Südjemenitische Separatisten erobern halb Aden
Neben den schiitischen Huthis und al-Qaida hat die saudi-gestützten Sunnitenregierung nun einen dritten Gegner
Der Jemen ist ein Staat, von dem man häufig sagt, dass es nur eins gibt, was seine Bürger verbindet: Die Droge Kath, die ein Großteil der Männer dort täglich kaut. Während an den Küsten und im Osten des Landes fast ausschließlich Sunniten leben, herrschen im nördlichen Hochland zaiditische Schiiten vor, die landesweit 42 Prozent der Bevölkerung stellen. In den 1990er Jahren gründeten die zaiditischen Religionsführer Badr al-Huthi, Hussein al-Huthi und Abdul Malik al-Huthi die Erweckungsbewegung "Schabab al-Mumin" ("Gläubige Jugend") als Reaktion auf mit saudischem Geld finanzierte aggressive wahabitische Missionierungsversuche. Diese schiitische Gegenreformation eroberte bis zum Februar 2015 die Westhälfte des Jemen und setzte den Präsidenten ab.
Im März 2015 stoppte eine internationale Sunnitenallianz unter saudischer Führung den Vormarsch, schaffte es aber trotz großen Materialaufwands und trotz logistischer und geheimdienstlicher Hilfe durch die USA bislang nicht, die Huthis zu besiegen (vgl. Saudi-Arabien: 200 Millionen US-Dollar täglich für den Krieg im Jemen). Seit dem letzten Jahr schießen die Huthis sogar mit Raketen zurück (vgl. Raketenangriff auf Riad und Patriot-Propaganda).
"Übergangsrat des Südens"
Im Osten des Landes, im Gouvernement Hadramaut, nutzte die jemenitische al-Qaida-Filiale AQAP die Gelegenheit und übernahm im April 2015 die Macht in der 200.000-Einwohner-Gouvernementshauptstadt al-Mukalla (vgl. Al-Qaida erobert al-Mukalla). Später weitete die Terrorgruppe ihr Herrschaftsgebiet über Teile der Gouvernements Schabwa und Abyan bis nach Lahidsch nördlich von Aden aus, wo sie zwei kleinere Territorien kontrolliert.
Nun hat die Sunnitenallianz, die formell für den immer noch in Saudi-Arabien weilenden Ex-Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi kämpft, einen weiteren Gegner im Jemen: Seit Sonntag kämpfen die vorher mit ihr verbündeten südjemenitischen Separatisten des al-Majlis al-Āntaqālī l-Janūbiyy, des "Übergangsrats des Südens" (englisch abgekürzt: STC) gegen sie. Dem im mit Saudi-Arabien verfeindeten Katar ansässigen Sender al-Dschasira nach haben sie vorgestern sogar das Regierungshauptgebäude der Hadi-Allianz in der ehemaligen südjemenitischen Hauptstadt Aden erobert.
Verstärkung aus Abyan und Dhale
Gestern kam es darüber hinaus zu Kämpfen zwischen Soldaten der Hadi-Allianz und Separatisten aus dem Gouvernement Abyan, die nach Aden zogen, um dort mitzukämpfen. Aus dem Gouvernement Dhale soll ebenfalls Verstärkung für die Separatisten in der ehemaligen Hauptstadt unterwegs sein. Dort wird dem Roten Kreuz nach unter anderem in der Nähe von Hadi-Stützpunkten in den Nordbezirken Khormaksar und Dar Saad gekämpft. Insgesamt sollen bei den Kämpfen seit Sonntag mindestens 15 Menschen ums Leben gekommen sein - darunter drei Zivilisten.
Anlass des Ausbruchs der Kämpfe soll eine Demonstration gewesen sein, auf der Separatisten die Absetzung der von der Hadi-Allianz eingesetzten Regierung von Ministerpräsident Ahmed bin Daghr forderten. Den Separatisten nach begannen die Auseinandersetzungen, als Sicherheitskräfte auf Demonstranten feuerten. Bin Daghr, der weiterhin eine Hälfte der Stadt kontrolliert, spricht dagegen von einem Staatsstreich des ehemaligen Gouverneurs von Aden, Aidarous al-Zubaidi. Der hatte den STC gegründet, nachdem er im Mai 2017 von Präsident Hadi abgesetzt wurde.
Unglückliche Namenswahl
Der Südjemen, den die Separatisten wiederherstellen wollen, war von 1967 bis 1990 ein unabhängiger Staat, der sich im Kalten Krieg an die Seite der Sowjetunion geschlagen hatte. Vorher war er das britische Protektorat Aden, aus der den ursprünglichen Plänen der Kolonialmacht nach eigentlich eine den Vereinigten Arabischen Emiraten ähnliche "Föderation Südarabien" werden sollte. Die Guerillagruppen, die 1967 die Macht übernahmen, entschieden sich stattdessen für den Namen Südjemen - was dazu beitrug, das ihre Nachfolger nach dem Ende der Geldflüsse aus dem Ostblock in einer Vereinigung mit dem nördlichen Nachbarn eine neue Existenzgrundlage suchten.
Bereits vier Jahre später waren viele Südjemeniten mit dem, was dabei herauskam, so unzufrieden, dass sie eine militärische Wiederabspaltung versuchten. Diese scheiterte jedoch ebenso wie ein zweiter in den Jahren 2009 und 2010 unternommener Abspaltungsversuch. Diese zweite Rebellion wurde nicht nur von Stämmen, sondern auch von radikalen Sunniten getragen und vom damaligen al-Qaida-Führer Naser al-Wahishi unterstützt. Um sich davon zu distanzieren, veröffentlichte Tariq al-Fadhli, der Sohn des ehemaligen Sultans im britischen Protektorat und zeitweiliger Führer der Unabhängigkeitsbewegung, 2010 ein Video, in dem er vor seinem Haus die amerikanische Flagge hisst und die amerikanische Nationalhymne singt (vgl. Gescheiterter Staat?).
Keine "regierungstreuen Truppen"
Bei der Vertreibung der Huthi-Schiiten aus Aden wurden die Milizen der Separatisten von westlichen Medien meist unter dem Begriff "regierungstreue Truppen" mit der Sunnitenarmee Hadis zusammengefasst, obwohl sie eine Abspaltung des Südjemen propagierten, die Hadi zu verhindern versucht. Damals hielt die beiden Gruppen jedoch nicht nur der gemeinsame Kampf gegen die Schiiten, sondern auch der gegen die inzwischen deutlich geschwächten oder zu al-Qaida übergelaufenen IS-Terroristen zusammen, die 2015 ihre schwarzen Fahnen von zahlreichen - auch öffentlichen - Gebäuden in Aden hissten (vgl. Schwarze Fahnen in Aden).