt werden.

2,8 Millionen reine Seitenzugriffe pro Monat lassen es u.a. für den Axel Springer Verlag, Allianz, Bank 24, Jacobs, Suchard, Pro 7 und Opel reell erscheinen, ihre Banner über DINO zu hängen. Den Marktanteil am gesamtdeutschen Internetwerbekuchen beziffert man mit 6%.

Yahoo! Deutschland
ist, rein was die Zugriffe betrifft, wohl unangefochtener Marktführer in Deutschland. Eine Million Mal täglich wird allein auf Yahoo.de geklickt. Ähnlich verhalten sich die Zugriffszahlen bei Yahoo! in Frankreich und Grossbritannien.
Da der Yahoo!-Katalog von Menschenhand erstellt wird, beschäftigt man bei der deutschen Tochter immerhin 12 Mitarbeiter.
Unter den 40 zahlenden Kunden finden sich u.a. Lufthansa, Novell, Microsoft, fast alle Online-Banken, Versicherungen, sowie My World und TUI, um nur ein paar zu nennen.

Schlußbilanz

Zieht man in Betracht, daß es noch weitere deutsche Suchdienste wie z.B. Kolibri gibt, und daß man auch mittels Altavista, Webcrawler oder Hotbot deutsche Internetkrautgärten durchpflügen kann, und das je nach Tageszeit nicht unbedingt langsamer oder "schlechter", so könnte der Bertelsmann-Crew das siegessichere Lächeln bald auch wieder vergehen. Denn auch die Konkurrenz spart nicht mit Zusatzfeatures, persönlich zugeschnittenen "Infoguides" usw..
Die modischen "Channels" sind, ebenso wie das Gerede von den "Push-Medien", hauptsächlich ein verbaler Rettungsakt, um einen "Neuheitsfaktor" zu gewährleisten und im Gespräch zu bleiben. Was unter dem Strich bleibt, sind Versuche, mit wenig Einsatz viel Geld zu verdienen. Der "Inhalt" bleibt dabei auf der Strecke, denn neue "Inhalte" schaffen diese "Aggregatoren" ja alle zusammen nicht. Summiert man aber ihre Marktanteile an Bannerwerbung, so schöpfen sie wohl über 50 Prozent ab. Es ist wohl paradox, dass mehr oder weniger gut geführte Verzeichnisse von vorhandenen Dokumenten mehr in D-Markscheinen ausgedrückte "Aufmerksamkeit" empfangen sollen, als die mit viel Mühe originär geschaffenen Inhalte im Netz.

Mehr über Suchmaschinen unter:
Hartmut Winkler, Suchmaschinen als Metamedium
Rainer Rilling, Hyperlinkkontrolle