Surfen ist wie Schwarzfahren
Der Vorstandsvorsitzende der GEMA, Reinhold Kreile, über Unterschiede zwischen frei und vogelfrei, Telefon und Internet, Ansprüchen von Kreativen und Nutzern
Die in der Confédération Internationale des Sociétés d'Auteurs et Compositeurs (CISAC) zusammengeschlossenen Urheberrechtsgesellschaften haben auf ihrem 41. Kongreß in der zweiten Septemberwoche in Berlin Einigkeit demonstriert mit den von Ihnen vertretenen Künstlern sowie mit Medienkonzernen wie Bertelsmann. Mit aller Macht kämpfen sie dafür, daß der bestehende und letztlich auf die Berner Konvention zurückgehende Begriff des Copyright auf die neuen Medien übertragen wird.
Es geht den der CISAC angeschlossenen Gesellschaften, die über eine Million Urheber aus den Bereichen Literatur, Film und bildende Kunst vertreten und 1996 "Erträge" von rund 5 Milliarden Dollar erwirtschafteten, letztlich darum, das Internet in ein genauso kontrollierbares Medium zu verwandeln wie etwa das Telefon. Politiker in Deutschland, der Europäischen Union und aus den Vereinigten Staaten, die gleichzeitig von Nutzergruppen wie Wissenschaftlern, Bibliothekaren oder Providern und Telefongesellschaften bedrängt werden, möglichst weite Ausnahmen für Vervielfältigungsverbote festzuschreiben, hatten offene Ohren für die Argumente der Urheberrechtsschützer und befinden sich nun in der Zwickmühle.
Stefan Krempl unterhielt sich mit dem Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) und Präsidenten des CISAC-Exekutivbüros, Professor Reinhold Kreile, über die Forderungen der Verwertungsgesellschaften.
Sie haben das offene Brandenburger Tor als Symbol für den Kongreß gewählt. Das Internet steht gleichfalls für Offenheit, für einen offenen und freien Austausch von Ideen und Gedanken. Wie paßt das mit Ihren Bemühungen zusammen, das Urheberrecht aus den "alten" Medien ohne Adaption auf das Netz zu übertragen?
Reinhold Kreile: Die Offenheit eines Tores bedeutet nicht, daß man jederzeit durch das Tor hin und zurück gehen kann, ohne nicht dafür eine Vergütung zu bezahlen. Wenn ich ein Werk in das Internet hineinschicke, dann ist es ein geschütztes Werk, sozusagen das "Lebenswerk" eines Autoren; es ist das, wovon der Autor sein tägliches Leben zu bezahlen hat, und dann muß hierfür die angemessene Vergütung bezahlt werden. Der Provider, der ein solches Werk zur Nutzung in das Internet hineinschickt, will dabei ja auch etwas verdienen - es ist ja nicht so, daß es der Provider aus einem ganz altruistischen Gesichtspunkt macht. Und die Urheber wollen den angemessenen Anteil daran haben.
Diesen Anspruch nun weltweit durchzusetzen, ist der Sinn des CISAC-Kongresses: dieses geistige Eigentum auch im 21. Jahrhundert im Bereich des Internet tatsächlich durchzusetzen, nämlich durch gemeinsame Gesetzgebung, durch gemeinsame Administration und durch ein gemeinsames Verständnis, daß man den Urheber nicht berauben darf. Das haben wir uns hier als Ziel gesetzt. Das Internet steht für Freiheit, und die soll auch bleiben, aber die Werke sollen doch nicht vogelfrei sein. Natürlich dürfen sie jederzeit benutzt werden, aber es muß dafür auch die angemessene Vergütung bezahlt werden.
Bei den Internet-Nutzern hat sich die Auffassung verbreitet, daß im Netz fast alles kostenlos ist. Medienangebote beispielsweise finanzieren sich meist über Werbung, der Surfer zahlt nur die Telefon- und Internetnutzungsgebühren für das Abrufen der Inhalte.
Reinhold Kreile: Diese Haltung ist sicher zunächst ein Problem, so ähnlich man weiß, daß man in die U-Bahn einsteigen und schwarzfahren kann, wenn man nicht kontrolliert wird. Das tut man zwar nicht, aber gelegentlich machen's halt doch so einige. Und es ist die Aufgabe der Verwertungsgesellschaften, daß diese einigen, die es dann doch tun, nicht zu viele werden.
Wer ist denn der eigentliche Übeltäter? Der Nutzer, der sich die angebotenen Inhalte und Werke auf seinen Rechner lädt, oder der Content bzw. Access-Provider?
Reinhold Kreile: Der Nutzer zahlt ja im allgemeinen an einen "Server", und deswegen wollen wir von demjenigen, der die Nutzung ermöglicht, hier die angemessene Vergütung. Wir wollen nicht an den einzelnen herantreten. Wenn eine CD verkauft wird, dann will der Urheber das Geld ja auch nicht vom Verkäufer, sondern vom Hersteller und Vertreiber der CD. Und dieses System, das ja seit 40, 50 Jahren hervorragend funktioniert, auf das Internet zu übertragen, ist unser Bemühen.
Viele Apologeten des Internet sind der Auffassung, daß das Netz ein völlig neues Medium ist, das man mit den alten Medienstrukturen nicht mehr vergleichen kann.
Reinhold Kreile: Es gibt Freunde von mir, die sagen, das Internet ist genau das gleiche. Die Transportmittel haben sich geändert, aber ob ich in einer Kutsche fahre mit vier Rädern oder in einem Lamborghini mit vier Rädern, oder ob der Transport mit einem Flugzeug stattfindet, es ist immer ein Transport von einem Punkt zum anderen. So ist auch das Internet der Transport eines Werkes von einem Punkt zum anderen. Ob ich also in ein Schallplattengeschäft gehe und mir eine CD kaufe, oder ob ich mir eine CD über das Internet sozusagen abrufe, das ist der gleiche Vorgang. Es ist anders, aber der Sinn - ich will die CD haben -, der ist der gleiche. Und deswegen muß dieser Vorgang parallel vergütet werden, wie wenn ich die Schallplatte kaufe.
John Perry Barlow, der Songschreiber der Grateful Dead, vertritt die These, daß im Internet Urheberrechte keinen Sinn mehr machen, daß eine neue Ideenökonomie entsteht. Seine Band hat beispielsweise Raubkopien - damals noch auf Kassetten - ausdrücklich begrüßt. Das eigentliche Geld hat die Gruppe mit Konzerten und Performance verdient.
Reinhold Kreile: Wenn jemand dieser Meinung ist, dann vergibt er die Rechte für seine Stücke gar nicht an eine Verwertungsgesellschaft. Wenn der Komponist das Geld nicht haben will, dann werden wir es auch von niemandem verlangen. Aber das ist ja höchstens ein Promilleanteil der Leute.
Wird es durch das Internet nicht auch leichter für den einzelnen Autor, seine Rechte selber zu vertreten?
Reinhold Kreile: Daß ein Autor seine Rechte selber in unserer globalisierten Welt vertreten kann, wird sich nur in ganz verschwindend geringen Fällen aufrechterhalten lassen. Der einzelne Autor kann ja nicht überall gleichzeitig sein, er kann allein seine Rechte weder gegenüber der Plattenindustrie noch gegenüber dem Rundfunk noch gegenüber der Bar nebenan, die seine Musik spielt, geltend machen. Deswegen gibt es die Verwertungsgesellschaften, und die müssen in Frankreich, in England, in Amerika oder in Asien, wo sich ein großer neuer Markt auftut, zusammenarbeiten.
Welche Rolle spielt für Sie die Technologie? Bietet sie nicht auch Möglichkeiten, geistiges Eigentum zu schützen?
Reinhold Kreile: Diese wirklich unglaublich faszinierende Technologie des Digitalisierens, des Kopierens von Daten und damit die Ermöglichung eines weltweiten Austauschs von Dateninformation - und die Werke sind am Schluß nichts anderes als Daten - ist bereits weit fortgeschritten und auch eine intellektuelle Herausforderung. Deswegen glaube ich, daß diejenigen, die die Fähigkeit gehabt haben, diese Technologie zu erfinden, daß die auch die Fähigkeit haben, diese Technologie zu kontrollieren.
Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn ich auf den Fidschi-Inseln sitze und möchte nach Berlin telefonieren, dann kann ich das - und die dortige Telefongesellschaft schickt mir dann die Rechnung. Diese Technologie ist erfunden worden zur Kontrolle, damit bezahlt wird. Nicht anders ist es beim Internet: diese Möglichkeiten werden jetzt auch dort entwickelt werden. Und ich bin mir ganz sicher, daß diese Entwicklung in wenigen Monaten oder Jahren genauso ausgereift ist wie die Technik beim Telefonieren.
Welche Rolle wird das Common Information System (CIS) spielen, daß die Verwertungsgesellschaften gemeinsam aufbauen wollen?
Reinhold Kreile: CIS hat das Ziel, daß die Vergütung für ein Werk, für das bezahlt worden ist, von allen Gesellschaften verteilt werden kann. Wir wollen damit die unterschiedliche Datenbankhaltung in den einzelnen Ländern und Organisationen auf einen Nenner bringen, eine einheitliche Datenverarbeitung schaffen. So wie die Großbanken alle ein gemeinsames EDV-System und ein gemeinsames Netz haben, werden wir dies auch für die Verwertungsgesellschaften verwirklichen.
Der Kampf um das intellektuelle Eigentum. Viele Interessen sind beim Geschäft mit dem Gold des digitalen Zeitalters im Spiel.